Sendling:Der Tod, der Tango und die Liebe

Michaela Dietl

Michaela Dietl und das Akkordeon, mit ihm war sie auch als Straßenmusikerin unterwegs.

(Foto: Roswitha Pross/oh)

Die Tonkünstlerin Michaela Dietl hat ein Requiem für Akkordeonorchester, Alphorn und Sopran komponiert. Zur Uraufführung kommt dieses musikalische Experiment am Sonntag in der Sendlinger Himmelfahrtskirche

Interview von Jutta Czeguhn, Sendling

In der evangelisch-lutherischen Himmelfahrtskirche sind die Sitzbänke einander zugewandt, sie nehmen den Altar in ihre Mitte. In der Architektur spiegelt sich die Aufgeschlossenheit der Gemeinde für Begegnung wieder, für Experimente auch im Musikalischen. Die Sendlinger Orgelnächte sind Erlebnisse, und an diesem Sonntag, 29. Mai, steht wieder Besonderes an: die Uraufführung eines Requiems für Akkordeonorchester, Alphorn und Sopran. Komponiert hat das Werk die Münchner Tonkünstlerin, Akkordeonistin und Liedermacherin Michaela Dietl.

SZ: Ein Requiem, eine Totenmesse, zu komponieren, ist kein alltägliches Geschäft. Wie kam es zu dem Projekt? War eine Grenzerfahrung der Impuls?

Dietl: Als kleines Kind hatte ich viele Operationen, die Narkosen waren für mich Grenzerfahrungen. Wache ich wieder auf? Früh hat mich auch die Frage bedrückt, was ist, wenn ein mir naher Mensch stirbt? Ich erinnere mich an eine große Verlustangst, die mich begleitet hat. Heute bin ich 57, habe in den vergangenen Jahren Freunde durch schwere Krankheiten verloren. Als Musikerin spiele ich auch oft bei Beerdigungen. Ich habe gespürt, das Thema Tod beschäftigt mich. Ich wollte mich intensiver damit auseinandersetzen. Es ist regelrecht angestanden. Außerdem war da dieser Text von Felix Eder, den ich schon vor Jahren begonnen habe zu vertonen, dann wieder in die Schublade gelegt habe, niemals habe ich diesen Text vergessen. Er brauchte den richtigen Zeitpunkt.

Wie wichtig war Ihnen bei Ihrer Komposition der traditionelle Aufbau des Requiems mit Introitus, Kyrie, Dies irae, Offertorium, Sanctus und so weiter?

Felix Eder hat ja keinen liturgischen Text geschrieben. Dennoch gibt es in meiner Komposition das Kyrie, Dies Irae und Lacrimosa.

Das "Dies Irae", der "Tag des Zorns", der in den klassischen Requiems oft sehr furios auskomponiert ist, was bedeutet dieses "Jüngste Gericht" für Sie?

Jeder Mensch hat Verantwortung für sein Leben. Bis zum Schluss. Somit dürfen wir auch bis zum Schluss vergeben. Das ist etwas sehr Schönes, finde ich.

Sind sie ein religiöser Mensch?

Nicht im konfessionellen Sinn. Ich war katholisch, bin aber aus der Kirche ausgetreten. Als Kind bin ich gerne in die Kirche gegangen, die Stille dort, da konnte ich mich spüren.

Sie bringen Ihr Requiem in der Himmelfahrtskirche zur Aufführung.

Ich habe dort das "Deutsche Requiem" von Brahms gehört. Eine Kirche ist ein Raum, in dem existenzielle Themen ihren Platz haben. Wir kommen dort hin, sitzen zusammen und gehen allein. Wie im Leben. Außerdem ist die Akustik in der Kirche natürlich sehr gut.

Die Besetzung Ihres Requiems ist mit einem 16-köpfigen Akkordeonorchester, einer Alphorn-Musikerin und zwei Sopranistinnen ungewöhnlich. Wie haben Sie das Werk zusammen erarbeitet?

Das war für uns fast wie ein Lebensabschnitt. Waren wir doch alle eine lange Zeit mit einem Thema befasst, für das sich oft gar nicht die Sprache findet, das man gerne vor sich her oder weg schiebt. Was heißt es, zu sterben? Was bedeutet es, jemanden zu verlieren? Wie geht man damit um? Wie kann man die eigene Endlichkeit akzeptieren? Es gab während der Probenzeit auch Ereignisse, etwa, dass der Anruf kam, ein Bekannter sei gerade auf die Intensivstation gebracht worden. Das sind intensive Momente. Der Arbeitsprozess war sehr anstrengend. Doch die Gruppe ist zusammengewachsen.

Können Sie die Musik beschreiben?

Akkordeons, die zittern, schweben, brennen, hämmern, seufzen. Sopranistinnen mit poetischem und furiosem Gesang, Stille, Atem.

"Requiem - Gedenke in Liebe, ein Tango" nennen Sie ihr Werk. Welche Rolle spielt der Tango?

Ich habe auf meinem Instrument, dem Akkordeon, komponiert, und das hat sich immer öfter nach Tango angehört. Der Tango ist für mich Wollen, Loslassen, Begegnung, Trennung, Hin und Weg, "Kleiner" Tod als Generalprobe für den "Großen", die Herausforderung zur Liebe - stärker als der Tod.

Kann die Musik auch Trost geben?

Natürlich ist der Schluss tröstend. Und vielleicht geht jemand raus mit einer anderen Aufmerksamkeit dem Leben gegenüber.

"Requiem - Gedenken in Liebe, ein Tango", Uraufführung am Sonntag, 29. Mai, 20 Uhr, Uraufführung in der Himmelfahrtskirche, Kidlerstraße 15, Karten zu 15, ermäßigt zwölf Euro, Einlass um 19.30 Uhr.

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