Schulweghelfer:Sicherheit für Straßenkreuzer

Die Grundschule an der Balanstraße leidet unter Schülerlotsenmangel. Die Lücke füllt jetzt der Berufsschüler Sultan Aami, der als Flüchtling nach München kam

Von Melanie Staudinger

Sultan Aami hat nicht lange überlegt. Er arbeitet gerne mit Kindern, er fährt unter der Woche ohnehin jeden Tag von der Blumenau zu seiner Schule in Ramersdorf, kaltes Wetter macht ihm nichts aus. Warum also sollte er nicht Schulweghelfer werden? Gemeinsam mit fünf Mitschülern aus der Berufsschule für Berufsintegration meldete er sich freiwillig, als die nahe gelegene Grundschule an der Balanstraße Schülerlotsen suchte. Das war im November vergangenen Jahres. Doch die Sache gestaltete sich schwieriger als gedacht. Das Auswahlverfahren für die ehrenamtliche Tätigkeit zog sich mehrere Monate, von einer Hand voll Interessenten blieb am Schluss einer übrig. Seit ein paar Tagen steht Aami nun von montags bis freitags, von halb acht Uhr an immer an der Ecke Balanstraße und Ständlerstraße.

Dass das klappt, daran hätten seine Schulleiter Klaus Seiler und Eric Fincks schon fast nicht mehr geglaubt. Sie erhielten im November einen Anruf vom Elternbeirat der benachbarten Grundschule an der Balanstraße. Dort herrsche akuter Schülerlotsenmangel, teilte Birgit Baumeister ihnen mit, denn die langjährige Helferin müsse den Dienst aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Vielleicht hätten ja Schüler der Berufsschule für Berufsintegration Lust, den Kindern über die viel befahrene Balan- und Ständlerstraße zu helfen, schlug die Mutter vor. "Anfangs war ich schon ein wenig skeptisch, ob das funktioniert", sagt Fincks. Denn Schüler, denen man so einen Job anvertraut, müssten schon sehr zuverlässig sein. "Das trifft natürlich nicht auf alle hier zu", erklärt der stellvertretende Schulleiter. Die Lehrer hätten daher gezielt diejenigen angesprochen, denen sie die Aufgabe zutrauten.

Dem für Schulweghelfer zuständigen Kreisverwaltungsreferat (KVR) reichte das aber nicht aus. Wer Schülerlotse werden will, muss nicht nur volljährig sein, sondern auch körperlich fit. Das KVR verlangt von den Kandidaten, die Kindern über die Straße helfen wollen, ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis. Flüchtlinge aber müssen noch ein paar mehr Bedingungen mehr erfüllen - und in der Berufsschule für Berufsintegration sind alle Schüler Flüchtlinge. Bewerber müssen in München wohnen und einen gesicherten Aufenthaltsstatus haben.

So wie Sultan Aami. Er ist anerkannter Flüchtling, seit 2014 lebt der gebürtige Iraker in Deutschland. Bei ihm liege eine "sogenannte Flüchtlingseigenschaft mit befristeter Aufenthaltserlaubnis" vor, wie das KVR mitteilt. Und er wohnt in München, ergo durfte er zur Schulung mit der Polizei und einer der 530 Schulweghelfer werden.

Drei seiner Mitschüler hatten nicht so viel Glück. Sie wohnen in Ebersberg und Emmering und pendeln werktags nach München. Für sie sei das KVR als Ausländerbehörde nicht zuständig, erklärte ein Sprecher, also durften sie nicht Schülerlotse werden. "Über das Vorgehen waren wir durchaus erstaunt", sagt Fincks. Er könne nicht ganz nachvollziehen, was der Aufenthaltsstatus über die Zuverlässigkeit eines Schulweghelfers aussage. Schließlich könnten auch Deutsche jederzeit umziehen. Außerdem suche die Stadt doch händeringend nach Schülerlotsen.

Tatsächlich hat das KVR keine konkreten Zahlen, wie viele ehrenamtliche Helfer fehlen. "In einer wachsenden Stadt mit wachsenden Schulen suchen wir immer wieder Schulweghelfer, weil neue Standorte dazukommen oder Standorte geteilt werden", sagt ein Sprecher. Im Einzugsbereich der Balanschule ist Aami ist derzeit der einzige Schulweghelfer. Zwei bis drei zusätzliche Ehrenamtliche könnte Rektorin Barbara Hetzenecker gut brauchen. "Dieses Problem begleitet uns seit Jahren", sagt sie. An der Chiemgaustraße hätte sie gerne noch einen Lotsen oder an der Ständlerstraße. Auf die Suche des Elternbeirats meldete sich jedoch kaum jemand.

Aami ist mit Freude dabei. In seinem hellgelben Mantel leuchtet der 22-Jährige im trüben Straßenbild. Und das ist auch gut so. Denn immer wieder versuchen sich Autofahrer, zumeist in großen, dicken Wagen, auf der vierspurigen Straße durchzudrängeln, auch wenn die Fußgänger grün haben. Wenn Aami aber den Übergang absichert, bleiben die Fahrer stehen, die Kinder können die Straße queren. Um Punkt acht Uhr ist der Dienst vorbei. Aami bringt seinen Mantel zurück ins Büro des Schulhausmeisters gleich neben dem Eingang der Berufsschule und geht in sein Klassenzimmer. 6,50 Euro netto bekommt er pro Stunde als Aufwandsentschädigung - Geld, das der 22-Jährige gut brauchen kann. Viel wichtiger aber ist ihm die Erfahrung, die er bei seiner Tätigkeit sammelt. Denn später will der junge Mann einmal Polizist werden.

Schulweghelfer: Balanstraße / Ecke Ständlerstraße: Das ist morgens bis acht Uhr der Arbeitsplatz des Irakers Sultan Aami. Danach geht er selber in sein Klassenzimmer.

Balanstraße / Ecke Ständlerstraße: Das ist morgens bis acht Uhr der Arbeitsplatz des Irakers Sultan Aami. Danach geht er selber in sein Klassenzimmer.

(Foto: Alessandra Schellnegger)
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