Schwabing:Der Wegbereiter

Jugend und Zukunft

Rat und Tat: Dieter Wöhrle (links) im Gespräch mit Jugendlichen.

(Foto: oh)

Seit zehn Jahren unterstützt Dieter Wöhrle krebskranke Kinder und Jugendliche. Das Projekt "Jugend und Zukunft" hilft nach schwieriger Lebenssituation dabei, Studien- und Ausbildungsplätze trotz des Handicaps zu finden

Von Daniel Sippel, Schwabing

Bis August 2012 führte Hai-Sang ein normales Leben. Gerade hat er die 10. Klasse eines Münchner Gymnasiums beendet und genießt die Sommerferien - wie ein normaler Sechzehnjähriger. Dann bemerkt er geschwollene Lymphknoten an seinem Hals, seine Mutter schickt ihn zur Hausärztin. Während der Untersuchung ruft die Ärztin Kollegen ins Behandlungszimmer, in ihrem Gesicht bemerkt Hai-Sang Sorgenfalten. "Da wurde es mir mulmig", erinnert er sich. Dann hört er die Stimme der Ärztin: "Du musst sofort in die Klinik . . ." - und Hai-Sang ist sofort klar: Die Ferien sind vorbei.

Es folgt die Überweisung in die Onkologie einer Kinderklinik, Knochenmarkspunktion, die Leukämie-Diagnose, Chemotherapie, Verlegung in den Hochrisikoblock, Bluttransfusionen. Ein Jahr und vier Monate dauert die Therapie. Diese Zeit beschreibt Hai-Sang in der Nachschau schmunzelnd: "Ich war Stammgast in der Klinik." Trotzdem schafft er 2015 sein Abitur. Sein Notendurchschnitt: 3,1. Und eben dieser Erfolg wird für Hai-Sang zum Problem. Denn viele Studiengänge stehen nur Abiturienten mit besserem Abschluss zur Auswahl. Das gilt auch für Hai-Sangs Traumfach - Druck- und Medientechnik an der Hochschule München.

Ein Fall für Dieter Wöhrle. Der Sozialarbeiter leitet das Projekt "Jugend und Zukunft", das jetzt sein zehnjähriges Jubiläum gefeiert hat. Wöhrle und eine Mitarbeiterin beraten krebskranke Kinder und Jugendliche, finden geeignete Ausbildungsplätze und Studiengänge, schaffen Perspektiven. Manchmal ist Dieter Wöhrle aber auch gezwungen, einen Traum zu zerstören - zum Beispiel nach einem Tumor an der Hüfte. Denn Prothesen, die befallene Knochen ersetzen, verhindern es etwa, Kinderpflegerin zu werden. Wöhrle hilft dann den jungen Menschen, das zu akzeptieren und zeigt möglichst früh Alternativen auf, denn: Er will sie nicht enttäuschen. Für einige seiner Klienten organisiert er Praktika in den eigentlichen Traumberufen, damit sie selbst realisieren: "Das schaffe ich nicht und brauche einen anderen Plan."

Dieter Wöhrle streitet aber auch für seine krebskranken Klienten, macht sozusagen Lobby-Arbeit. Er reist zu Ausbildungsbetrieben, zu Universitäten und zur Agentur für Arbeit. Und immer wieder, überall erklärt er, dass Chemotherapien die Betroffenen müde und schwach werden lassen: "Das ist kein Spaziergang." So wirbt er um Verständnis für seine Klienten.

Im Jahr 2010 kamen knapp 50 jugendliche Patienten zu ihm, im vergangenen Jahr betreute Wöhrle bereits 111 Klienten, und die Nachfrage steigt. Trotz der wachsenden Aufgabe ist das Münchner Projekt deutschlandweit einmalig. Finanziert aber wird "Jugend und Zukunft" nicht etwa vom Freistaat, von Kliniken oder den Versicherungen: Zwei Elterninitiativen und der Bezirk Oberbayern stellen das notwendige Budget bereit. Allein die Eltern bringen jedes Jahr mehr als eine halbe Million Euro auf, um psychosoziale Nachsorge zu ermöglichen. Mit dieser Finanzierungsstrategie steht das Projekt nicht allein: Die Deutsche Kinderkrebsstiftung geht davon aus, dass private Elterninitiativen das Gesundheitssystem jährlich mit 15 Millionen Euro unterstützen; das Geld fließt vor allem in psychosoziale Nachsorgeprojekte und deren Mitarbeiter wie Sozialpädagogen, Erzieher oder Psychologen.

Hai-Sang hat seinen Traum realisiert, längst studiert er dank der Unterstützung Druck- und Medientechnik. Nach dem Abitur schrieb Dieter Wöhrle einen Härtefallantrag für ihn, verhandelte mit der Hochschule, seinen Klienten für den Studiengang zuzulassen - und hatte Erfolg: Die Hochschule wertete Hai-Sangs Abitur-Schnitt auf.

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