Sicherheit in Kliniken:Notaufnahmen werden zur Kampfzone

Sicherheit in Kliniken: In den Notaufnahmen der Krankenhäuser häufen sich die Gewaltausbrüche.

In den Notaufnahmen der Krankenhäuser häufen sich die Gewaltausbrüche.

(Foto: Robert Haas)
  • Mit der Zahl der Patienten in den Notaufnahmen der Krankenhäuser steigt auch die Zahl der Beleidigungen und gewalttätigen Angriffe auf das Klinik-Personal.
  • Von Ende Juli bis Ende Oktober kam es beispielsweise in der LMU-Notaufnahme durchschnittlich alle zwei bis drei Tage zu massiven Ausschreitungen.

Von Christian Gschwendtner

Ein ganz normaler Nachmittag in der internistischen Notaufnahme des LMU-Innenstadtcampus. Im Radio hinter dem Empfangstresen läuft gerade der Eminem-Song "The Monsters". Und Drago Glavas, 49, geht in die Hocke. Die Aktenordner schiebt er noch kurz beiseite, dann hat er gefunden, was er sucht: Den Karton mit den Messern. Es sind Souvenirs, die sich über die Jahre in der Notaufnahme angesammelt haben. Mitgebracht haben die Messer Patienten. Wenn sie einen schlechten Tag haben, gehen sie damit auf das Klinikpersonal los. Den Krankenpfleger Glavas bringt das nicht aus der Ruhe. Er ist ein bedächtiger Mann - grau melierte Haare, randlose Brille - seit fast 20 Jahren im Geschäft. Einer, der schon alles gesehen hat. Er zuckt nur die Schultern: "Schlimmer geht immer."

Dabei ist die Situation in den Notaufnahmen der Münchner Innenstadt schon schlimm genug. Schuld sind "intoxikierte Patienten", die immer mehr werden. Junkies, Alkoholkranke, rabiate Partygänger. Sie lassen ihre Aggressionen zunehmend an jenen aus, die eigentlich nur helfen wollen. An den Ärzten und Krankenpflegern in der Notaufnahme. Weil sich die Gewaltausbrüche häufen, haben die Kliniken in München schon vor einiger Zeit aufgerüstet. Deeskalationstraining, ein eigener Sicherheitsdienst und Videoüberwachung gehören inzwischen überall zur Standardausstattung. Ein Schutz für alle Fälle ist das noch lange nicht - wie sich am Beispiel des LMU-Innenstadtcampus zeigt.

Die dortige Notaufnahme bekommt die mit Abstand meisten Problempatienten ab, was ganz einfach daran liegt, dass sie sich dort befindet, wo es am schlimmsten zugeht. Zwischen Hauptbahnhof, Nussbaumpark und der Clubszene in der Innenstadt. Dem berühmt-berüchtigten Münchner Bermudadreieck. Hier dröhnt sich die Stammkundschaft der Notaufnahme bevorzugt zu. Solange, bis nichts mehr geht. Und bis die Rettungssanitäter sie zur Ziemssenstraße 1 bringen.

"Es ist nicht so, dass wir kugelsichere Westen brauchen", sagt Markus Wörnle, der die LMU-Notaufnahme leitet. Aber Probleme und unnötige Arbeit würden die Patienten schon verursachen. Wörnle sitzt in seinem Dachbüro an einem lang gezogenem Schreibtisch und referiert einmal ganz grundsätzlich die Fakten. Er schätzt, dass mittlerweile jeder dritte Patient in seinem Haus ein Risikopatient ist. Also jemand, der die einschlägigen Substanzen konsumiert. In den meisten Fällen Heroin, Kokain oder Badesalze. Und natürlich Alkohol in rauen Mengen.

Eine Tendenz, die dem Mediziner Wörnle Sorgenfalten auf die Stirn treibt. Er befürchtet, dass irgendwann die Versorgung der Normalpatienten darunter leiden könnte. Ein subjektives Gefühl. Doch Markus Wörnle ist ein Zahlenmensch, aktuell will er herausfinden, wie sehr sich die Lage in den vergangenen Jahren wirklich zugespitzt hat. Im Juli dieses Jahres bat er deshalb seine Krankenpfleger, ab sofort alle Vorfälle penibel in eine Liste einzutragen. Wörnle will eine genaue Statistik erstellen. Noch ist die Liste nicht ausgewertet. Aber was sie bis jetzt zu Tage gefördert hat, liest sich schauerlich.

Von Ende Juli bis Ende Oktober kam es in der LMU-Notaufnahme durchschnittlich alle zwei bis drei Tage zu massiven Ausschreitungen. Am 27. Oktober steht zum Beispiel im Bericht: "Patient schlägt wild um sich, tritt gegen Bett, bedroht verbal, muss von Polizei fixiert werden (Mischintoxikation, sechs Polizisten notwendig)." Zwei Wochen davor, am 9. Oktober, ist zu lesen: "Patient schlägt um sich, spuckt" - die Polizei habe ihn dann in Handschellen legen müssen. Und das ist eher die Normalität.

Sicherheit in Kliniken: Unter dem Klinikpersonal kursieren wilde Geschichten. Sarah Beck hat sich so gut es geht mit den Problempatienten arrangiert.

Unter dem Klinikpersonal kursieren wilde Geschichten. Sarah Beck hat sich so gut es geht mit den Problempatienten arrangiert.

(Foto: Stephan Rumpf)

Unter dem Klinikpersonal kursieren die wildesten Geschichten von Patienten im Drogenrausch. Manche sind lustig, andere todtraurig. Einer hat sich zum Beispiel mal bis auf die Unterhose ausgezogen, ist auf die Balkenwand geklettert, in der festen Überzeugung, er sei ein Vogel. Bis ihn der Sicherheitsdienst herunter holte. Ein anderer tauchte blutüberströmt aus dem Nichts in der Notaufnahme auf und verlangte nach einem Kugelschreiber. Man gab ihm den gewünschten Kugelschreiber, der Mann freute sich und lief davon. Er ist seitdem nie wieder gesehen worden. Wieder ein anderer Patient wollte eine Bank überfallen, was ihm gründlich misslang. Als er das realisierte, fing er an, sich mit Drogen vollzupumpen. Er wollte lieber in die Notaufnahme als ins Gefängnis kommen. Es gibt außerdem Patienten, die HIV-positiv sind und Blut in der Notaufnahme verspritzen.

Von anderen Kliniken hört man ganz ähnliche Geschichten. Johannes Maxrath, Chef der Notaufnahme am Rotkreuzklinikum, spricht von "einem relevanten Event im Monat". Unter einem relevanten Event versteht er, wenn ein übel gelaunter Patient das Mobilar der Notaufnahme komplett zertrümmert. Mehr als unmittelbare Gewaltausbrüche machen ihm aber die Verbalausfälle einiger Delinquenten zu schaffen. "Sehr unschön", sagt Johannes Maxrath. Es ist natürlich auch kein Geheimnis, dass die Vorfälle zur Wiesn-Zeit noch einmal ein anderes Ausmaß erreichen. Im Klinikum rechts der Isar hat man deshalb während dieser Hochzeit einen Wachhund postiert. Zur Abschreckung.

In den meisten Fällen wird das Klinikpersonal zumindest vorgewarnt, wenn Gefahr im Anmarsch ist. Die Notaufnahmen sind an die zentrale Leitstelle angeschlossen. Werden sie von einem Krankenwagen angefahren, blinkt ein rotes Lämpchen auf. Es gibt dann ein paar Randdaten zum Patienten. "Wenn im System männlich und Alter 32 aufblinkt, dann weiß jeder Bescheid, was kommt", sagt die Krankenpflegerin Sarah Beck. Fürs Wochenende haben sie und ihre Kollegen noch eine andere Regelmäßigkeit festgestellt: Die ganz schweren Alkoholiker und Suchtkranken, jene die auch noch mit vier Promille einen geraden Satz formulieren können, die kommen in der Regel bis Mitternacht. Alles was danach kommt, ist meistens Partyvolk. Und das ist seit einiger Zeit ebenfalls auf Eskalation gepolt.

Welche Substanzen sich die Patienten genau eingeworfen haben, ist für das Personal in der Notaufnahme eher unwichtig.

Es geht darum, dass niemand an seinem Erbrochenen erstickt. Die Leute sollen durch die Nacht kommen, das ist das Ziel. Damit das Klinikpersonal den Dienst ebenfalls unbeschadet übersteht, gibt es einen Alarmknopf. Der befindet sich hinter der Theke im Eingangsbereich. Drückt man ihn, dann wird der Sicherheitsdienst verständigt. Die Männer mit den breiten Schultern sind darauf gedrillt, in maximal drei Minuten vor Ort zu sein. Minuten, die mitunter lang werden können.

"Aber mit Angst gehe ich trotzdem nicht in die Arbeit, sonst könnte ich den Job gar nicht machen", sagt Sarah Beck. Sie hat sich, so gut das eben geht, mit den Problempatienten arrangiert. An diesem Dienstagabend hat sie ausnahmsweise wenig zu befürchten. Die Notaufnahme ist von der Rettungsstelle abgemeldet. Wegen Überfüllung. Alle Betten sind belegt. Doch das muss nichts heißen. Sarah Beck weiß, die Problemkandidaten liefern sich auch gerne selbst ein. Sie kommen dann zu Fuß, ohne Rettungsdienst.

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