Schwierige Arbeit:Im Schatten der Erzieher

Warnstreik Erzieher und Sozialarbeiter

Auch die Heilpädagogen beteiligen sich am Arbeitskampf.

(Foto: Marc Müller/dpa)

Alle reden nur vom Kitastreik, doch auch andere Sozialberufe kämpfen um mehr Anerkennung für ihren Job

Von Melanie Staudinger

Erzieherinnen im Ausstand, Kitas geschlossen, die Stadt muss eine Notbetreuung organisieren und will den Eltern die Beiträge für die Streiktage zurückzahlen: Mit der unbefristeten Arbeitsniederlegung im Sozial- und Erziehungsdienst ist es der Gewerkschaft Verdi gelungen, eine große Öffentlichkeitswirkung zu erzeugen. Dass zum Sozial- und Erziehungsdienst aber nicht nur die Erzieher gehören, sondern eine ganze Reihe weiterer Berufsgruppen, ist dabei ein wenig untergegangen. In den Kitas arbeiten nicht nur Erzieher, sondern auch Kinderpfleger und Einrichtungsleitungen. In den Behinderteneinrichtungen ist der Betrieb ebenfalls eingeschränkt, weil Heilpädagogen in den Ausstand getreten sind. Oder in den Sozialbürgerhäusern der Stadt, weil Sozialpädagogen streiken. Gerade ihnen fehlt die öffentliche Lobby. "Wenn der Mitarbeiter des Jugendamts mal nicht kommt, findet das unsere Klientel meistens nicht ganz so schlimm", sagt eine Sozialpädagogin.

Doch auch sie und ihre Kollegen fordern eine Aufwertung ihres Berufes - in den vergangenen Jahren, so ihre Argumentation, seien zahlreiche Aufgaben dazugekommen. Nervlich aufreibend sei der Job manchmal, einige könnten nur in Teilzeit arbeiten, was das Einkommen reduziere. Sozialarbeiter in München sind Allrounder. In den Sozialbürgerhäusern kümmern sie sich um Familien, die Probleme mit der Erziehung haben, um Jugendliche, die auf die schiefe Bahn geraten sind, um suchtkranke Erwachsene oder verschuldete Senioren, die es sich nicht einmal leisten können, ihre Wohnung zu heizen. Wenn etwas in einer Familie nicht stimmt, hat das meist mehrere Ursachen.

Sandra Storf kennt das. Die Sozialpädagogin ist in der Messestadt Riem eingesetzt, kein Vorzeigeviertel in München. Um neun Uhr beginnt ihr Arbeitstag: Mails checken, Anrufbeantworter abhören, Teamsitzung. "Vieles ist Routine, wir haben nicht nur akute Gefährdungsfälle", erzählt sie. Aber die gibt es auch. Kürzlich etwa, als eine Schulsozialarbeiterin bei ihr anrief. Ein Junge traue sich nicht mehr nach Hause, weil er von den Eltern geschlagen werde. Ein Fall, der keinen Aufschub duldet. Sofort machte Storf sich auf den Weg, sprach mit dem Kind und allein noch einmal mit den Eltern. "Der Junge ist bei seiner Aussage geblieben", sagt sie. Nun gibt es nur noch ein Mittel: Er muss aus der Familie genommen werden, zumindest vorläufig. Jetzt wird Storf sich die Situation in der Familie genauer anschauen, Probleme identifizieren, Hilfen anbieten. Bessert sich die Lage, kann das Kind zurück zu seinen Eltern. "Das sind Fälle, die man abends mit nach Hause nimmt", sagt Storf. Belastend. Aber man lerne, damit umzugehen.

Eher am Rande der Gesellschaft ist auch das Tätigkeitsfeld von Beate Brandl und Regina Yildirim. Die Heilpädagoginnen arbeiten in einer heilpädagogischen Tagesstätte mit oftmals mehrfach behinderten Kindern und Jugendlichen. Vollzeitstellen gibt es hier nicht - die Einrichtung öffnet erst im Anschluss an die Schule. Beide Frauen betreuen behinderte Jugendliche im Berufsschulalter, mit Trisomie 21, Autismus oder ADS. Jeder Schüler hat einen besonderen Förderbedarf. Der eine kann selbstständig mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, der andere nicht einmal den Tisch zum Mittagessen decken, wenn ihm nicht die Hand geführt wird. Andere wissen nicht, wie sie mit Aggressionen umgehen sollen und werden handgreiflich. Oder sie klauen im nahegelegenen Laden, weil ihnen das Unrechtsbewusstsein fehlt. "Wir müssen individuell reagieren", sagt Yildirim. Zwischen vier und sieben Jahre dauert die Ausbildung.

Heilpädagogen müssen aber auch Anwalt der Jugendlichen sein, die oftmals aus schwierigen oder zerrütteten Familien kommen. Brandl und Yildirim betreuen bis zu zehn junge Männer und Frauen zwischen 16 und 18 Jahren in einer Gruppe. Zum letzten Sommerfest - von den Schülern selbst organisiert - kamen ein Vater und eine Mutter. Für die Heilpädagoginnen bedeutet dies: Abends nach Dienstschluss besuchen sie die Familien, sprechen über die Entwicklung des Kindes. Die Überstunden werden zwar abgerechnet - eine Belastung sind sie trotzdem.

"Wir bräuchten manchmal zehn Hände gleichzeitig", sagt Brandl. Zum Beispiel, wenn die Gruppe einen Ausflug macht. "Wir wollen präsent sein in der Stadt und zeigen, dass es auch behinderte Menschen gibt", sagt Brandl. Doch ausreichend Personal für eine optimale Förderung fehlt, zu wenige entscheiden sich für diesen Beruf - die Arbeit mit behinderten Kindern und Jugendlichen ist anstrengend und wenig anerkannt. Bestätigung kommt aber von den Jugendlichen. "Sie sind direkt und uns sehr zugewandt. Wenn sie sich freuen, weiß man, dass sie es ernst meinen", sagt Yildirim.

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