Schuleinschreibung:Testlauf mit Wimmelbild

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Etwa 200 aufgeregte Kinder mit mindestens ebenso nervösen Eltern erwartet Rektor Michael Hoderlein-Rein zur Einschreibung an der Grundschule in Berg am Laim. Die Lehrer machen sich dabei ein Bild, ob die künftigen Erstklässler im Unterricht zurechtkommen

Interview von Wiebke Harms

Neben der Bürotür des Rektors hängen Zeugnisse, die ihm Schüler geschrieben haben. Sie geben Michael Hoderlein-Rein gute Noten. Eines vermerkt als Besonderheit: "Nach dem Unterricht klatscht er die Kinder ab." Hoderlein-Rein leitet die im März mit dem Münchner Schulpreis ausgezeichnete Grundschule an der Berg-am-Laim-Straße. Am Mittwoch empfängt seine Schule etwa 200 Kinder mit ihren Eltern zur Einschreibung.

Wer ist bei der Schuleinschreibung aufgeregter: die Eltern oder die Kinder?

Alle sind aufgeregt: die Eltern, die Kinder und die Lehrer. Neben der Einschulung und dem letzten Schultag ist das einer von drei ganz besonderen Tagen im Schuljahr. Ich weiß noch, wie ich selbst mit meinen Söhnen da saß: Ich hatte feuchte Hände und habe gehofft, dass meine Kinder es nicht als einzige nicht schaffen. Deswegen kann ich gut nachvollziehen, dass Eltern angespannt sind - wir Lehrer sind es auch.

Wie läuft die Einschreibung ab?

Wir beobachten alle Kinder in einem Screeningverfahren. Ein Lehrer unterrichtet sie in Sechsergruppen, zwei weitere beobachten die Kinder. Nach 20 bis 25 Minuten können wir recht gut einschätzen, ob ein Kind an der Schule zurechtkommen wird.

Was genau machen Sie in der Zeit mit den Kindern?

Sie sollen beispielsweise auf einem Wimmelbild mit vielen spielenden Kindern verschiedene Gegenstände entdecken und benennen, Begriffe aus ihrem Leben: Sandkasten, Rutsche, Mann, Frau, Baum. Daneben geht es auch darum, Mengen zu erfassen und es gibt ein kleines Rollenspiel zum Umgang mit anderen Kindern.

Worauf achten die Lehrer noch?

Die Kinder werfen oder fangen auch einen Ball, machen einen Hampelmann oder gehen auf einer Linie. Wir schauen, ob sie ihren Namen schreiben können. Schließlich ist der eigene Name der erste große Bezugspunkt eines Kindes. Das Kind sollte grundsätzliche Worte kennen. Wir wollen wissen, ob es auf Fragen antworten und zuhören kann. Dass Kinder uns nicht verstehen können, kommt dank der Vorkurse Deutsch nicht mehr vor.

Keine einfache Wahl: Tausende Münchner Kinder bekommen in den nächsten Monaten ihren ersten Schulranzen. (Foto: Lukas Barth)

Welche Kinder kommen in den Vorkurs?

Die Kindergärten screenen im vorletzten Jahr den Sprachstand der Kinder. Erreicht ein Kind ein bestimmtes Level nicht, geht es in den Vorkurs: 240 Deutschstunden, hier in der Schule. Zu uns kommen etwa 100 Kinder aus dem Sprengel.

Zurück zur Einschreibung: Kann man in nicht mal einer halben Stunde erkennen, ob ein Kind schulreif ist?

Ja! Lehrer können viel erkennen, wenn sie 20 oder 25 Minuten mit einem Kind arbeiten. Außerdem beziehen wir ein, was die Eltern und die Kindergärten sagen. Wir haben einen sehr regen Kontakt mit den 23 Kindergärten im Schulsprengel. Daneben gibt es auch noch die Schularztuntersuchung über die Landeshauptstadt München. Die Eltern bringen den Bogen mit. Das alles ergibt ein sehr zuverlässiges Bild.

Wie hat sich die Schuleinschreibung in den vergangenen Jahren verändert?

Sehr stark. Ich habe 1990 meine erste Schuleinschreibung als Lehrer mitgemacht. Da saßen Eltern und Kind einem Lehrer gegenüber, zehn Minuten vielleicht. Der Lehrer hat sich mit dem Kind unterhalten. Aber Gott sei Dank hat sich das verändert! Nicht, weil die Kinder oder die Schule schwieriger geworden sind, sondern weil wir die Kinder in der ersten Klasse optimal fördern möchten. Dafür müssen wir schon vor der Einschulung möglichst viel wissen.

Haben sich die Wünsche und Befürchtungen der Eltern geändert?

Ja, als ich als Lehrer anfing, hatten die Eltern ein Grundvertrauen in die Schule. Heute ist das Vertrauen zwar auch noch da, aber die Eltern wollen mehr wissen. Und wir wünschen uns auch, dass die Eltern zu uns kommen.

In Onlineforen tauschen sich Eltern darüber aus, wie sie ihre Kinder zurückstellen lassen können. Viele von ihnen fürchten, der Stress für die Kinder sei zu groß. Ist Schule so stressig?

Nein, das glaube ich nicht. Um mit einem Vorurteil aufzuräumen: Es ist nicht mehr so, dass im Kindergarten nur gespielt und in der Schule nur gearbeitet wird. Der Bildungs- und Erziehungsplan im Kindergarten ist ein Lehrplan, an den wir anknüpfen. Auch im letzten Kindergartenjahr wechseln sich schon Spiel- und Arbeitsphasen ab. Die Rhythmisierung setzen wir fort. In der ersten Klasse dauern die Konzentrationsphasen rund zehn Minuten, darauf folgt ein Spiel oder wir singen. Ich muss immer schmunzeln, wenn Politiker Schulen ausdrücklich loben, weil sie von Unterrichtsstunden weggehen - Grundschulen machen das schon lange!

Sollten Eltern eigentlich darauf achten, dass ihr Kind mit seinen Freunden eingeschult wird?

Einerseits finde ich es schon toll, wenn ein Kind mit einem Freund zu Schule kommt. Das kennt jeder von sich selbst: Ein Neuanfang fällt mit einem Freund leichter. Andererseits haben die Kinder in der ersten Klasse schon nach drei Wochen neue Freunde gefunden.

Was ist, wenn die Schule das Kind einschreiben möchte, die Eltern aber lieber zurückstellen?

Die Entscheidung über die Aufnahme oder Zurückstellung eines Kindes obliegt rechtlich gesehen alleine der Schule. Wir wären aber schlecht beraten, würden wir einfach entscheiden, ohne auf die Eltern zu hören. Meistens höre ich: Mein Kind ist noch so verspielt, gerade bei Kindern, die am Ende des Zeitraums geboren sind. Manchmal haben auch Kindergarten oder Schularzt schon zur Zurückstellung geraten. Wenn es einen Grund gibt, stellen wir selbstverständlich zurück. Meist geht es darum, dass die Kinder zu schüchtern sind. Bei meinem älteren Sohn war das auch so.

Wann raten Sie zu einer früheren Einschulung?

An unserer Schule nehmen wir jedes Jahr etwa zehn Kinder vorzeitig auf und wir stellen zehn bis zwölf Kinder zurück. Manche sind früher schulfähig. Wir merken im Screening aber auch, ob es tatsächlich so ist, oder ob die Eltern sich lediglich wünschen, dass ihr Kind besonders begabt wäre. Ich sage den Eltern in solchen Fällen: Ihr Kind hat eine Lebenserwartung von 85 Jahren - entscheidend ist, was das Kind braucht!

Kommt das häufig vor?

In der Zeit, als es politisch gewollt war. Damals hat man den Zeitrahmen nach hinten verschoben und eine frühe Einschulung war mit positiven Begriffen belegt. Da meinten manche Eltern, es wäre besonders gut, wenn ihr Kind früh in die Schule kommt. Die Kindergärten und Schulen haben jedoch immer davon abgeraten, wenn das Kind noch nicht so weit war. Die Politik hat das wieder zurückgenommen - nun sind wir wieder im Lot.

© SZ vom 15.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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