Selbstversuch im Grusel-Schloss:Unter Geistern

Kein Platz für Rummelplatz-Romantik: Erschrecken in der Geisterbahn ist ein Knochenjob, für den sich nicht jeder eignet. Einen Nachmittag lang versuchte sich unser Redakteur als Gast-Geist auf dem Oktoberfest. Dumm nur, dass er die Hustenbonbons vergessen hatte.

Tobias Dorfer

Am Bahnhof steht ein Zombie. Sein Gesicht ist blutüberströmt, Därme hängen aus seinem Bauch, der Kopf ist mit Metallspitzen übersät. Dann bekommt die schauerliche Gestalt ihr Mittagessen aus der Hundefutter-Dose. Ein Teufel streicht sich mit einer Feuerfackel über den Arm und steckt sich den brennenden Stab schließlich in den Mund. Zum Schluss erklingt Haindlings Lied Bayern, des samma mir. Der Zombie schuhplattlert.

OKTOBERFEST / GEISTERSCHLOSS - Reportage Selbstversuch als Kinderschreck

Tim Börschel gibt in Andreas Kunz' Geisterschloss einen Zombie. Der 34-Jährige zählt zu den profiliertesten Erschreckern im Grusel-Team.

(Foto: Johannes Simon)

Der Bahnhof, das ist der Ort, an dem die kleinen Gitterwagen im Geisterschloss von Andreas Kunz verschwinden. Seit 75 Jahren steht die Anlage auf dem Oktoberfest - mit der Rocky-Horror-Comedy-Show auf der kleinen Bühne werden die Fahrgäste in die Geisterbahn gelockt. Eigentlich wollte ich mich nur einen Nachmittag als Gast-Geist versuchen, doch bereits jetzt zeigt sich: Der Job wird schwieriger als ich dachte.

Dann kommt Inhaber Kunz mit den Grusel-Utensilien: ein schwarzer Umhang, eine Totenkopfmaske und eine leere Halbliterflasche. In der Geisterbahn ist es finster, die Augen gewöhnen sich nur langsam an die Dunkelheit. "Bloß nicht auf meine Schienen treten", sagt Kunz. Immerhin leuchtet er mit einer Taschenlampe den Weg.

Der Einsatzort befindet sich hinter einem niedrigen Bauzaun. Die Fahrgäste tuckern durch eine U-Kurve an meinem Versteck entlang. Tim Börschel, der Zombie von eben, erklärt mir die Aufgabe: Wenn der Wagen vorbeifährt, muss ich hinter einem Vorhang herausspringen, möglichst laut brüllen und dazu den Boden der Flasche kräftig am Gitter des Wagens entlangziehen - so dass es richtig rattert. Dann wieder verstecken. Sobald der Wagen in meinem Rücken ist, soll ich mit Karacho hervorspringen, erneut die Flasche schwingen und, wenn die Zeit reicht, mit der flachen Hand gegen den Wagen schlagen.

Aber das ist noch nicht alles. Kinder dürfen nicht zu sehr erschrecken, so die Ansage vom Chef. Da reicht auch ein verschwörerisches "Give me five!" oder ein rauchiges "Komm zu Papa!". Allerdings muss ich Kinder selbst erkennen - in Bruchteilen von Sekunden.

Ein guter Geist, das merke ich schnell, braucht Entertainer-Qualitäten. Die meisten von Kunz' sieben Erschreckern haben eine Schauspielausbildung oder kommen sogar von der Oper. Tim Börschel, von seinem Chef "Premium-Geist" genannt, ist 34 Jahre alt, hat einmal eine Ausbildung zum Hotelkaufmann angefangen, später als Straßenmusiker gearbeitet, bevor er sich für sieben Jahre an Kunz und das Geisterschloss gebunden hat. Meine Vita umfasst dagegen eine Hauptrolle im Schultheater, aber das ist auch schon elf Jahre her.

Zwei junge Frauen wagen die Tour, und kündigen sich schon auf dem Weg zu meiner Kurve durch lautes Kreischen an. Eine dankbare Aufgabe eigentlich. Aber als der Wagen dann mein Versteck passiert, sind meine Arme zu kurz, die Flasche touchiert den Wagen lediglich und das Gebrüll... naja. Die Frauen kreischen, immerhin, aber wahrscheinlich hätten sie auch gekreischt, wenn Giulia Siegel dort gestanden und Kusshändchen geworfen hätte. Als das Duo außer Sichtweite ist, kommt Inhaber Kunz und lacht. Sein Urteil: ausbaufähig.

Männer kreischen nicht

Der Inhaber ist 40 Jahre alt, seit einem Vierteljahrhundert tingelt er mit seinem Geisterschloss über die Volksfeste der Republik. München, Straubing, Frankfurt, Bremen - lediglich im Januar und Februar ist spielfrei, dann wird die Anlage optimiert. Kunz kennt das Geschäft, er hat viele Geister kommen und gehen sehen und er weiß, dass der Job seinen Mitarbeitern einiges abverlangt.

Um 8 Uhr stehen Tim Börschel und seine Kollegen bereit, dann wird geschminkt, bevor gegen 11 Uhr der erste Wagen startet. Zwei Stunden dauert eine Schicht, dann gibt es 30 Minuten Pause, Feierabend ist um 23 Uhr. "Ich sehe sofort, ob jemand für den Job geeignet ist", sagt Kunz. "Trottel kann ich hier nicht gebrauchen." Hatte er alles schon. Bewerber, die nach einer halben Stunde eingeschlafen sind. "Die Leute zahlen vier Euro pro Fahrt", sagt Kunz. "Da muss alles funktionieren."

Bei meinem Selbstversuch funktioniert unterdessen nicht allzu viel. Zwei Männer kommen, flüstert Tim. "Jetzt kannst du ordentlich loslegen." Doch Männer kreischen nicht. Ob ich gut war oder nicht, werde ich ihnen nicht anmerken. Der Wagen kommt, die Flasche kratzt schon lauter am Wagen entlang. Ich werde wagemutig und schlage zum Abschied fest gegen das Gitter. Plötzlich fährt ein stechender Schmerz durch meine Hand. Erschrecken ist heftiger als Volleyballspielen. Die Männer lachen. Inhaber Kunz kritisiert, ich hätte zu wenig Power. Gar nicht gut. Dabei hätte es auch schlimmer kommen können. Tim Börschel erzählt von Betrunkenen, die ihm beinah die Zacken vom Kopf abgerissen hätten.

Doch was macht einen guten Geist aus? Schmerzfreiheit? Kraft? Eine laute Stimme? Er muss sich gut in Menschen hineindenken können, sagt Tim Börschel. "Ein Erschrecker muss den Gästen in die Augen schauen können und sehen, wer Angst hat und wer nicht. Und dann muss er seine Performance darauf abstimmen." Konkret: Wer es verträgt, bekommt die volle Ladung, bei schreckhaften Gästen lassen es die Geister ein wenig ruhiger angehen.

Der letzte Versuch. Ein Wagen kündigt sich an. Schnell die Maske aufgesetzt, geschaut - aha, ein Kind ist an Bord. Der Scheinwerfer leuchtet mich an, ich stehe wie festgenagelt. Plötzlich bewege ich mich, behutsam. Ich klopfe sanft gegen das Gitter und winke. Ich sehe schon die Zweifel in den Augen des Inhabers, doch dann schaut er in den Wagen, sieht das Kind und wirft mir einen anerkennenden Blick zu. Alles richtig gemacht, zum ersten Mal.

Nach 45 Minuten ist die Stimme endgültig weg, die Finger tun weh. Unweigerlich frage ich mich, ob Tim Börschel und die anderen Geister jeden Tag Kamillentee trinken und Fisherman's Friends lutschen, doch irgendwie wäre das albern: ein Zombie, der nach Kamille und Menthol riecht. Egal - den Job hätte ich wohl niemals bekommen.

Ich entledige mich meiner Totenkopfmaske und gehe nach draußen. Langsam gewöhnen sich meine Augen wieder an das Tageslicht. Tim Börschel steht draußen auf der Bühne. Er isst schon wieder aus der Hundefutterdose.

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