Sicherheitskonferenz:AfD-Gegner provoziert mit abgewandeltem Petry-Zitat

Demonstration gegen 52. Münchner Sicherheitskonferenz

Im Protest vereint: 3000 Menschen demonstrieren gegen die Sicherheitskonferenz.

(Foto: dpa)
  • 3000 Menschen demonstrieren gegen die Sicherheitskonferenz in München.
  • Unter ihnen ist auch die frühere Pegida-Frontfrau Kathrin Oertel, die vom Veranstalter einen Platzverweis ausgesprochen bekommt.
  • Ein Sprecher der "Organisierten Autonomie" Nürnberg provoziert mit einem Zitat.

Von Martin Bernstein, Isabel Meixner, Tobias Dirr und Axinja Weyrauch

Die Frau hüllt sich in eine blaue Fahne, "raus aus der Nato" wird darauf gefordert; und eigentlich würde sie gut in den Zug von Anti-Siko-Demonstranten passen, wenn da nicht Minuten zuvor die Rufe gegen sie und ihre Begleitung gewesen wären: "Nazis raus."

Denn bei der Frau handelt es sich um keine x-beliebige Gegnerin der Münchner Sicherheitskonferenz, sondern um Kathrin Oertel, ehemals Frontfrau von Pegida. Und so jemanden, das machen die anderen rund 3000 Demonstranten deutlich, will man nicht unter sich wissen.

Die Veranstalter der Demonstration sprechen gar einen Platzverweis gegen Pegida-Aktivisten aus - ein symbolischer Akt. Denn solange sich ein Demonstrant an die Regeln der Veranstalter hält, darf er von der Kundgebung nicht ausgeschlossen werden, so die Polizei. Und so geht Oertel am Ende des Zuges mit, der vom Stachus über den Odeonsplatz zum Marienplatz zieht.

Oertel ist es an diesem Samstagnachmittag aber nicht, die sich provozierend hervortut, sondern ein Sprecher der "Organisierten Autonomie" aus Nürnberg. "Im Notfall kann man auch auf AfD-Mitglieder schießen. Das würde unsere Rechtslage auch hergeben", ruft er durch ein Mikrofon den Demonstranten während des Zuges zu. Kurz zuvor hatte er über Hetze gegen Flüchtlinge gesprochen, so wie sie zum Beispiel von AfD-Chefin Frauke Petry praktiziert wird, die neulich den Einsatz von Schusswaffen gegen Flüchtlinge an Grenzen gefordert hatte.

Wer der Sprecher ist, das wollen seine Freunde nach dem Zug nicht sagen, nur so viel: Er heiße Max. Nachnamen würden prinzipiell nicht genannt, für Nachfragen stehe Max nicht zur Verfügung: Er sei nicht aufzufinden, wohl schon gegangen.

Am Ende gibt es sechs Anzeigen

In den Protestmarsch gegen die Münchner Sicherheitskonferenz reiht sich auch der Schwarze Block ein. Einmal stoppt die Polizei den Zug, mal wegen verknoteter Transparente, einmal wegen Bengalos, die Autonome in der Residenzstraße abbrennen. Am Ende wird es nach einer ersten Bilanz der Polizei sieben Anzeigen geben: zwei wegen Vermummung, zwei wegen Pyrotechnik, einmal Tragen einer Knüppelfahne und eine Beleidigung.

Mit Gedichten, lauter Musik und einem Hupkonzert geht es am Promenadenplatz vorbei, doch keiner der Konferenzteilnehmer, die dort im Bayerischen Hof tagen, lässt sich am Absperrgitter blicken.

Das Ziel der Anti-Siko-Gegner am Samstagnachmittag ist es, den Tagungsort der Sicherheitskonferenz zu umzingeln. Während sich der Großteil der Demonstranten am Zug beteiligt, versuchen einige Teilnehmer, eine Menschenkette durch die Fußgängerzone zu schließen. 600 sollten es eigentlich sein, doch es werden weniger: Immer wieder ist die Menschenkette unterbrochen, sie reicht anfangs nur bruchstückhaft vom Oberpollinger zum Marienplatz.

"Wo sollen wir uns einreihen?", fragen zwei ältere Frauen mit Pace-Fahne. Ein Demonstrant, umringt von Passanten, läuft suchend umher, findet erst nach kurzer Zeit Anschluss. Zum Marienplatz hin wird die Kette dichter, dem goldenen Verkleidungskünstler wird es zu viel des Trubels, er nimmt es aber mit Humor: "Ich muss jetzt mal den Platz wechseln."

Dann biegt der Motorradclub Kuhle Wampe auf den Marienplatz ein. Unter das Läuten der Kirchturmglocken des Alten Peters mischt sich die Internationale. Die Nato sei ein "Dinosaurier aus dem Kalten Krieg": ruft Redner Rainer Braun von der Kooperation für den Frieden anschließend den Demonstranten bei der Abschlusskundgebung zu. "Es gibt keinen Frieden mit der Sicherheitskonferenz."

"Reißt die Zäune ein", fordern die Demonstranten

Diese Haltung ist es, die die Teilnehmer schon am Mittag auf den Stachus getrieben hat. Dort bauten sie einen Zaun mit einer Rolle aus Stacheldraht auf, um gegen die Flüchtlingspolitik vieler EU-Staaten zu demonstrieren. "Reißt die Zäune ein", skandierten sie. Denn deswegen sind sie gekommen: um für Frieden und ein Miteinander zu demonstrieren und gegen Grenzen und Feindbilder. Zumindest in diesem Fall erledigte das der Wind.

Auch Aufkleber gegen Stuttgart 21 sind zu sehen. Sie demonstrierten seit Jahren gegen den Bau des neuen Bahnhofs, erzählen zum Beispiel die Musiker von "Lokomotive Stuttgart". Und jetzt die Siko? Sie sehe da durchaus einen Zusammenhang, erklärt die Band. Sie wolle sich für Frieden weltweit einsetzen. Unter den Demonstranten finden sich auch Künstler der Streetart-Gruppe "Positive propaganda". Sie verteilen rot-weiße Schilder an die Umstehenden, auf denen sie "Make art, not war" fordern. Bei Krieg gehe es immer nur um Ressourcen, sagt Sebastian Pohl, der künstlerische Leiter: "Kunst kann ein Statement für Veränderung sein."

Auch Claus Schreer ist bei der Demonstration dabei, wie all die Jahre seit 2002. "Sie, die im Bayerischen Hof, sind die Hauptverantwortlichen für die weltweiten Flüchtlingsströme. Durch ihre Politik wird die Schere zwischen Arm und Reich immer größer", ruft er von der Bühne aus.

"Europa ist verantwortlich für das Massensterben im Mittelmeer"

Nicht die Flüchtlinge seien das Problem, sondern die Abschottungspolitik Deutschlands und der EU. "Europa ist verantwortlich für das Massensterben im Mittelmeer." Es dürfe keine Auslandseinsätze der Bundeswehr mehr geben: "Wir fordern, dass alle Bombenangriffe in Syrien eingestellt werden. Mehr Krieg dürfen wir nicht hinnehmen."

Der Liedermacher Konstantin Wecker, der sich seit Jahren für Frieden engagiert: "Kein Fußbreit den Faschisten und Rassisten!" Das Meinungsklima in Deutschland dürfe nicht weiter vergiftet werden: "Europa taumelt dem Abgrund entgegen und droht, faschistisch zu werden."

Sogar Seehofers Auto wird kontrolliert

Vor Beginn der Kundgebung hat der Bericht eines Gießener Bloggers von der Piratenpartei kurz einmal die Polizei aufgeschreckt. Eine Sicherheitslücke bei der Sicherheitskonferenz will der Mann entdeckt haben, ohne Kontrolle in die Sperrzone gekommen sein. Doch was sich so spektakulär anhört, erweist sich schnell als wenig beunruhigend. Sein Erlebnis hatte der Blogger bereits am Donnerstag - da gab es die Sperrzone noch gar nicht.

Nach Kontrollen mit Sprengstoffhunden hat die Polizei am Freitag Punkt 12.13 Uhr offiziell die Sicherheitskonferenz für gesichert erklärt - so sicher, dass sogar das Auto von Ministerpräsident Horst Seehofer bei der Einfahrt zum Promenadeplatz kontrolliert wird. 48 Stunden, 313 Eskortenfahrten mit 155 Konferenzteilnehmern der oberen Sicherheitsstufe, 34 Veranstaltungen und insgesamt elf vorläufige Festnahmen später zieht Polizeivizepräsident Werner Feiler ein Fazit: "Sie sehen uns lächeln."

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