Schwanthalerhöhe:Klassenkampf im Wirtshaus

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Den Eigentümer des "Dönerhauses" enteignen, damit dort genossenschaftliches Wohnen möglich wird: Das ist die radikalste Forderung, die bei der Bürgerversammlung für die Schwanthalerhöhe beschlossen wird

Von Andrea Schlaier, Schwanthalerhöhe

Vielleicht ist so etwas nur auf der Schwanthalerhöhe möglich. Inmitten eines prächtigen, voll besetzten, bayerischen Wirtshaussaales fordern Menschen die Enteignung einer Immobilie oder den Verbleib eines tiefroten, der Arbeiterbewegung verschriebenen Verlags in einer städtischen Immobilie - und nahezu alle Hände gehen nach oben. So gesehen bleibt sich die Nachbarschaft bei ihrer Bürgerversammlung im Wirtshaus am Bavariaring treu: Unkonventionelle Anträge werden am Donnerstagabend ebenso unterstützt wie der übliche Ruf nach mehr Verkehrsüberwachung.

Zur DNA der im achten Stadtbezirk lebenden Menschen gehört nicht nur, dass sie jünger (im Schnitt 38,9 Jahre) und bunter (34,5 Prozent ausländische Mitbürger) sind als das Normalo-Viertel in der Stadt, sondern auch, dass sie am Rande der Wiesn leben - und mit deren negativen Begleiterscheinungen. Ein Nachbar beklagt den unzureichenden Durchgang gerade zu Auf- und Abbauzeiten des Oktoberfests und macht eine originelle Rechnung auf: Er mutmaße, die Wirte ließen sich mit dem Her- und Wegrichten der Zelte so viel Zeit, weil für diese Periode geringere Pachtgebühren verlangt würden. Sollte dem so sein, solle die Stadt die Preise erhöhen. Ein Vertreter des zuständigen Referats für Arbeit und Wirtschaft schüttelt den Kopf: Für die Auf- und Abbauzeit werde keine Miete erhoben, es gebe ein generelles Platzgeld. Man habe bereits externe Gutachter in dieser Frage eingeschaltet. Ergebnis: Die bislang eingeräumte Zeit reiche für die anfallenden Arbeiten gerade so aus. Die mittlerweile verstärkten Sicherheitskontrollen nimmt das Gros der Wiesn-Anwohner ohne Murren hin. Lob gab es dafür von Peter Rodinger von der Polizeiinspektion 14: "Sie gingen mit tollem Beispiel voran" und zeigten großes Verständnis.

Das bedrohte rote Haus in der Schwanthalerhöhe war Thema in der Bürgerversammlung. (Foto: Florian Peljak)

Überhaupt, so der Polizeirat, machten die Bewohner der Schwanthalerhöhe es der Polizei nicht schwer. "Normales Einsatzgeschehen und Straftatenaufkommen"; die meisten Notrufeinsätze habe es wegen Verkehrsunfällen gegeben, vor allem an der Landsberger Straße und im Trappentreutunnel. Die Verkehrsbelastung stellte Bezirksausschuss-Chefin Sibylle Stöhr (Grüne) bereits eingangs als größtes Problem im Viertel heraus. Darauf beziehen sich auch die meisten Anträge der Versammlung, die Florian Roth leitet, Fraktionschef der Rathaus-Grünen. Für den "Stöpsel"-Übergang an der Trappentreustraße beim Gollierplatz werden häufigere Kontrollen ebenso gefordert wie Tempo 10 und eine fest installierte Überwachungskamera. Ja sagt die Mehrheit im Saal auch zu einer Verkehrs-Analyse rund ums künftige Einkaufszentrum "Forum Schwanthalerhöhe". "Das Verkehrsaufkommen bei uns", klagt ein Antragsteller, "wird immer schlimmer; die Lebensqualität nimmt immer mehr ab!"

Auf der Wunschliste der Versammelten steht außerdem, dass auf dem Gollierplatz wieder eine Behindertentoilette aufgestellt wird. Die Beobachtung eines Nachbarn, dass auf diesem Areal Heroin konsumiert und das Besteck im von vielen Kindern frequentierten Grünbereich zurückgelassen werde, will Stöhr nicht zu hoch gehängt haben: "Wir sind ein Innenstadtviertel, wo verschiedene Nutzergruppen zusammentreffen, ein Drogenviertel sind wir nicht."

In gleich vier Anträgen wird der Erhalt des Hauses mit der roten Fahne an der Tulbeckstraße 4 f gefordert. Dem Mieter des städtischen Anwesens ist gekündigt, die Räumungsklage eingereicht worden. Der entsprechende Stadtratsbeschluss vom Februar, so die Argumentation der Unterstützer, sei von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Stellvertretend erklärt Julian Mühlbauer, man wolle "trotz aktenkundiger und objektiver Zweifel" an der Wirtschaftlichkeit hier Wohnungen bauen, weil "einer Mehrheit im Stadtrat die politische Richtung dieser sozialen und kulturellen Einrichtung der Arbeiterbewegung nicht passt". Solidarität fast sämtlicher Anwesender. Gleiches gilt für den Antrag, den Eigentümer des "Dönerhauses" an der Schwanthalerstraße 119 zu enteignen. An der Stelle könnte genossenschaftliches Wohnen entstehen, schlägt York Runte vom links-alternativen Wohnprojekt "Ligsalz 8" vor. Applaus und Unterstützung gab es auch für diesen Vorstoß, den radikalsten des Abends.

© SZ vom 29.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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