Schwabing:Ehrenamtliche Nächstenliebe

Schwabing: Gemeinsam für alle kochen: Ehrenamtliche Helferinnen wie Helga Hirsch leisten einen wertvollen Beitrag für den Zusammenhalt im Viertel.

Gemeinsam für alle kochen: Ehrenamtliche Helferinnen wie Helga Hirsch leisten einen wertvollen Beitrag für den Zusammenhalt im Viertel.

(Foto: Robert Haas)

Die Initiative "Älter werden am Ackermannbogen" ist der Garant dafür, dass hilfs- und pflegebedürftige Menschen so lange wie möglich in ihrer eigenen Wohnung leben können und dabei den sozialen Kontakt nicht verlieren

Von Ellen Draxel, Schwabing

Das chinesische Schriftzeichen, das auf Monika Barrys linker Schulter prangt, bedeutet Drache. Ein Symbol für Energie und Kraft. Die Tätowierung sagt viel über die quirlige Wahlmünchnerin aus - 60 war sie, als sie sich die Linien in die Haut stechen ließ. Dass sie einige Jahre später ein Schicksalsschlag treffen würde, hätte die Regieassistentin damals nie und nimmer geglaubt. Doch dann, mit 69, bekam sie Kammerflimmern, ein Herzinfarkt folgte, ihr wurden zwei Stents gesetzt. Ihre geliebte Wohnung in Neuhausen musste Barry aufgeben, die Powerfrau war nicht mehr in der Lage, sich selbst zu versorgen. "Ich kann nur noch ganz wenig, und das stinkt mir", sagt die inzwischen 71-Jährige. "Ich, die ich immer ganz viel selbst gemacht habe, bin inzwischen eine richtige Belastung für meine Umwelt geworden."

Das sieht Günter Hörlein ganz anders. Der frühere Berufsschullehrer kommt mehrmals in der Woche zu Monika Barry, in ihre neue Wohnung am Ackermannbogen. "Er ruft mich an, hält Kontakt zu mir, meckert nicht - sehr sympathisch, ein echter Kumpane." Im Quartier sind die beiden schon zusammen spazieren gewesen, ab und an fährt Hörlein Barry ins Wohncafé ein paar Meter weiter - weil sie die Strecke alleine meist nicht schafft.

Hörlein ist Mit-Initiator und Sprecher der im Nachbarschaftsverein Ackermannbogen organisierten Projektgruppe "Älter werden am Ackermannbogen" (Älwa). Etwa 60 Senioren gehören der Gruppe an, sie sind das i-Tüpfelchen beim Konzept "Wohnen bleiben im Viertel", das offiziell am 14. Juli starten wird. Ziel des Wohnkonzeptes ist es, hilfs- und pflegebedürftigen Menschen möglichst lange das Leben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen. Ohne einen Versorgungsengpass fürchten zu müssen, ohne zu vereinsamen.

Neu ist das Konzept nicht, die städtische Wohnbaugesellschaft Gewofag praktiziert das Modell unter dem Motto "Wohnen im Viertel" bereits seit Jahren an anderen Standorten. Die Idee: Wer seit fünf Jahren in der Stadt lebt, einen Wohnberechtigungsschein mit einer hohen Dringlichkeitsstufe vorweisen kann und gleichzeitig in einer Pflegestufe eingestuft ist, kann sich für eine der jeweils zehn Projektwohnungen bewerben, die die Gewofag extra für dieses Wohnkonzept in den Quartieren barrierefrei baut.

Die Versorgung übernimmt ein ambulanter Pflegedienst, der auch allen anderen Bewohnern des Viertels bei Bedarf zur Verfügung steht. Außerdem gibt es ein Wohncafé, das einen Mittagstisch anbietet und die Gelegenheit schafft, nachbarschaftliche Kontakte zu knüpfen.

Am Ackermannbogen befinden sich diese Gewofag-Appartements an der Georg-Birk-Straße, und die ambulante Betreuung liegt in Händen des Evangelischen Pflegedienstes. Aber die ehrenamtlichen Begleiter wie Günter Hörlein, diejenigen, die sich Zeit für Gespräche nehmen, die die Blumen gießen, wenn einer der Bewohner mal ins Krankenhaus muss, die zum "Vertrauten" werden, mit dem man "alles bespricht, was einem auf dem Herzen liegt", wie Monika Barry sagt - diese Helfer gibt es nur am Ackermannbogen. In dem Schwabinger Neubauquartier sind es auch die Älwa-Mitglieder, die jeweils montags bis donnerstags von 9 bis 14 Uhr das Wohncafé betreiben. Es ist offen für alle und im Erdgeschoss der Petra-Kelly-Straße 26 untergebracht, im Haus der Baugemeinschaft Schwabing Hoch Vier.

Ohne die Initiative Älwas, sagt Gisela Heinzeller, die bei der Gewofag-Tochter Wohnforum GmbH für die Soziale Quartiersentwicklung zuständig ist, gäbe es das Projekt "Wohnen bleiben im Viertel" am Ackermannbogen nicht. "Mit unseren 49 Wohnungen hier hätten wir dieses Konzept selbst nicht realisiert." Älwa war der Motor. "Vor allem Günter Hörlein hat Klinken geputzt, mit der Gewofag verhandelt, die Baugemeinschaft eingebunden", weiß Michael Schrauth vom Evangelischen Pflegedienst.

Wie aber funktioniert es, dass Diabetikerin Monika Barry mehrmals am Tag eine Insulinspritze bekommt, dass sie duschen kann, dass ihre Kleider gewaschen werden und dass ihre Wohnung gereinigt wird? Woher weiß Hörlein, wann er mit Armin Sünram, Barrys Nachbar ein Stockwerk tiefer, Zeit fürs Fachsimpeln über Fahrräder hat? Sünram war ein leidenschaftlicher Radler, aber dann musste ihm ein Bein amputiert werden, als er vor zwei Jahren eine doppelseitige Lungenentzündung bekam. Seither ist auch er auf Hilfe angewiesen - und bekommt sie auch.

"Sophia Zech koordiniert das alles", sagt Hörlein. Sie ist diejenige, die den Helferkreis anleitet, sie ist "der eigentliche Schmelz dieses Hilfemix-Projektes - damit nicht jeder allein vor sind hinwurschtelt, sondern das Engagement gesteuert wird". Koordinatorin Zech ist dem Pflegedienst unterstellt - und damit sowohl Anlaufstelle für Beratungssuchende als auch Zentrale für die Pflegekräfte.

Ihr Stützpunkt ist am künftigen Stadtplatz im Gebäude der Genossenschaft Wagnis an der Petra-Kelly-Straße 29 zu finden. Sprechstunden hat sie dienstags von 14 bis 16 Uhr und donnerstags zwischen zehn und zwölf Uhr oder telefonisch unter der Nummer 3220860. Sieben der zehn Wohnungen im Quartier sind fest versprochen oder schon belegt. Aber für drei kann man sich derzeit noch bewerben.

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