Oberföhring:Beton-Pyramide mit Alpenblick

Oberföhring: Das sogenannte Pharao-Haus im Münchner Norden.

Das sogenannte Pharao-Haus im Münchner Norden.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Im sogenannten Pharaohaus sind manche Terrassen fast so groß wie die Wohnungen. Doch dem Ort haftet ein schlechter Ruf an.

Von Christoph Leischwitz

Das Dröhnen der Autos vom Föhringer Ring, es klingt für Hermann Vilser mittlerweile wie Meeresrauschen. Wenn man dieses akustische Hindernis erst einmal überwunden hat, dann ist es aber auch gar nicht mehr so weit bis zum Urlaubsgefühl im an sich eher schnöden Nordosten Münchens. Hier jedenfalls sind keine Nachbarn zu sehen, obwohl es eigentlich sehr viele gibt. Der Boden, der mediterrane Steinofen mit Rost und Rauchabzug, der Gartentisch, alles ist weiß und hell, umrahmt von kugelförmig geschnittenen Bergkiefern sowie Thuja, und darüber spannt sich bei Bedarf eine gelbe Markise.

Ein Hochhaus also, das Gartenarbeit und zugleich ungestörte Partys zulässt. Der 72-jährige Vilser, früher Retuschierer, Fotograf und Weltenbummler, kredenzte hier in Oberföhring schon Caiprinhas, als es drinnen in der Stadt Cocktails bestenfalls an Hotelbars gab. Im Bekanntenkreis ist er auch berühmt für seine bayerische Paella, mit Fleischpflanzerln, und ziemlich scharf. "Es war schon ein bisserl was los hier", sagt er lachend.

Vilser war einer der ersten, der in das sogenannte Pharaohaus einzog. "Über den Mörtel hinweg", wie er sagt, brachte er im November 1975 seine ersten Möbel hinauf in den sechsten Stock, damals lief noch nicht einmal die Heizung. Er ist sich ziemlich sicher: Die riesige Terrasse hat ganz erheblich dazu beigetragen, dass er seit über 41 Jahren nicht umgezogen ist.

Bei der Hausverwaltung bekommt man auf Nachfrage Postkarten des mittlerweile legendären Pharaohauses, aufgenommen aus einem Helikopter. Vilser zeigt Fotos von seinem Balkon aus früheren Tagen, heiße Sommerabende, fast schon kitschige Wintermotive. Für Postkarten würden diese Bilder ebenfalls taugen. Zum Beispiel für die Touristengruppen, die sich bei alternativen Sightseeings hierher verirren, und auch schon mal in Vilsers Wohnung standen.

Von weitem sieht das Gebäude aus wie eine Beton-Pyramide. Doch eigentlich besteht es nur aus einem Turm, an den drei schmale Dreiecke angebaut sind, der Rest ist luftiger Freiraum. Das reicht trotzdem für mehr als 400 Wohnungen. Schön ist das Gebäude, erbaut im so genannten Brutalismus-Stil, nach heutigen Maßstäben eher nicht. Aber extravagant. Und in gewisser Weise immer noch so dekadent, wie es einst gemeint war, als der Jet Set aus der Innenstadt seine Zweitwohnungen bezog. Denn mit so viel Freiraum würde man heute kaum noch bauen, in einer Stadt, die händeringend Wohnraum sucht.

Der Vorteil: Viele haben gleich in mehrere Richtungen eine gute Aussicht. Besonders wenn man eine Wohnung mit einer der begehrten Terrassen besitzt, die sich vom 18. Stock, immer um ein paar Meter versetzt, bis hinunter zum Erdgeschoss erstrecken. Die einzelnen Flügel haben Buchstaben. Wer im A-Trakt und weit oben wohnt, hat auf der Südseite einen beeindrucken Blick auf die Alpen. Die Bewohner des C-Flügels sehen dafür die Sonne hinter dem Englischen Garten untergehen.

Höhenangst bekommt man hier übrigens nicht. Über die gesamte Terrassenbreite sind auf einem Meter Höhe Pflanzenkästen aus Beton eingebaut, die so weit vorstehen, dass man sich gar nicht über das Geländer beugen kann. So verschließen sie auch den Blick auf die Nachbarn von oben und unten. Außerdem kann man darin nicht nur Blumen, sondern auch kleine Bäume oder Hecken anpflanzen. Vilsers Thujahecke etwa ist dazu da, den Blick auf das nicht gerade hübsche Heizkraftwerk mit seinen drei Schornsteinen zu verdecken. Seine Pflanzen sind übrigens fast so alt wie das Haus selbst. Einige Meter weiter, zwischen den Kiefern, ist irgendwann eine kleine Thuja von selbst gewachsen, allein diese ist schon 25 Jahre alt.

"Es ist wie ein Dorf in der Stadt"

Die Terrassen, und auch die vielen Balkone an den Flügelseiten, wirken oft wie Gärten ohne Rasen. Wer es wagt, irgendwo weit oben auf einen Blumenkasten zu klettern, bekommt ungeahnte Einblicke. Hier eine aus einem Baumstamm gesägte Sitzbank, dort ein veritabler Wald. Angebautes Gemüse. Lauben, kleine Holzhütten. In manchen Fällen sind die Terrassen sogar größer als die dazu gehörigen Wohnungen. Vilsers Außenfläche ist 50 Quadratmeter groß, die Wohnung selbst hat 70. Kein Wunder, dass er einen Teil des Balkons zur Rumpelkammer umfunktioniert hat. Der silberne, amerikanische Kühlschrank mit Eiswürfel-Funktion steht direkt neben der Hecke. In die schmale Küche hätte er vermutlich gar nicht reingepasst.

Vilser hat schon viele Leute kommen und gehen sehen. Zwischen den Snobs ganz zu Beginn, die auch unten im Keller im hauseigenen Schwimmbad Champagner tranken (heute ist dort eine Baby-schwimmschule), und der nunmehr sehr gemischten, gar nicht so anonymen Nachbarschaft lag eine recht dunkle Zeit. Der Boulevard berichtete in den 1990er Jahren etwa von einem Drogenumschlagsplatz, der sich auf nicht weniger als 14 Wohnungen ausgebreitet hatte. Oder über einen "Escort-Service", der keiner war. Dem Haus haftet noch ein wenig der Ruf von damals an. Doch unten im Foyer, zwischen braunen Wandteppichen und altägyptisch anmutenden Malereien, kommt man schnell ins Gespräch, vor allem, wenn gerade keiner der drei Aufzüge kommt. Grüß Gott, ja, es ist kalt geworden, in welches Stockwerk müssen Sie, darf ich für Sie drücken. Schönen Tag noch, alles Gute.

"So schlecht der Ruf auch mal war: Es ist unglaublich praktisch, hier zu wohnen", sagt Vilser. Dem Haus ist eine Passage angeschlossen, man kann einkaufen, zum Italiener oder zur Apotheke gehen, ohne bei Regen nass zu werden. Außerdem ist alles barrierefrei, und in irgendeinem Stockwerk trifft man immer auf eine Putzkolonne. "Es ist wie ein Dorf in der Stadt", findet Vilser, der gebürtige Münchner. Er wollte nie wegziehen. Und hat doch ein wirklich ruhiges Fleckchen gefunden.

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