Sendling:Tanz ins Leben

Sendling: Bewegung ist alles: Tanzlehrerin Christine Hasting macht ihren kleinen Schülern vor, was man mit einem flexiblen Körper so alles machen kann.

Bewegung ist alles: Tanzlehrerin Christine Hasting macht ihren kleinen Schülern vor, was man mit einem flexiblen Körper so alles machen kann.

(Foto: Catherina Hess)

Im Tanzstudio Hasting in Sendling verwandeln Kinder ihre Fantasie in Bewegung und haben viel Spaß dabei. Die älteren Semester üben für das Projekt "Wohin des Weges". Mancher erfüllt sich so einen Kindheitstraum

Von Nicole Graner, Sendling

Wer solche Schuhe trägt, muss ein kleines Wesen sein. Denn diese blauen Schuhe mit den Silberherzen sind winzig - im Vergleich zu den großen Schuhen, die auf dem Fußboden im Wartebereich des Tanzstudios Hasting stehen. Und auch viel kleiner als die rosafarbenen Crocs oder die blau schillernden Flip-Flops. Draußen warten Schuhe also auf die Füße von Fünf- bis Sechsjährigen, die drinnen gerade barfuß über den Tanzboden springen.

Christine Hasting macht Bewegungen vor. So, als ob sie überhaupt keine Knochen im Leib hätte. Die Arme lässt sie herumbaumeln, ihr Schritt ist ganz laaangsam und behäbig, Kopf und Schultern fallen weich in alle möglichen Richtungen. "Ich bin eine Schnecke", erklärt sie den Kindern, die sie mit großen Augen anschauen und sofort alles nachmachen. "So richtig glitschig, igitt!" Am Ende liegen alle kleinen Schnecken auf dem Boden. Sich rekelnd, sich aalend. Ein bisschen wie Seesterne. Und es sind lachende Schnecken. Denn die Kinder haben Spaß, genießen es, ihre Fantasie in Bewegung umzuwandeln.

Blumen in blauen Vasen, zwei riesige Gongs, gold glitzernde Bilder an den Wänden und ein riesiger Spiegel - erst vor Kurzem ist das Tanzstudio vom Westend nach Sendling in die Räume des Klangheilzentrums an der Ötztaler Straße gezogen. Wieder ein Raumwechsel. Aber mit Spiegel. Endlich. Im alten Studio, erzählt Rainer Wallbaum, Studiopartner und Ehemann von Christine Hasting, habe es keinen gegeben. "Das ging gar nicht." Gerade Jugendliche wollten sich doch sehen, wenn sie tanzen, sagt er. "Und ich will wissen, was hinter mir passiert, wenn ich etwas vormache, ich muss sehen, wie sich die Tänzer entwickeln", setzt Hasting hinzu.

Ja, dieser Spiegel. Die einen brauchen ihn. Sozusagen als Selbstkontrolle. "Manchmal", sagt Susanne Großmann, "glaubt man vom Gefühl her, man hätte eine ganz große Bewegung gemacht. Sie ist es dann aber gar nicht, wenn man in den Spiegel schaut." Die 60-Jährige tanzt seit 30 Jahren bei Christine Hasting. Mit Ende 20 sei sie mal vorbeigekommen und dann geblieben. Und ihre Kinder sind gekommen und lange geblieben.

Andere, die eine professionelle Tanzausbildung haben, wie zum Beispiel Artemis Sacantanis, 69, wollen viel lieber weg vom Blick in das Spiegel-Ich. Die Tänzerin, die jahrelang am Gärtnerplatz beschäftigt war und seit vielen Jahren in der Atelierklasse von Christine Hasting tanzt, spricht von ihrem "Leben mit dem Spiegel". Ihr ist es viel wichtiger, aus dem Gefühl heraus zu tanzen, die Bewegung zu verinnerlichen - ohne Kontrollinstanz. Sie kommt hierher, weil ihr das Tanzen im Leben sonst fehlen würde und sie geistig und körperlich fit bleiben will. Und da ist Claus Parnitzke. Er wollte schon als Kind ins Ballett. Aber weder seine Noten in der Schule, noch seine Eltern hätten bei dieser Idee mitgespielt. Dann, als er in Rente war, hat er in der Zeitung von dem Tanz-Theaterprojekt "Wohin des Weges" für die Generation von 60 Jahren an gelesen. Er kam, blieb und liebt seither die Herausforderung in der Gruppe der "Sixties", wie sie im Studio liebevoll genannt wird, Gefühltes und Gesagtes in Bewegung zu verwandeln, Geschichten zu erzählen. Irgendwie hat er sich damit einen Kindheitstraum erfüllt. Er tanzt. Endlich. Mit allem, was dazugehört. Auch mal mit einem Muskelkater. "Ins Plié gehen, dass das auf die Oberschenkel geht, interessiert beim Proben kaum", sagt der 67-Jährige und schmunzelt.

Alle, die so lange dabei sind, schätzen vor allem eins: den Freiraum für die eigene Kreativität. Das Künstlerische stehe im Vordergrund, werde unter der liebevollen Anleitung von Tänzerin und Tanzpädagogin Christine Hasting und Rainer Wallbaum, wie alle Tänzer sagen, zusammen erarbeitet. Jeder bringt sich ein. "Damit entsteht", findet Sacantanis, "ein großer Reichtum."

Und ein geschützter Raum, in dem man sich ausprobieren darf, ohne zu scheitern. In dem man versucht, Geist und Körper in eine Balance zu bringen, die dann Bewegungen hervorbringt, die ganz aus dem Inneren fließen. Die Didaktik ist das eine, um alle immer wieder zu motivieren, neue Ideen zu spinnen wie einmal die Einstudierung eines Tanzes mit Jugendlichen auf High Heels. Das Menschliche und die unglaubliche Freude, das eigene Glück in Form des Tanzens weiterzugeben, auch das mag ein Geheimnis von Christine Hasting sein. Ihre großen Stärken prägen dann auch die Schwerpunkte des Studios: Kinder für zeitgenössischen Tanz zu begeistern - und die ältere Generation gleich dazu. Das 15. Theaterprojekt in der Reihe "Wohin des Wegs" hat das Thema "Inseln des Stroms". Wieder eine Herausforderung, nun in neuen Räumen. "In denen wir hoffentlich wieder lange bleiben können", sagt Hasting. Auch wenn sie spricht, sieht man, dass sie Tänzerin ist. Durch und durch. Auch in diesen einen Satz legt sie viel Körpersprache. Die Hände bewegen sich zum Sprachrhythmus. Zart, geschmeidig. Die Finger malen Figuren.

Zurück zu den kleinen Schnecken. Noch einmal kriechen sie am Boden herum. Dann strecken und dehnen sie sich. Plötzlich sind sie Leoparden. Und irgendwann kehren die Tänzer mit den kleinen Füßen zu ihren winzigen Schuhen zurück.

Tage der offenen Tür: Hasting Studio für zeitgenössischen Tanz, Ötztaler Straße 1 b, bis 22. September: Mi., 10 Uhr, Tanztheaterwerkstatt; 16.30 Uhr, Spiel- und Tanz für Zwei- und Dreijährige und Eltern; Do., 1o Uhr, Einführungs- beziehungsweise Schnupperkurs für das neue Tanztheaterprojekt, Ötztaler Straße 1 b, Weitere Informationen: www.tanz-studio-hasting.de, Telefon 34 93 24.

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