Schulen in München:Aufklärungsunterricht erregt Münchner Eltern

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Sexualkunde ist ein Pflichtthema für alle Schüler in München.

(Foto: Oliver Berg/dpa)
  • Das bayerische Kultusministerium hat jüngst die Richtlinien für den Aufklärungsunterricht in den Schulen überarbeitet.
  • Kinder und Jugendliche müssen an den Stunden teilnehmen, das passt vielen Eltern in München nicht.
  • Sie versuchen, sich über die Vorschriften hinwegzusetzen und sich in die Unterrichtsgestaltung einzumischen.

Von Melanie Staudinger

Die Zahlen müssten eigentlich beruhigen: Jugendliche haben heute weniger Sex als vor 20 Jahren, das erste Mal findet geplanter und später statt als früher, junge Menschen haben die Verhütung mehr im Blick. Kurz gesagt: Jugendliche pflegen mehrheitlich einen sehr verantwortungsvollen Umgang mit Sexualität - trotz sexualisierter Werbung, der Freizügigkeit in sozialen Medien und was sonst noch unter das Schlagwort "Generation Porno" fällt. In der Schule aber offen über Sex zu sprechen, das Thema unvoreingenommen im Unterricht zu behandeln - das ist nach wie vor problematisch, wie eine Diskussionsveranstaltung des Pädagogischen Instituts der Stadt zeigt.

Zwar hat das bayerische Kultusministerium erst die Richtlinien für den Aufklärungsunterricht überarbeitet. Doch wirkliche Sicherheit bringen diese neuen Regeln in der Praxis offenbar nicht. Noch immer wehren sich Eltern, dass ihre Kinder am Sexualkundeunterricht teilnehmen müssen. Und auch die Inhalte gefallen nicht allen, obwohl die Vorschriften ziemlich eindeutig sind. An der schulischen Sexualaufklärung müssen alle Kinder und Jugendlichen teilnehmen, egal welcher Religion, Kultur oder Nationalität sie angehören. Verbieten können Eltern das nicht.

Dass es keinen Spielraum gibt, scheinen aber so einige Familien schlicht zu ignorieren. Immer wieder gebe es Konflikte, weil Eltern sich unzulässig in die Unterrichtsgestaltung einmischten, erzählen Lehrer ebenso wie Schulleiter. Bis zu Kultusminister Ludwig Spaenle hätten sich einige Väter und Mütter aus ihrer Klasse durchgekämpft, berichtet etwa eine Lehrerin aus einer Münchner Grundschule. Der Stein des Anstoßes: ein Aufklärungsfilm, der erklärt, woher die Babys kommen. Für Drittklässler sei das nicht geeignet, fanden die Eltern und protestierten. "Ich wurde massiv angegangen", erzählt die Lehrerin.

Sexualkunde ist noch immer ein schwieriges Thema. Vor mehr als einem Jahr entschloss sich das Pädagogische Institut, das im Bildungsreferat angesiedelt ist, einen Fortbildungsabend anzubieten - vom Zeitpunkt her ideal, denn seit Dezember gelten die neuen Richtlinien zur Sexualaufklärung, die Prävention gegen sexuelle Gewalt verstärken und einen bewussten und kritischen Umgang mit sexualisierten Medieninhalten fördern sollen.

Auf einem Podium sollen Franziska Behling, Lehrerin am Lion-Feuchtwanger-Gymnasium, Wolfgang Ellegast vom Kultusministerium, der Sexualpädagoge Sebastian Kempf von Pro Familia und die Juristin Ulrike Müller mit den Münchner Lehrern diskutieren, was die neuen Richtlinien zur Sexualerziehung denn bringen.

Denn noch immer werden hitzige Debatten geführt, was Kinder in welchem Alter erfahren dürfen, so dass das Pädagogische Institut gar Proteste bei seiner Veranstaltung fürchtete. Sicherheitshalber erklärten die Verantwortlichen schon vorher, dass Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören oder in der Vergangenheit bereits durch menschenverachtende Äußerungen aufgefallen sind, keinen Eintritt haben. Auch die Polizei war informiert.

Alltägliche Fragen bleiben ungelöst

Fragen aus den Zuschauerreihen durften lediglich eine halbe Minute lang sein, auch um langwierige Koreferate zu vermeiden. Die befürchteten Krawalle sind ausgeblieben, kontrovers diskutiert wurde trotzdem unter den mehr als 100 Zuhörern. Bei manchen Wortmeldungen wurde zumindest ansatzweise klar, warum das Pädagogische Institut so vorsichtig agiert.

"Homosexualität und Heterosexualität gleichzustellen, ist für uns undenkbar", sagt ein Vater. Sechs Kinder habe er, das älteste besuche die Grundschule. Er wolle nicht darauf verzichten, "seine Kinder so zu erziehen, wie es Gott gefällt". Auch ein anderer Besucher der Veranstaltung im Pädagogischen Institut verlangt, den Kindern lieber nichts von Homosexualität zu erzählen. Schließlich habe die traditionelle Familie Vorrang vor allen anderen Lebensmodellen.

Nicht nur die Konfrontation mit den Eltern belastet die Lehrer. Zwar sei es begrüßenswert, dass alternative Lebensentwürfe jetzt mehr Platz im Lehrplan hätten, sagt ein Realschullehrer. Fragen im Alltag aber seien dadurch nicht gelöst. An seiner Schule etwa gebe es in der siebten Klasse einen Transsexuellen. "In welchem Zimmer soll er schlafen, welche Toilette benutzen, an welchem Sportunterricht teilnehmen?", fragt der Lehrer. Das Gesetz sagt: Solange Hormontherapie und geschlechtsangleichenden Operation nicht abgeschlossen sind, gilt das alte Geschlecht. Der Verstand sagt: Das kann nicht gut gehen.

Wichtiger Bestandteil des Sexualkundeunterrichts sind außerschulische Partner wie Pro Familia oder die Aids-Hilfe. Doch auch hier herrscht Unsicherheit. Jugendliche stellten ganz andere Fragen, wenn der Lehrer nicht im Raum sei, sagt Sexualpädagoge Kempf auf dem Podium. Aber wie steht es um die Aufsichtspflicht, wenn der Lehrer draußen ist? "Sie müssen sich sicher sein, was im Unterricht geschieht", erklärt Ellegast. Eine eindeutige Regel sieht anders aus.

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