Siedlung Ludwigsfeld:Auf dem Weg nach oben

Die Patrizia will die Mieten für 680 Wohnungen in der Siedlung Ludwigsfeld erhöhen, doch die Bewohner kündigen Protest gegen diesen Plan an

Von Simon Schramm, Siedlung Ludwigsfeld

Es herrscht Unruhe in der Siedlung Ludwigsfeld, und das hängt mit einem Vorhaben des Immobilienunternehmens Patrizia zusammen. Ein etwa 20-seitiges Gutachten, das die Patrizia in Auftrag gab und das nun in der Siedlung die Runde macht, läuft auf ein Ergebnis hinaus: Die Bewohner sollen eine höhere Miete zahlen. Viele Bewohner, unterstützt von Mieterverein München, wollen das aber nicht akzeptieren. Falls der Mieterverein in Gesprächen mit der Patrizia keine Lösung findet, kommt die Sache wahrscheinlich vor Gericht. Es ist nicht die erste von der Patrizia geforderte Mieterhöhung im Viertel; diesmal aber möchten die Ludwigsfelder die Erhöhung nicht hinnehmen. "Hier geht's ums Prinzip. Wir müssen endlich mal Flagge zeigen", sagt eine Bewohnerin. "Wir müssen zeigen: Unwidersprochen machen wir nicht, was ihr wollt."

Man muss sich die Geschichte dieser 14 Hektar großen Siedung im Münchner Nordwesten vor Augen führen, um zu verstehen, warum die Bewohner dem Vorgehen der Patrizia mit so vielen Vorbehalten begegnen. Das kleine Viertel liegt auf dem Gelände eines früheren Außenlagers des Konzentrationslagers Dachau. 1953 fanden dort ehemalige Lagergefangene und Displaced Persons eine neue Heimat. Immer noch leben hier einstige Zwangsarbeiter oder deren Nachkommen. Der provisorische Charakter prägte die Wohnverhältnisse der Siedlung: Der Bund als Eigentümer änderte nie etwas an der schlechten Ausstattung der Wohngebäude hier. Die Bewohner, die finanziell ohnehin schlecht dastanden, zahlten dafür wenig Miete, zum Beispiel um die 2,70 Euro pro Quadratmeter. Viele Bewohner, die es sich halbwegs leisten konnten, modernisierten ihre Wohnungen selbst.

Siedlung Ludwigsfeld: Die Mieten steigen hier dennoch.

Die Mieten steigen hier dennoch.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Siedlung lebt von ihrer beständigen multikulturellen Gemeinschaft. Als der Bund die rund 680 Wohnungen im Jahr 2007 für etwa zehn Millionen Euro an die Patrizia verkaufte, stellte das eine Art Wende dar. Tatsächlich begann die Patrizia mit Sanierungen, ein Wärmedämmsystem, elektrische Steigleitungen und eine Gaszentralheizung wurden installiert; dies hatte aber höhere Mieten zur Folge.

Schon damals fürchtete man als Kehrseite der Verbesserungen darum die Auflösung der Gemeinschaft, trotz lebenslangem Kündigungsschutz und eigener Kaufvertragspräambel, laut der die "von einer außergewöhnlichen Integrationsbereitschaft geprägten Siedlungs- und Bewohnerstrukturen erhalten bleiben" sollten. Es sind vor allem die Alteingesessenen im hohen Alter, die noch erschwingliche Mieten zahlen und nun das Gutachten samt Erhöhung erhalten haben. Ihr Wohnrecht hilft ihnen nicht, wenn sie sich die neuen Mieten nicht mehr leisten können. Dass der vermeintliche Schutz so ausgehebelt wird, kritisiert die Iglu, die Interessengemeinschaft Ludwigsfeld, seit Jahren.

Die Siedlung wird wegen der schlechten Ausstattung der Wohnungen nicht vom Münchner Mietspiegel erfasst. Dennoch vergleicht das Patrizia-Gutachten diese Wohnungen mit solchen aus dem Mietspiegel. Ziel ist es offenbar, eine eigene ortsübliche Kaltmiete zu definieren, die auf dem Niveau von Stadtteilen wie Sendling, Moosach oder Berg am Laim liegt. Es ist zulässig, eine Mieterhöhung mit einem Sachverständigen-Gutachten zu begründen, falls eine Region nicht mittels eines Mietspiegels bewertet wird. Der Münchner Betriebswirt, der das Gutachten erstellte, konnte jedoch lediglich sechs Wohnungen in Ludwigsfeld besuchen, einige Bewohner haben ihm gar keinen Zugang gewährt, so der Mieterverein.

Siedlung Ludwigsfeld: Die Straßen sind nach Edelsteinen benannt.

Die Straßen sind nach Edelsteinen benannt.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Argumentation des Gutachtens zufolge soll das Viertel als "noch beliebte Wohngegend" mit Wohnungen von "tendenziell guter Beschaffenheit" eingestuft werden. Dafür wird unter anderem hervorgehoben, dass öffentliche Institutionen und größere "grüne Lungen" wie die Allacher Lohe und umliegende Naherholungsgebiete gut erreichbar seien und in der Siedlung eine "nahezu reine Wohnraumnutzung" erkennbar sei.

Dem positiven Szenario, das im Gutachten gezeichnet wird, widerspricht der Mieterverein entschieden. Die Wohnungen in Ludwigsfeld seien nicht mit Wohnungen aus anderen Münchner Stadtteilen vergleichbar, nicht ohne Grund werde die Siedlung wegen ihrer "einfachen" Lagequalität nicht vom Mietspiegel erfasst. Es gibt hier viele Mängel, mit denen sich die Bewohner der Siedlung seit Jahren plagen. Beispielsweise die schlechte Anbindung: Die Siedlung befindet sich in abgelegener Lage zwischen Industriegebiet und Autobahn, nur mit zwei Buslinien erreicht man Ludwigsfeld, besonders nachts ist die Anbindung schwierig. Die vom Gutachter herangezogenen Vergleichswohnungen liegen laut Mieterverein deutlich näher zur Innenstadt als Ludwigsfeld.

Auch die Nahversorgung ist mangelhaft, einen einzigen Tante-Emma-Laden gibt es in dem kleinen Ladenzentrum. Trotz der Modernisierung präsentiere sich die Wohnsiedlung immer noch in einem unterdurchschnittlichen baulichen Zustand, urteilt der Mieterverein. Die Dämmungsmaßnahmen seien unvollständig ausgeführt, auch vom einem laut Gutachten gepflegten Gesamteindruck der Gebäude könne keine Rede sein. Die Treppenhäuser sollten teilweise gestrichen werden, die Außenanlagen seien zum Teil ungepflegt.

Siedlung Ludwigsfeld: Beste Wohnlage ist in der Siedlung Ludwigsfeld kaum zu finden.

Beste Wohnlage ist in der Siedlung Ludwigsfeld kaum zu finden.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Dazu zählt der Mieterverein nicht behebbare Mängel auf: Die Wohnungen in der Siedlung seien extrem hellhörig, aufgrund dünner Wände und fehlender Schallisolierung. Auch seien die Wohnungen ungünstig geschnitten, die Bäder etwa hätten eine Durchgangsbreite von 45 Zentimetern und ähnelten einem engen Gang. Problematisch sei auch, dass es hier wenige Parkmöglichkeiten gebe und die MAN-Teststrecke in der Nähe eine hohe Lärmbelastung zur Folge habe. Die Patrizia kann die Kritik des Mietervereins am Gutachtens nicht nachvollziehen und verweist auf die "langjährige Erfahrung" des Gutachters.

Die angestrebten Erhöhungen schätzen die Bewohner nicht hoch ein; auch die Patrizia spricht von einer "durchschnittlichen Anpassung", die etwa 58 Cent betrage. Aktuell liegt die Miete im Viertel bei rund fünf bis sechs Euro pro Quadratmeter. Die Ludwigsfelder vermuten aber, dass dies nur der Anfang ist und dass die Mieten in den kommenden Jahren weiter steigen werden. Sie vermuten, dass dem Gutachten zufolge eine örtliche Durchschnittsmiete von etwa zehn Euro pro Quadratmeter angepeilt wird.

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