Sicherheitsdebatte:"Videoüberwachung allein bringt nichts"

Sicherheitsdebatte: Braucht München mehr Videoüberwachung? Der Zwiespalt bleibt.

Braucht München mehr Videoüberwachung? Der Zwiespalt bleibt.

(Foto: Robert Haas)
  • Mithilfe von Videoaufnahmen konnte die Polizei drei Männer verhaften, die in Verdacht stehen, eine Frau am Heimeranplatz überfallen zu haben.
  • Die Polizei sieht aber keinen Bedarf, die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen noch weiter auszubauen.
  • Rund 10 000 Kameras haben Behörden, Institutionen und andere öffentliche Einrichtungen in München in Betrieb.

Von Martin Bernstein

Ein zweiter Fall Neukölln? Eine 38-jährige Münchnerin ist am frühen Morgen des 10. Dezember mit der U-Bahn auf dem Heimweg von einer Weihnachtsfeier. Am Heimeranplatz muss sie umsteigen. Auf der Treppe zum Bahnsteig - so berichtet sie später der Polizei - tritt ihr plötzlich jemand von hinten in die Beine. Doch anders als in Berlin, wo eine Überwachungskamera dokumentiert, wie ein 27 Jahre alter Mann brutal eine Frau eine Treppe hinunter tritt und dann ungerührt weitergeht, wird die Tat selbst am Heimeranplatz nicht aufgezeichnet.

Ob dem Raub ein Tritt vorausging, ist deshalb noch offen. Fest steht nur, dass die Frau zu Fall kommt und sich verletzt. Sie kann gerade noch erkennen, wie drei Männer mit ihrer Handtasche wegrennen. Zeugen für die Tat gibt es nicht, um 2.30 Uhr am Samstagmorgen ist der Heimeranplatz verwaist. Was auf der Treppe wirklich passiert ist, bleibt im Dunkeln. Doch die Ermittler können auf den Bahnsteig und ins Sperrengeschoss schauen.

Die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) hat Videokameras in ihren Fahrzeugen und an allen Bahnhöfen. Und der Kriminaldauerdienst der Polizei hat Zugriff auf die Bilder. Die Aufnahmen vom Heimeranplatz zeigen drei junge Männer. Ein Kriminalbeamter identifiziert einen der mutmaßlichen Räuber, er kennt ihn von früheren Delikten. Am Dienstag schlagen Beamte der Polizeiinspektion 14 zu und verhaften einen 15 Jahre alten Schüler aus München, einen polizeibekannten Intensivtäter, und seine beiden 18-jährigen Freunde aus München und Konstanz.

Der aktuelle Fall aus München, der vor dem Hintergrund der brutalen Tat in Berlin bundesweit Schlagzeilen gemacht hat, zeigt beispielhaft auf, wie die Polizei Videoaufnahmen für ihre Arbeit nutzt, was die Überwachung öffentlich zugänglicher Räume leisten kann - und wo die Grenzen liegen. Die MVG speichert ihre Aufnahmen bis zu sieben Tage, die Kriminalpolizei kann wichtige Aufzeichnungen aber bei Bedarf aus der Löschroutine herausnehmen.

Rund 10 000 Kameras haben Behörden, Institutionen und andere öffentliche Einrichtungen allein in München in Betrieb. Wenn nicht gerade Oktoberfest oder Christkindlmarkt ist, werden ganze sechs davon von der Münchner Polizei selbst betrieben, auf dem Bahnhofsplatz, am Sendlinger Tor und am Stachus. 0,6 Promille aller öffentlichen Kameras - das klingt zunächst einmal nach einem Überwachungsdefizit der Polizei. Doch Polizeipräsident Hubertus Andrä sieht, wie er jüngst im Presseclub sagte, keine Notwendigkeit, in Sachen Videoüberwachung großflächig aufzurüsten. Denn die Polizei kann sich - wie im Fall Heimeranplatz - bei Bedarf bei anderen Einrichtungen bedienen. Etwa bei der Stadt, die mit rund 400 Kameras den Verkehr auf Straßen und in Tunnels überwacht. In der Moosacher Schragenhofstraße, wo diese Bilder einlaufen, sitzen auch Polizisten als "virtuelle Streife" mit in der Verkehrsleitzentrale.

Wenn's pressiert, kann die Polizei so schnell reagieren. "Da reden wir von Minuten", sagt Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins. Neben dem öffentlichen Nahverkehr spielen solche Bilder etwa im Vorfeld von risikoreichen Fußballspielen oder auch im Trubel des Weihnachtsgeschäfts eine große Rolle. Und natürlich bei Großereignissen wie der alljährlichen Sicherheitskonferenz, wenn beispielsweise die Fahrtrouten der Staatsgäste zu überwachen sind.

Der Datenschutz setzt hohe Hürden für die Kamera-Überwachung

Viel länger braucht die Polizei, wenn sie irgendwo eigene Kameras aufstellen will, die den öffentlichen Raum überwachen sollen. So wie zwischen 2007 und 2010 am Orleansplatz. Und wie während des Oktoberfests (seit 2001) und während des Christkindlmarkts (seit 2005). Der Datenschutz hat nämlich hohe Hürden errichtet - und Experten warnen angesichts der jüngsten Diskussion davor, diese Hürden zu senken oder gar abzubauen. Kritiker sprechen von Überwachung unbescholtener Bürger und von einem "Placebo-Effekt". Befürworter dagegen verweisen auf die abschreckende Wirkung von Videokameras, auf bessere Aufklärungsmöglichkeiten nach einer Straftat - und, wie jüngst die Münchner CSU, auf ein Mehr an "gefühlter Sicherheit".

Doch allein die Annahme, irgendwo könnte irgendwas passieren, genügt nicht. Die Polizei muss nachweisen, dass an einem genau definierten Ort ein echter Kriminalitätsschwerpunkt entstanden ist. Und dass sie alle anderen Mittel ausgeschöpft hat, also etwa Schwerpunkteinsätze, verstärkte Präsenz mit Beamten, hellere Beleuchtung. Erst dann ist Videoüberwachung zulässig.

Das heißt freilich nicht, dass sie dann auch sinnvoll ist. Aktuelles Beispiel ist der Alte Botanische Garten in der Nähe des Hauptbahnhofs. Immer wieder hat die Polizei dort Einsätze. Sie ist in der Grünanlage nahezu ununterbrochen präsent - nicht zuletzt, weil etwa die Drogenfahnder wissen, dass ihre Klientel dort Rauschgiftgeschäfte abwickelt und Drogendepots hat. Doch "Videoüberwachung allein bringt nichts, wenn kein Konzept dahinter steht", sagt Marcus da Gloria Martins.

Nicht für alle Deliktbereiche ist Videoüberwachung gleich sinnvoll. Bei Rauschgift- oder Rohheitsdelikten wie im Alten Botanischen Garten wäre sie durchaus angebracht. Nur: Wie überwacht man ein derart großes, unübersichtliches, von Bäumen und Büschen bewachsenes Areal? Die Zahl an Kameras zur Überwachung müsse außerdem handhabbar bleiben. Videoüberwachung, die für Straftäter keine erkennbaren Konsequenzen hat, ist laut da Gloria Martins nicht nur überflüssig, sondern schädlich. Kameras müssten gut sichtbar sein. Und wer sich trotzdem etwas zuschulden kommen lasse, müsse mit dem sofortigen Zugriff der Polizei rechnen. Neue Gebiete mit polizeilicher Videoüberwachung sind deshalb derzeit in der Stadt nicht geplant, vielleicht kommen aber noch Kameras im Bahnhofsumfeld dazu.

Ein wichtiger Baustein: Bodycams

Wichtiger als viele fest installierte Kameras sind für die Polizei Bodycams, also Kameras, die von den Beamten getragen werden und auf Knopfdruck entscheidende Phasen des Einsatzes aufzeichnen. Einen "wichtigen Baustein" nennt da Gloria Martins die Körperkameras. Die Bundespolizei am Hauptbahnhof testet bereits seit Februar. "Sinnvoll und zweckmäßig", lautet ein erstes Fazit. Die Ankündigung, die Kamera einschalten zu können, wirke oft deeskalierend.

Ein großes Aber gibt es jedoch auch: Je gewaltbereiter oder betrunkener jemand sei, desto weniger Eindruck mache die Körperkamera des Polizisten auf ihn. Auch das Polizeipräsidium München testet seit Herbst in frequentierten Ausgehvierteln den Einsatz von Körperkameras - nicht zuletzt zum Schutz der Beamten. Von ersten guten Ergebnissen berichtet Marcus da Gloria Martins. Wichtig sei, dass auf Knopfdruck nicht nur Bild, sondern auch Ton aufgezeichnet werde.

Wie viel Überwachung im öffentlichen Raum soll sein? Der Zwiespalt bleibt, wie zwei der großen Verbrechen des vergangenen Jahres deutlich machen. Ohne Videoaufzeichnungen aus einem Autohaus und vom Flughafen wäre die Kriminalpolizei dem Westend-Entführer nicht so schnell auf die Spur gekommen. Und auch die Morde des 18-jährigen Amokläufers David S. im McDonald's am Olympia-Einkaufszentrum wurden von einer Überwachungskamera gefilmt. Es waren die schlimmsten Bilder, die die mit schlimmen Bildern vertrauten Beamten der Münchner Polizei jemals gesehen haben.

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