Sendling:Angst vor dem Domino-Effekt

Nach der aberkannten Gemeinnützigkeit ist nicht nur der Fortbestand von Stattauto bedroht, auch die Arbeitsplätze der A-24-Werkstätten sind in Gefahr. Diesem Szenario tritt der Sendlinger Bezirksausschuss energisch entgegen

Von Berthold Neff, Sendling

Seit einem Vierteljahrhundert schon macht der Carsharing-Anbieter "Stattauto" auch jene Menschen in der Stadt mobil, die aus Umwelt- oder Kostengründen auf ein eigenes Fahrzeug verzichten. Nun aber ist Stattauto in Gefahr, da das Finanzamt München dem Projekt rückwirkend den Status der Gemeinnützigkeit aberkannt hat. Künftig soll das Unternehmen, das inzwischen zur gemeinnützigen Spectrum Mobil GmbH gehört, seinen Kunden nicht mehr den reduzierten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent berechnen dürfen, sondern muss sie mit 19 Prozent zur Kasse bitten. Allein für die Jahre 2013 und 2014 soll Stattauto dadurch eine Million Euro nachzahlen - die Insolvenz droht.

Mit einem Dringlichkeitsantrag hat der Bezirksausschuss (BA) Sendling nun am Montagabend Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und das Referat für Arbeit und Wirtschaft aufgefordert, sich beim Finanzamt München dafür einzusetzen, dass die Spectrum Mobil GmbH und damit auch Stattauto die für das Projekt "überlebenswichtige Gemeinnützigkeit anerkannt bekommt". Denn: Durch die Entscheidung des Finanzamtes droht auch jenen 120 Mitarbeitern der Verlust des Arbeitsplatzes, die in den "A 24 Kfz- und Zweiradwerkstätten" an der Aidenbachstraße 36 arbeiten, dem zweiten gemeinnützigen Betrieb der 1986 gegründeten Spectrum Mobil GmbH.

Sendling: Mehr als bloß vermieten: In den A-24-Werkstätten an der Aidenbachstraße arbeiten 120 Menschen.

Mehr als bloß vermieten: In den A-24-Werkstätten an der Aidenbachstraße arbeiten 120 Menschen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Dort wird die berufliche und soziale Integration von benachteiligten Menschen gefördert. "Markenzeichen von Spectrum ist die Einbindung der Auszubildenden und der Mitarbeitenden in die berufliche Wirklichkeit eines am Markt agierenden Unternehmens bei gleichzeitiger sozialpädagogischer Betreuung". Die A-24-Werkstätten werden von der Stadt durch das Münchner Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm (MBQ) gefördert, profitieren aber auch von den Carsharing-Erlösen.

Petra-Maria Klier, Geschäftsführerin von Stattauto, hat ihren etwa 12 500 Kunden inzwischen mitgeteilt, dass künftig der Regelsteuersatz von 19 Prozent berechnet wird. Sie bedankt sich dafür, "dass viele unserer Teilnehmer die soziale Ausrichtung von Stattauto ganz bewusst mittragen". Schließlich sei Stattauto das einzige Carsharing-Unternehmen, das sich der "Ausbildung, Umschulung und Beschäftigung von benachteiligten Menschen mit multiplen Hemmnissen verschrieben hat".

Teilen statt besitzen

Das im Jahre 1992 gegründete Unternehmen Stattauto soll zumindest nach dem erklärten Willen von SPD, Grünen und FDP in Sendling gemeinnützig bleiben. Den etwa 12 500 Kunden im Stadtgebiet München und Umgebung stehen derzeit etwa 450 unterschiedlich große Fahrzeuge an insgesamt 115 Stationen zur Verfügung. Wer Teilnehmer werden will, muss eine 500-Euro-Kaution hinterlegen, MVV-Abo-Besitzer zahlen 250 Euro; die Monatsgebühr beträgt sieben Euro. Die Tarife, die im Viertelstunden-Takt berechnet werden, orientieren sich an der Fahrzeugklasse und der Tageszeit. Ein Auto der Miniklasse schlägt tagsüber mit zwei Euro pro Stunde zu Buche, von Mitternacht bis 8 Uhr morgens mit 0,50 Euro. Hinzu kommen die Kosten pro Kilometer von 0,20 Euro, Kraftstoff inbegriffen. Gebucht wird per Telefon oder über die mobile App. Die Autos können auch tage- oder wochenweise gebucht werden. bn

Das alles war für die SPD-Fraktion im BA Sendling Grund genug, Stattauto mit einem Dringlichkeitsantrag zur Seite zu springen - nicht zuletzt deshalb, weil die mittlerweile neun Stattauto-Standorte im Viertel vor 25 Jahren zu den ersten in der Stadt gehört hätten, wie es der Gremiumsvorsitzende Markus Lutz (SPD) formulierte. SPD-Sprecher Ernst Dill betonte, dass die Quersubventionierung wichtig sei, um die Werkstätten mit ihrer wichtigen sozialen Funktion weiterzuführen. Die CSU jedoch verweigerte ihre Zustimmung. Es sei Sache der Finanzbehörden und der Gerichte, darüber zu entscheiden, "ob ein unterstützenswerter Zweck auch steuerbegünstigt sein muss", sagte Andreas Lorenz, der für die CSU auch im Landtag sitzt. Der Antrag wurde gegen die CSU mit den Stimmen von SPD, Grünen und von Holger Glaeske (FDP) verabschiedet.

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