Sexuelle Übergriffe auf dem Oktoberfest:Wenn Frauen Hilfe brauchen

Aktion "Wiesn-Gentleman" von Condrobs auf dem Münchner Oktoberfest, 2015

Der Suchthilfe- und Präventionsverein "Condrobs" möchte mit der Aktion "Wiesn Gentleman" Männer zu anständigem Verhalten auf dem Oktoberfest animieren.

(Foto: Catherina Hess)

Hinschauen und Einschreiten: Die Aktion "Wiesn-Gentleman" soll helfen, sexuelle Übergriffe zu verhindern.

Von Eva Casper

Lederhose, Anstecker, Flyer, Armbändchen - Siegfried Gift ist bereit für das Oktoberfest. Er scannt die ankommenden Besucher am Esperantoplatz. Sein Ziel: Männer mittleren Alters. Er macht einen Schritt auf seine Zielperson zu und fragt in kumpelhaftem Ton: "Na, sind Sie ein Wiesn-Gentleman?" Die Reaktionen sind unterschiedlich: ignorieren, Desinteresse oder ein blöder Spruch. Manche schauen ihn an, als wäre das Wort "Wiesn-Gentleman" schon ein Widerspruch in sich. Andere finden es "ganz toll", was er da macht.

Gift ist Abteilungsleiter bei Condrobs, ein Verein für Suchthilfe und Prävention. Schon zum dritten Mal wirbt er auf dem Oktoberfest für den "Wiesn-Gentleman". Täglich zwischen 15 und 19 Uhr verteilen Mitarbeiter von Condrobs ihre Botschaft: keine fliegenden Masskrüge, kein Grapschen, kein Trinken bis zum Umfallen. Kommt man damit an auf einem Fest, das fast schon für zügelloses Feiern steht? "Von einem Drittel bekomme ich hohe Zustimmung", sagt Gift. Die Idee zum "Wiesn-Gentleman" entstand 2012. Prävention werde viel zu oft als Frauensache abgetan, kritisiert Gift. Condrobs wollte die Männer stärker in die Pflicht nehmen.

Zivilcourage ist wichtig, um sexuelle Übergriffe zu verhindern

"Sichere Wiesn", die Anlaufstelle für Frauen in Not, ist schon seit 13 Jahren auf dem Festgelände und gibt Tipps für einen sicheren Oktoberfest-Besuch. Eine gute Sache, findet Gift, aber man müsse auch die Männer in die Pflicht nehmen, um sexuelle Übergriffe zu verhindern. Wichtig sei eine positive Ansprache. "Mit dem erhobenen Zeigefinger kommt man da nicht weit." Friedlich feiern und sich für andere einsetzen, die Hilfe brauchen, das ist die Botschaft vom "Wiesn-Gentleman". Wenn die Leute hinschauen, könne die Zahl der sexuellen Übergriffe verhindert werden. "Männer, die schon mit der Absicht auf die Wiesn gehen, eine betrunkene Frau abzuschleppen, kann ich ohnehin nicht erreichen", sagt Gift. Aber er hofft, andere Männer zu motivieren genauer hinzuschauen und im Extremfall auch einzuschreiten.

Hinschauen und Einschreiten, das ist auch die Devise der Streetworker von Condrobs. Während der Wiesn sind sie immer freitags und samstags zwischen 19 und 23 Uhr unterwegs. Außerhalb des Festgeländes, an den Randbereichen, in dunklen Ecken und Büschen halten sie Ausschau nach Menschen, die Hilfe brauchen. "Das sind meistens Betrunkene, die ihre Orientierung verloren haben", sagt Birgit Treml, stellvertretende Geschäftsführerin vom Jugendbereich bei Condrobs. Doch gerade bei Frauen ginge es auch darum, sie vor Übergriffen zu schützen. So prüfen die Streetworker bei schmusenden Pärchen, ob der Spaß auch wirklich einvernehmlich geschieht, oder die Frau eigentlich gar nichts mehr mitbekommt.

Das Oktoberfest gilt als Ort der Grenzüberschreitungen

In den vergangenen Jahren ist die Zahl der sexuellen Übergriffe auf dem Oktoberfest relativ konstant geblieben. 2013 lag sie bei 16, im letzten Jahr bei zwölf. Zur Halbzeit der diesjährigen Wiesn verzeichnete die Polizei sechs Übergriffe. Doch die Dunkelziffer ist wahrscheinlich hoch. Gerade das Oktoberfest gilt häufig als ein Ort, wo Grenzüberschreitungen normal seien.

"Auch die Wiesn ist keine moralfreie Zone", sagt Alexandra Stigger von "Sichere Wiesn". Problematisch sei, dass Frauen nach wie vor die Schuld für einen Übergriff gegeben werde. Weil das Dirndl zu kurz war, sie zu viel getrunken haben oder allein unterwegs waren. Viele Frauen trauten sich daher nicht, zur Polizei zu gehen. "Eine Frau ist niemals Schuld an einem Übergriff." Diese Botschaft sei bei vielen immer noch nicht angekommen. Trotz der niedrigeren Besucherzahlen in diesem Jahr blieb die Zahl der Einsätze bei "Sichere Wiesn" bis jetzt gleich.

Siegfried Gift arbeitet daran, die Botschaft an den Mann zu bringen. Was für ihn einen Gentleman ausmache, fragt er einen jungen Mann. "Einer Frau einen Kaugummi geben, wenn sie gekotzt hat." "Ja, ist immerhin ein Anfang", sagt Gift und reicht ihm einen Anstecker mit der Aufschrift "Wiesn-Gentleman".

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