Schwulenfeindliche Musiker:Grenzen der Kunst

"Darf ich denn mit allem Geld verdienen?" Im Backstage durften wiederholt umstrittene Musiker auftreten. Ist das Teil der Meinungsfreiheit oder schwulenverachtend?

Dirk Wagner

Da mochte so mancher Grüner grün anlaufen im Gesicht, als die Pressemitteilung der Grünen Jugend München sich so sehr über die schwul-lesbische Reggaeparty zu Silvester im Backstage freute: "Mit der Auswahl der Künstler für diese Silvesterparty beweist das Backstage, wie so oft in den vergangenen 19 Jahren, dass Kultur sich über Vorurteile und Ängste mühelos hinwegsetzt." Immerhin hatte der grüne Stadtrat vor kurzem erst in einem offenen Brief Gegenteiliges behauptet.

Schwulenfeindliche Musiker: Feiern ohne Skandal: Am vergangenen Freitag im Backstage.

Feiern ohne Skandal: Am vergangenen Freitag im Backstage.

(Foto: Foto: Haas)

Mit dem Konzert des jamaikanischen Reggaemusikers Sizzla im November habe der Betreiber des Clubs, Hans-Georg Stocker, wiederholt einen bekanntermaßen homophoben Künstler im Backstage auftreten lassen. Damit biete Stocker Menschen ein Forum, die sogar zum Mord an Homosexuellen aufrufen, so Rita Braaz von der Rosa Liste.

Vor einem Jahr suchte sie darum das Gespräch, als Stocker den schwulenverachtenden Bounty Killer in seiner Halle auftreten ließ. Sie besuchte damals sogar dessen Konzert, bei welchem Bounty Killer entsprechend vorheriger Absprachen tatsächlich auf die angefeindeten Textpassagen in seinen Darbietungen verzichtet hatte. Ansonsten habe es aber wohl Hinweise seiner menschenrechtsverletzenden Gesinnung in dessen Ansagen gegeben.

Dass Stocker mit Sizzla nun wiederholt die Warnungen aus der Schwul-Lesben-Szene gegen einen Künstler missachtet, verärgert Braaz. Schließlich habe er als Veranstalter auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung: "Darf ich denn mit allem Geld verdienen", fragt Braaz. "Darf ich denn jedem den Auftritt verbieten, dessen Meinung mir nicht schmeckt", kontert Stocker. Nicht zuletzt weil vor Jahren noch in seinem Club die schwul-lesbische Partyreihe "Candy Club" geboren wurde, sieht er das Backstage als einen Schwulen- und Lesben-freundlichen Ort.

Er selbst möchte Homophobie darum auch niemals rechtfertigen. Zum einen werde er aber trotzdem nicht das Gesamtwerk eines Künstlers überprüfen, bevor er ihn engagiert. Der Anteil der schwulenfeindlichen Passagen in Sizzlas Werk sei ohnehin verhältnismäßig gering, so Stocker, im Wesentlichen habe Sizzla doch gegen Umweltzerstörung und dergleichen protestiert. Zum anderen sei Stocker aber gerne bereit, entsprechenden Hinweisen gegen Künstler mit den gewünschten Konsequenzen nachzugehen, wenn diese Hinweise sich ihm gegenüber nicht nur als Mutmaßungen gebärden würden, die im Fall Sizzla sogar auf Fehlübersetzungen basiert hätten.

Was in einem Song gemeinhin als Aufruf, die Schwulen zu verbrennen, missdeutet würde, sei in Wahrheit nur Ausdruck einer persönlichen Verachtung gegen Homosexuelle. "Ist es denn besser, zu sagen: Ich verachte Schwule", winkt Stadträtin Lydia Dittrich von den Grünen solche Verharmlosungen ab. Mit den Worten ihres eigenen Pressesprechers Markus Viellvoye ist es das aber sehr wohl: "Jeder hat das Recht zu sagen, ich mag keine Schwulen. Aber wenn wer auffordert, Schwule zu verbrennen, hat das nichts mehr mit Meinungsfreiheit zu tun."

Genau die sieht Stocker allerdings gefährdet, wenn aufgrund ungeprüfter Behauptungen, wie er betont, Auftritte verboten würden. Wobei Meinungsfreiheit ja auch kranke Meinungen beinhaltet, wie der Philosoph Theodor W. Adorno noch Ende der Sechziger Jahre schrieb. Das Grundgesetz selbst schließt die Meinungsfreiheit dagegen dort aus, wo sie die allgemeinen Gesetze, die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und das Recht der persönlichen Ehre verletzt, erklärt Lydia Dittrich und bedauert, dass Stocker offensichtlich nicht begreifen wolle, wem er da ein Forum bietet.

Und das nicht zum ersten Mal. Schon 2005 protestierte der Asta der Uni München in einem offenen Brief dagegen, dass das Backstage einem "offen nationalistisch, sexistisch und homophob auftretenden Künstler ein Forum" böte. Fler hieß der Künstler, doch als dieser vor kurzem mit Bushido in der Tonhalle gastierte, demonstrierte niemand dagegen.

"Theo van Gogh hat noch Glück gehabt, dass er so schnell gestorben ist. Ich hätte ihn in den Keller gesperrt und gefoltert", soll der deutsch-türkische Pop-Sänger Muhabbet die Ermordung des niederländischen Regisseurs wegen dessen Islamkritik kommentiert haben. Zudem besang er die Stadt Köln auch mal als Stadt voller "Schwuchteln und Schlampen", und dass er einer sei, "der schweigt und das Messer zeigt, nachdem ich zugestochen habe". Trotzdem durfte er 2008 unangefeindet auf einem Festival "Music for Goals" gegen Rassismus in der Muffathalle auftreten.

Solche Nachsicht hat Stocker mit seinem Backstage allerdings verspielt, so scheint es. Denn der offene Brief, den einige Münchner Stadträte und Stadträtinnen unterschrieben, sucht laut Rita Braaz von der Rosa Liste wirklich nicht mehr das Gespräch. Er drückt stattdessen öffentlich ein Missfallen aus, auch wenn er ganz offensichtlich keine Einsicht beim Adressaten bewirke. Insofern der Stadt München auch weitere Druckmittel fehlen, ist selbst eine unterschwellig mitschwingende Drohung der empörten Stadträte eine leere.

Trotzdem findet Braaz es wichtig, hier eine Position zu beziehen. "Vor allem müssen wir uns der Frage stellen: Wie kann man perspektivisch als Stadt erreichen, ein Gegenbewusstsein zu schaffen", räsoniert Braaz, die als Selbstverteidigungslehrerin auch bei Mädchen eine zunehmende Gewaltbereitschaft feststellt. Inwieweit diese nun von Musik, Filmen oder Computerspielen verstärkt wird, ist in der Medienwirkungsforschung allerdings umstritten. Im Februar wird das dann wohl auch Thema eines Stadtrathearings sein.

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