Schulleiter Jürgen Walther:"Das Bewusstsein für Bildung ist nicht da"

Jürgen Walther ist Schulleiter an der Wiesentfelser Straße - einer Hauptschule mit besonders hohem Migrantenanteil. Ein Gespräch über Fehler der Familien und das Helfen in Eigenregie.

Christa Eder

Nach einer Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer aus Niedersachsen zeigt ein Langzeitvergleich von Hannover und München, dass ein durchlässigeres Schulsystem und damit eine bessere Integration von Migranten zu einem Rückgang der Jugendgewalt führt. München schnitt deutlich schlechter ab. Jürgen Walther ist Schulleiter an der Hauptschule Wiesentfelser Straße in Neuaubing, die im vergangenen Jahr den Deutschen Hauptschulpreis gewonnen hat. 80 Prozent seiner Schüler sind Migranten, 90 Prozent davon Türken. Dank des großen Engagements der Lehrer und einer Vielzahl von Ehrenamtlichen haben in diesem Jahr haben alle bis auf drei seiner 40 Absolventen eine Lehrstelle gefunden oder machen den Mittleren Bildungsabschluss. Dennoch glaubt Jürgen Walther, dass es Schüler aus dieser Bevölkerungsgruppe in München besonders schwer haben.

Jürgen Walther, Hauptschule Wiesentfelder Straße

Ist stolz darauf, "seine Schüler" fast immer in Berufen unterzubringen: Jürgen Walther, Hauptschule Wiesentfelder Straße.

(Foto: Foto: Schellnegger)

SZ: Herr Walther, warum schaffen es in München nur neun Prozent der türkischen Kinder aufs Gymnasium, während die Quote in anderen Städten deutlich höher ist?

Jürgen Walther: Weil die Kinder aus bildungsfernen Familien stammen. Bildung ist in diesen Familien kein Wert und wird deshalb nicht unterstützt. Die Kinder bekommen auch keine Anreize. Das wäre aber gerade in den ersten Jahren, also bis zum sechsten Lebensjahr wichtig. Außerdem ist an bayerischen Schulen schlicht und einfach das Niveau höher.

SZ: In welchen Fächern tun sich türkische Schüler am schwersten?

Walther: An der Sprache hapert es am meisten, vor allem beim Lesen und Verstehen. Es scheitert oft an ganz banalen Dingen. Wenn man beispielsweise fragt, welche Folgen hat dies oder jenes, wissen die meisten Schüler nicht, was gemeint ist und können die Aufgabe nicht lösen. Ich denke, die schlechten Sprachkenntnisse sind der Hauptgrund, warum es so viele Türken nicht auf eine weiterführende Schule schaffen.

SZ: Aber sie haben dafür andere Kompetenzen?

Walther: Ja natürlich. Sie sind praktisch und musisch sehr begabt. Auch bei den Disziplinen Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Genauigkeit sind sie gut. Das zertifizieren wir, und das ist auch ein Pluspunkt im Lebenslauf. Aber das reicht eben nicht fürs Gymnasium.

SZ: Wie könnte man denn eine höhere Sprachkompetenz erreichen?

Walther: Man müsste bei den Familien anfangen. Auf alle Fälle müsste zu Hause Deutsch gesprochen werden. Es wird ja sehr viel gefördert, schon in den Kinderkrippen und Kindergärten, aber es muss von zu Hause her auch eine Wertschätzung geben. Bislang schätzen Eltern die Fördermaßnahmen leider nicht genug. In der Breite findet eher eine Abschottung statt. Nur einzelne türkische Mütter nehmen die Angebote wahr und gehen in die Sprachkurse.

SZ: Wie kommunizieren Sie mit den türkischen Eltern?

Walther: Ich habe hier immer wieder Mütter sitzen, deren Kinder 15 Jahre alt sind, und mit denen ich mich nicht unterhalten kann. Sie kommen mit ihren Kindern, die ihnen übersetzen, was ich sage. Das passt mir gar nicht. Zum einen bekommen die Kinder dann Macht über ihre Eltern, zum andern weiß ich ja nicht, ob sie das auch so übersetzen, wie ich es ihnen sage. Deshalb machen wir das inzwischen mit ein paar ehrenamtlichen Dolmetscherinnen aus dem Viertel.

"Das Bewusstsein für Bildung ist nicht da"

SZ: Haben es türkische Kinder auch schwerer, sich zu integrieren?

Walther: Ja. Das ist durch ihren kulturellen Hintergrund bedingt. Viele Familien kommen aus Anatolien, aus kleinen Dörfern. Viele von ihnen sind Analphabeten. Es gibt zwar eine Schulpflicht, die aber nicht streng kontrolliert wird. Für die Eltern ist das ein völlig fremde Idee, mit einem Lehrer über das Kind zu sprechen oder gar an der Schule mitzuarbeiten. Schule läuft so nebenher. Das Bewusstsein, dass Bildung gut und wichtig ist, ist nicht da.

SZ: Wie haben Sie es trotzdem geschafft, ihre Kinder beruflich in die Spur zu bringen?

Walther: Wir arbeiten mit einem Heer von ehrenamtlichen Helfern zusammen, Lesepaten, Berufspaten, Wirtschaftsjunioren und vielen anderen, die die Schüler beim Lesen, Lernen bis hin zum Bewerbungsgespräch unterstützen. Wir schließen Kooperationen mit Unternehmen im Viertel, die jedes Jahr auch einige Azubis übernehmen. Alles in Eigenregie, denn es hilft uns ja keiner. Weder Staat noch Stadt.

SZ: Was müsste passieren, damit die soziale Integration besser klappt?

Walther: Es müsste verpflichtende Deutschkurse für Eltern geben - und zwar mit Prüfung. Das sage ich jetzt ganz krass, auch wenn ich damit in eine Ecke gestellt werde, in die ich gar nicht will. Wir versuchen immer wieder, die Eltern in die Schule zu holen, haben türkische Referenten eingeladen, zu den Elternabenden kommen Dolmetscher. Die Eltern sind dann einmal gekommen, dann ist alles wieder im Sande verlaufen. Förderlich wäre es aber auch, die Kinder erst nach der sechsten Klasse zu trennen und ein zehntes Schuljahr anzuhängen.

SZ: Manche Bildungspolitiker fordern mehr türkische Lehrer an Hauptschulen. Halten Sie das für sinnvoll?

Walther: Mit Sicherheit. Wir haben hier an der Schule einen Lehrer für islamischen Religionsunterricht, der sehr angesehen ist. Er versteht die Kinder natürlich sofort und kommt auch besser an die Familien ran. Dieser Weg sollte unbedingt verstärkt werden.

SZ: Laut einer Studie des Kriminologen Pfeiffer neigen junge Türken besonders zur Gewalt. Ist das auch ein Grund, warum so viele am deutschen Bildungssystem scheitern?

Walther: Sicher spielt das auch ein Rolle aber an unserer Schule überhaupt nicht. Zum Glück müssen wir nicht auch noch in diese Richtung kämpfen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: