Sendling:Dorf in der Stadt

Engagierte Sendlinger versuchen, ein Bewusstsein für die Besonderheiten ihres Viertels zu schaffen. Mit zwei Bilderserien dokumentieren Werner Resch und Christophe Schneider, wie weit die Gentrifizierung fortgeschritten ist

Von Laura Zwerger, Sendling

Ein Dorf inmitten der Stadt - für dieses Lebensgefühl schätzen viele Sendlinger ihr Viertel. "Sendling hat eine eigene Identität, man kennt sich noch und grüßt sich", sagt Gabi Duschl-Eckertsperger. Sie ist eine der Koordinatoren der Sendlinger Kulturschmiede, eines Vereins, der sich für den Denkmalschutz einsetzt, Kunst und Kultur fördert. Derzeit zeigen Fotografien von Werner Resch und Christophe Schneider in den Vereinsräumen an der Daiserstraße 22 besondere Orte, denkmalgeschützte Gebäude und aussterbende Handwerksberufe des Quartiers.

"Ensembleschutz für den Ortskern Sendling - jetzt!" und "Sendlinger Handwerk - Die bedrohte Art" sind die beiden in der Sommerausstellung vereinten Bilderserien benannt, beide beinhalten eine Thematik: Die Gentrifizierung, eine Verdrängung des Alten durch Neues, gilt als eine der größten Bedrohungen der Quartiers-Tradition. "Wenn irgendwann alle Fassaden gleich aussehen, gibt es keine Identität mehr", merkt Duschl-Eckertsperger an.

Um diese bedrohte Identität bildlich festzuhalten, ist sie vor rund einem Jahr auf den Fotografen Werner Resch zugegangen. Der streifte daraufhin durch das Viertel und hielt lokale Besonderheiten fest. "Sendling macht sehr stark eine dörfliche Struktur inmitten des Viertels aus - das bringt seinen ganz eigenen Charme mit sich", sagt Resch. Auf einer seiner Fotografien ist die Stemmerwiese, eine beliebte Naherholungsfläche für Anwohner, zu sehen. Dort grenzte einer der letzten Bauernhöfe Münchens an, auf dessen Wiese einst noch die Kühe grasten. Heute ist nur noch die Atmosphäre mit dem grünen Gras, den vielen Bäumen und den roten, alten Hausdächern geblieben.

Besonders der Verkehr ist laut Resch mittlerweile ein Problem, das merklich zunehme. Das Viertel droht immer wieder zu einem Verkehrsknotenpunkt zu werden - schon Bürgerinitiativ-Bewegungen in den Siebzigerjahren kämpften gegen Straßenerweiterungen an. So konnte etwa durch das Engagement der Bürger ein Ausbau der Bundesstraße B 12 in Sendlings Mitte verhindert werden. Doch auch wenn sich laut Duschl-Eckertsperger neben dem Verein auch der Sendlinger Bezirksausschuss sehr für den Erhalt der örtlichen Struktur einsetze, so konnte die Gentrifizierung doch nicht überall aufgehalten werden: Einige der traditionsreichen Handwerksbetriebe Sendlings mussten bereits weichen.

Mit der Vertreibung dieser Betriebe hat sich der Fotograf Christophe Schneider in den vergangenen Jahren beschäftigt, in Bildern von alten Schmieden, Stuhlgestellbauern oder Pianoherstellern. "Es ist eine gruselige Entwicklung momentan", sagt Schneider. "Irgendwann hat man nichts mehr im Viertel - braucht man eine Schraube, dann muss man erst mal eine Stunde zum nächsten Baumarkt fahren." Schneider, Anfang 50, lebt seit 1978 in Sendling, damals konnte er noch in den Laden um die Ecke gehen, in dem der Besitzer dann aus kleinen Schublädchen die passende Schraube heraussuchte.

Manche Betriebe, so wie "Die Einrichterei" der Schreinerin und Innenarchitektin Christina Lechner können sich noch halten, ebenso wie viele der alten Fassaden und Straßenzüge geschützt werden konnten. Doch um Sendling weiter vor einer großflächigen Gentrifizierung zu bewahren, muss laut Duschl-Eckertsperger "das Bewusstsein gefördert werden, in einem erhaltenswerten Stadtteil zu leben". Dabei soll die Ausstellung helfen, denn einige Fragen müssen in naher Zukunft noch geklärt werden: Was geschieht beispielsweise mit dem Gotzinger Platz, wenn sich die Großmarkthalle weiter zurückziehen wird?

Die Ausstellung befindet sich in der Sendlinger Kulturschmiede, Daiserstraße 22, ist bis einschließlich Donnerstag, 11. August, jeweils Dienstag, Mittwoch und Donnerstag von 18 bis 21 Uhr und Sonntag von 11 bis 13 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.

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