Schwabing:Stör-Geräusche

kickende Jugendliche auf der Wiese am Ackermannbogen, vor dem Haus Therese-Studer-Str.17

Wenn der Fuß den Ball trifft, dann entsteht ein charakteristischer dumpfer Ton. Der ist sehr oft zu hören, wenn den ganzen Tag über gekickt wird.

(Foto: Florian Peljak)

Nachbarn der Großen Wiese im Wohngebiet Ackermannbogen leiden darunter, dass vor ihren Balkonen ständig Fußball gespielt wird. Doch einen Anspruch auf Ruhe haben sie nicht

Von Ellen Draxel, Schwabing

Das erste, was Tamara Feilis zu hören kriegt, wenn sie jemandem ihr Leid klagt, ist: Du magst keine Kinder. Dabei stimme das überhaupt nicht. "Ich liebe Kinder, die dürfen hier lachen, singen, schreien, Fangen spielen, klettern - das würde mich alles sehr freuen." Nur eines sollten sie bitte nicht tun: Fußball spielen. Gegen dieses laute Treten, gegen den dumpfen Ton, wenn der Fuß auf den Ball trifft, hat die Schwabingerin mittlerweile eine tiefsitzende Aversion entwickelt.

"Das Kicken vor meinem Balkon macht mich ganz krank, ich bin schon ein reines Nervenbündel." Tränen der Verzweiflung laufen ihr über die Wangen, wenn sie erzählt, wie sie seit Jahren dagegen kämpft, dass unten auf der Wiese von mittags bis Sonnenuntergang, sieben Tage die Woche, Derbys ausgetragen werden. Von Kindern und Erwachsenen. Dass sie bereits mehrfach mit dem städtischen Baureferat Kontakt deswegen aufgenommen hat. Und mit dem Nachbarschaftstreff. Und dem örtlichen Bezirksausschuss. Alles ohne nennenswerten Erfolg. "Ich wäre schon zufrieden, wenn ich wüsste, wann die Fußballer genau kämen. Dann könnte mein Kopf wenigstens ein Konzept machen." Derzeit ist das Spielen wochentags offiziell zwischen 7 und 20 Uhr erlaubt, an Sonn- und Feiertagen mit zwei Stunden Ruhezeit während der Mittagszeit.

Tamara Feilis, die eigentlich ganz anders heißt, ihren Namen aber nicht in der Zeitung lesen will, zog 2004 als eine der ersten an den Ackermannbogen. Aus der belebten Belgradstraße an einen Ort, der Ruhe versprach. Knapp sechzig war sie damals, ihr ganzes Geld steckte sie in die 65-Quadratmeter-Wohnung. "Ich war so glücklich, an diesem Filetgrundstück eine Wohnung zu ergattern." Jeden Tag besuchte sie die Baustelle, freute sich auf die als "Erholungsfläche" vom Planungsreferat ausgeschriebene Grünfläche vor ihrem Fenster, die Große Wiese. "Ruhige Aufenthaltsbereiche, Liegewiesen und Möglichkeiten für freies Spielen" sollten auf diesem Areal geschaffen werden, bestätigte ihr der Leiter der Abteilung Gartenbau im Baureferat, Ulrich Schneider, 2007 in einem Schreiben. Und im ersten Jahr wuchsen dort auch noch Krokusse, erinnert sich Feilis. Eine "Park-Atmosphäre", wie vom Baureferat versprochen, sei das hier aber inzwischen nicht mehr.

"Wegen des Kicker-Lärms graut es mir, nach Hause zu kommen, ich laufe deswegen extra lange in der Stadt herum", erzählt die Wohnungs-Eigentümerin. "Und ich freue mich, wenn es regnet oder schneit. Das kann doch nicht sein." Ein Ehepaar sei wegen des ständigen Fußballspielens vor einigen Wochen ausgezogen, eine weitere Nachbarin vor einem Dreivierteljahr. Und zuvor ein Arzt, der des Öfteren Nachtdienst hatte und nicht zu seinem Schlaf kam.

Ulrike Westermeier, deren kleiner Garten zur Kickerwiese zeigt, arbeitet am Flughafen. Sie hat ihren Schichtplan so umstellen lassen, dass sie am Wochenende, wenn ganztags der Ball rollt, nicht da ist. "Es ist wirklich nicht entspannt, hier zu wohnen." Auch sie hat nichts gegen Kinder, "wenn die zwei- oder dreimal in der Woche spielten. Aber das ist doch jetzt permanent".

Einzelfälle? Oder doch eher ein typisch urbaner Nutzungskonflikt, geboren aus der Dichte der Bebauung, unterschiedlichen Interessen und divergierenden Definitionen von Erholungsräumen? "Ich verstehe das Ruhebedürfnis der direkten Anwohner", sagt der Vorsitzende des Westschwabinger Bezirksausschusses, Walter Klein (SPD). "Es muss aber auch möglich sein, dass Fußball gespielt wird." Klein wohnt nicht in dem Neubauquartier, hat sich das Treiben auf der Großen Wiese aber mehrfach angeschaut. "Ich empfand es als völlig unproblematisch - nicht ruhig, aber hinnehmbar." Ob sich der Lärm besonders in den Loggien fange, könne er allerdings nicht sagen.

Ähnlich äußert sich Heidrun Eberle, die Leiterin der Nachbarschaftsbörse am Ackermannbogen. "Die gesamte Große Wiese, der nördliche wie der südliche Teil, waren bereits im Bebauungsplan als Spielwiese angelegt, nicht als Ruhezone." Sich um die Nutzung der Wiese zu kümmern, ist zwar nicht das Mandat des Treffs; Eberle und ihre Kollegin sind dennoch der Meinung, dass die Grünflächen dem ganzen Viertel zu Gute kommen sollten. "Es ist positiv, dass sich Leute im öffentlichen Raum treffen und ihn nutzen." Einen "überbordenden Spielbetrieb" konnte Eberle bislang nie wahrnehmen. "Da ist nicht den ganzen Tag Remmidemmi: Die Kinder sind oft im Ganztagesbetrieb und erst ab 17 Uhr draußen - bei schönem Wetter." Jede Stunde, die die Mädchen und Jungen nicht vor dem Computer säßen, sei doch eine gute Stunde.

Den Vorwurf, die Kinder würden nur im Mittelteil der Großen Wiese Fußball spielen, kann sie so nicht stehen lassen: "Wir haben 900 Kinder im Quartier, und Fußball gespielt wird überall: auf der gesamten Großen Wiese, aber auch südlich des Radwegs am Stadtwald und am Deidesheimer Anger." Und auch dort alles andere als ständig. "Ich verstehe, dass man als Anlieger ruhig wohnen will. Aber das Gemeinwohl-Interesse muss vorgehen." Festgelegte Nutzungszeiten für einzelne Bereiche der Großen Wiese - beispielsweise montags bis mittwochs Fußballspielen nur im südlichen Teil und donnerstags bis samstags nur im nördlichen Teil zuzulassen - hält sie für nicht praktikabel. "Wer soll das steuern? Das funktioniert nicht."

Eines Sonntagnachmittags im Mai um 15 Uhr vergnügten sich acht Kinder mit dem Ball auf der Wiese, vier Stunden später waren es dreimal so viele. "Da ist schon gut was los", sagt ein Papa, der am Rand sitzt. "Aber das ist ja der Sinn der Sache." Bei ihm selbst hat sich noch niemand beschwert, er weiß aber, dass Freunde wegen des Fußball-Lärms schon angesprochen wurden.

Die Große Wiese, sagt Baureferats-Sprecherin Dagmar Rümenapf, sei als Erholungs- und Spielwiese geplant und ausgeführt worden und diene, so die schriftliche, etwas geschraubt formulierte Stellungnahme, "der Allgemeinheit unentgeltlich für Erholungs- und Freizeitzwecke einschließlich spielerischer und sportlicher Aktivitäten". Gemäß der Grünanlagensatzung. "(Fußball)spielen ist also erlaubt." Sonderregelungen für die Große Wiese habe es nie gegeben und gebe es auch jetzt nicht, erklärt das Baureferat.

Der Ackermannbogen am südlichen Ende des Olympiaparks gilt als Paradebeispiel für gelungene Nachverdichtung, Konflikte treten aber selbst an solchen Orten auf. Für Feilis könnte ein Kompromiss sein, den geplanten Nachbarschaftsgarten auf dem Mittelteil der Großen Wiese zu realisieren. Und stattdessen das Bolzen auf dem Gelände neben der Mittelschule an der Elisabeth-Kohn-Straße zu gestatten, wo eigentlich der Nachbarschaftsgarten hinkommen soll.

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