Sendling:Leere Hallen, freie Flächen

Nur schrittweise zeichnet sich die künftige Nutzung des Großmarkt-Areals ab. Fest steht, dass sich die Händler hinter die alte Thalkirchner Straße zurückziehen werden. Ein Rundgang mit Markthallen-Chef Boris Schwartz

Von Birgit Lotze, Sendling

Das Großmarkt-Areal, das Herzstück Sendlings, wird sich im nächsten Jahrzehnt stark verändern - und damit auch das Stadtviertel. Im Juli hat der Leiter der Münchner Markthallen, Boris Schwartz, nach einem Architektenwettbewerb ein neues Hallenkonzept vorgestellt. Demnach sollen künftig die Händler unter einem Dach konzentriert werden und sich hinter die alte Thalkirchner Straße zurückziehen - auf das Gelände entlang der Isar auf der Höhe zwischen Heizkraftwerk Süd und Braunauer Eisenbahnbrücke.

Damit geben die Markthallen München das Gelände zwischen Thalkirchner Straße in Sendling und der alten Thalkirchner Straße weitgehend frei. Wie dieser Teil des Areals - das gesamte Großmarkt-Gelände umfasst rund 30 Hektar, das entspricht etwa 70 Prozent der Fläche der Theresienwiese - genutzt werden wird, ist in großen Teilen noch unklar. Ansprüche gibt es genug: Es sollen finanzierbare Wohnungen geschaffen werden, Schulen und Kindergärten wollen endlich ihrem Raummangel abhelfen, Elterninitiativen hoffen, dort die Kinderbetreuung sichern zu können. Der Sendlinger Bezirksausschuss fordert einen Workshop vor der Planung.

Das Schicksal der bestehenden Gebäude ist noch ungewiss. Darunter sind die bekannte Halle 1 und der Kiosk, aus dem Ruth Drexel in Franz Xaver Bogners bekannter Fernsehserie "Zur Freiheit" als Paula hervorlugte. Daneben steht die Gaststätte Großmarkthalle, von der es heißt, dort gebe es die besten Weißwürste der Stadt. Ergänzt wird das Ensemble durch die ehemalige Kartoffelhalle - sie alle stehen unter Denkmalschutz und, abgesehen von der Wirtschaft, bald zur Disposition. Auf dem Gelände der Markthallen München stehen derzeit sechs Verkaufshallen, sieben weitere Umschlag- und Lagerhallen, zwei Kontorhäuser mit Büros, die Bananenreiferei, eine Feinkosthalle und die ehemalige Sortieranlage, in der heute Restaurants untergebracht sind.

Sendling ist einer der größten Umschlagplätze für Obst und Gemüse in Europa - nach Paris und Barcelona. Rund 400 Firmen, große und kleine, schlagen auf dem Münchner Großmarktgelände Waren aus 83 Ländern im Wert von mehr als 750 Millionen Euro jährlich um. Täglich wird von hier aus eine Region versorgt, in der fünf Millionen Menschen leben. Die günstige Zuganbindung war für die Stadtregierung vor mehr als 100 Jahren der Grund, die überforderte Schrannenhalle - auch damals gab es einen München-Boom - mit einem neuen Großmarktgelände außerhalb des Gemeindegebiets zu entlasten. Inzwischen ist es bereits rund ein Jahrzehnt her, dass der letzte Bananentransporter auf Gleisen die Hallen erreichte. Auch liegt das Areal keinesfalls mehr am Stadtrand. 2009 entschied sich der Stadtrat trotzdem, dass der Großmarkt dort bleiben soll.

Die neu geplante Halle dient nicht nur dem Verkauf, auch die Kühlung und die Zulieferplätze sollen dem Gebäude angegliedert werden. Das Ergebnis ist ein gewaltiger Koloss von mehr als einem halben Kilometer Länge, bis zu 80 Meter breit. Die lichtdurchflutete Stahlfachwerk-Halle, die das Münchner Architekturbüro Ackermann entworfen hat, fand die einstimmige Unterstützung des Stadtrats. Und die Projektleiterin im Kommunalreferat, Annegret Rempel, war erleichtert. "Jetzt ist endlich aufgeräumt."

Die alten Hallen sind in die Jahre gekommen. Einige von ihnen seien in einer Zeit gebaut worden, in der Pferdewagen die Waren in die Hallen transportiert hätten, nicht Lkw, sagt Markthallen-Chef Boris Schwartz. Sie entsprächen nicht mehr den Vorschriften, man müsse optimieren, die Kühlkette dürfe nicht mehr unterbrochen werden. Die Zulieferer müssten direkt an die Halle anfahren können, die Waren sofort in die Kühlung, hinter der nächsten Tür gelangten sie in den Verkauf. 130 solcher Andockstationen soll die neue Halle haben.

Doch es ist nicht nur eine reine Modernisierungsmaßnahme. Der städtische Eigenbetrieb Münchner Markthallen, das ist nicht nur der Großmarkt, sondern auch Schlacht- und Viehhof, der Viktualienmarkt, kleinere Märkte wie der Markt am Wiener Platz, am Elisabethplatz und der Pasinger Viktualienmarkt, hat im vergangenen Jahr mehr als 2,5 Millionen Euro Verlust gemacht. Die wirtschaftliche Lage sei nicht rosig, so beschreibt es Kommunalreferent Axel Markwardt.

Zu den Hauptursachen zählten die hohen Reparaturkosten im Großmarkt. Mit dem Verkauf des freiwerdenden Areals an die Stadt soll zumindest die Hälfte des Neubaus finanziert werden. 120 Millionen Euro sind derzeit für Baukosten im Gespräch. Bis Ende des Jahres will Markthallen-Chef Schwartz die Planung konkretisieren und dem Stadtrat genaue Zahlen nennen. Ursprünglich sollte der Verkauf des Viehhof-Areals den neuen Großmarkt finanzieren. Das ist derzeit vom Tisch.

Münchner Märkte

Derzeit ist viel Bewegung im Münchner Marktwesen - auch wenn noch wenig vom Stadtrat entschieden ist. Die Münchner Lebensmittelmärkte stehen vor einer umfassenden Sanierung: der Viktualienmarkt, der Markt am Elisabethplatz, am Wiener Platz und der Pasinger Viktualienmarkt. Die Anforderungen an Hygiene, Statik und Arbeitsschutz sind gestiegen. Und es stehen grundlegende Veränderungen für das Vieh- und Schlachthofgelände an, ebenso der Neubau der Großmarkthalle. Begleitet werden diese Projekte von Boris Schwartz als Leiter der Münchner Markthallen. Der Umwelttechniker wäre eigentlich gerne Kommunalreferent geworden. Doch er konnte das Amt, für das er schon gewählt war, nicht antreten, da laut Gesetz dafür ein Fachhochschulabschluss nicht reicht. Boris Schwartz war von 1994 bis 2012 für die Grünen im Stadtrat. Schwartz gilt als jemand, der die Fronten zwischen Stadt und Marktbetreibern geglättet hat. Die Atmosphäre hat sich jedenfalls verbessert, er konnte die Händler auch vom nun geplanten Neubau an der alten Thalkirchner Straße überzeugen. Die Händler hatten anfangs den Lkw-Standplatz als neuen Standort favorisiert. lo

Die Zukunft des Kontorhauses II, ein Gebäude aus den Fünfzigerjahren mit einem auffälligen Treppenhaus und einem Paternoster, steht schon so gut wie fest. Dieses Haus möchte die Markthallenleitung für sich. "Wir wollen nah bei den Händlern sein", sagt Boris Schwartz. Die Mieter ziehen bereits nach und nach aus: Der Zoll, die Landesanstalt für Pflanzenbau und auch der Verein Bayerische Frucht-Import und Großhandel wechseln in den derzeitigen Verwaltungstrakt. Beide Gebäude stehen unter Denkmalschutz.

Fest steht auch, dass das Habitat für Mauereidechsen im Südwesten des Geländes erweitert werden soll. Die Eidechsen waren praktisch die ersten, die umgezogen sind. Auf dem Gleisfeld der Güterbahn fühlen sie sich offenbar so wohl, dass sie sich stark vermehrt und den Neubau der Halle gefährdet haben. Schließlich stehen sie unter Naturschutz. Boris Schwartz hat deshalb mit einem Biologen das Biotop aufgebaut - "der allererste Bauabschnitt", wie er sagt. Vorher fuhren an der Stelle Lkw, inzwischen liegen dort Pflastersteine, längliche Steinkästen, kleine Kiesberge - Orte zum Sonnen, zum Eierlegen. Plätze, wo sich auch Eidechsennahrung tummelt, "ein kleiner Tierpark" sei es geworden. Bereits mehr als tausend Eidechsen sind eingezogen. Um etwa ein Drittel auf dann rund 8000 Quadratmeter soll das Gelände noch erweitert werden.

Einige Hallen, die nicht unter Denkmalschutz stehen, werden vermutlich abgerissen. Darunter sind die Hallen 2 bis 4, die direkt an die Halle 1 angeschlossen sind. Das betrifft auch die Feinkosthalle, die Halle 23 und den Bau der Balthasar-Papp-Halle in der Nähe des Kraftwerks. Bei der Papp-Halle könnte ein kleineres Wohngebiet entstehen, sagt Schwartz. Allerdings sei unterhalb der Straße eine Fernwärmeleitung verlegt, die einen Umbau erschweren könnte. Eine der beiden Umschlaghallen wird ebenfalls abgetragen, jedoch an gleicher Stelle größer wieder neu aufgebaut und mit der anderen verbunden. Die beiden Gebäude sollen zusammen die neue Umschlaghalle am Kopf der neuen Halle bilden.

Eines wird die Sendlinger freuen: Die alte Thalkirchner Straße wird voraussichtlich wieder geöffnet. Der Markhallen-Chef würde sehr begrüßen, wenn dann die Braunauer Eisenbahnbrücke nicht nur für Züge, sondern auch für Fußgänger und Radfahrer geöffnet würde - eine direkte Verbindung vom Großmarkt-Areal zum anderen Isarufer. Einfluss hat er darauf allerdings nicht. Es sei, sagt er, eher eine Vision.

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