Schule:Wie Flüchtlingskinder in Übergangsklassen spielend Deutsch lernen

Schule: "Auch der Frieden muss gelernt sein", sagt Lehrerin Waltraud Bachmann-Zeune.

"Auch der Frieden muss gelernt sein", sagt Lehrerin Waltraud Bachmann-Zeune.

(Foto: Robert Haas)

Immer mehr Schüler kommen aus Syrien, Nigeria und Afghanistan. Aber es gibt zu wenig Klassen.

Von Annette Jäger, Martinsried/Lochham

Mohammed kichert. An einem Donnerstagmorgen flüstert die Lehrerin jedem Schüler im Stuhlkreis ein Wort ins Ohr: Stift, Lineal, Mappe - immer zwei Kindern dasselbe Wort. Dann erzählt sie eine Geschichte. Erklingt das Wort, müssen die beiden Kinder mit demselben Wort im Ohr den Platz tauschen.

Schulranzen, Mohammeds Wort, kommt in der Geschichte häufig vor, er muss ständig aufstehen und seinen Stuhl wechseln. Das findet er sehr lustig. So geht Vokabeln lernen in der Übergangsklasse der Grundschule Martinsried. Hier bringt Waltraud Bachmann-Zeune ihren Schülern, derzeit vor allem Flüchtlingskindern, Deutsch bei.

Ein paar Wochen vor Weihnachten kamen gleich zwölf Kinder auf einmal in die Klasse. Es sind Kinder, die rund fünf Monate erst in der einen, dann in der anderen Gräfelfinger Turnhalle gelebt haben. Die Älteren sind in die Übergangsklasse in der Mittelschule Lochham gekommen. Und es werden noch mehr.

Zweite Übergangsklasse beantragt

Mit dem Umzug der Flüchtlinge in die Unterkünfte an der Großhaderner Straße in Gräfelfing kommen noch mal rund 20 Kinder dazu. Ein Großteil wird die Planegger Grundschule besuchen, in der eine neue Übergangsklasse entsteht.

In Lochham sitzen jetzt 30 Kinder in einer Klasse, zwanzig sind das Maximum, sagt Schulleiterin Monika Weikert. Eine zweite Übergangsklasse ist beim Schulamt beantragt. Für die Schulen sind die vielen neuen Schüler eine völlig neue Herausforderung.

Schule: Gemeinsam lernen die Kinder, Wörtern Artikel zu geben, aber still sitzen zu bleiben, ist für manche nicht einfach.

Gemeinsam lernen die Kinder, Wörtern Artikel zu geben, aber still sitzen zu bleiben, ist für manche nicht einfach.

(Foto: Robert Haas)

In der Grundschule Martinsried gibt es schon seit langem ein buntes Nationengemisch an Kindern aus 28 Ländern. Die Schule liegt in unmittelbarer Nähe des Wissenschaftsstandorts Großhadern-Martinsried mit Uni-Campus und Biotechnologiezentrum. Die Kinder der internationalen Belegschaft kamen bislang vor allem aus Finnland, China, den USA, Afrika oder Asien an die Schule.

Manche haben noch nie eine Schule besucht

Seit drei Jahren gibt es eine spezielle Übergangsklasse, in der sie Deutsch lernen. Es war damals die erste Klasse dieser Art in einer Grundschule im Landkreis München, erklärt Schulleiterin Margit Baran-Lander. Jetzt besuchen vor allem Flüchtlingskinder die Klasse.

Die meisten kommen aus Syrien, andere aus Afghanistan, Nigeria, dem Senegal, aus Polen und Rumänien, alle sind zwischen acht und zwölf Jahren alt. Es ist ein Kommen und Gehen, sobald sie genug Deutsch können, wechseln sie in die Regelklasse.

"Wir müssen erst mal feststellen, ob sie für unser System schulfähig sind, oder doch besser in die Vorschule gehören", sagt Baran-Lander. Auch in der Lochhamer Mittelschule mischen sich unterschiedlichste Lernniveaus.

Sieben Nationen, manchmal auch mehr, sitzen hier gemeinsam in der Schulbank. Einige Jugendliche sind gar nicht mehr schulpflichtig, sie sind schon 15 oder 16, "wir nehmen sie trotzdem auf, sonst stehen sie auf der Straße", sagt Weikert.

Im geschützten Raum

Und so sitzen in der Klasse Mädchen mit zwölf Jahren, die noch nie eine Schule besucht haben, neben 16-jährigen Jungen, die schon in einer weiterführenden Schule waren. "Da kann man kaum noch einem gerecht werden." Bei den Mädchen würden dennoch schnell "tolle Ergebnisse" sichtbar, sie erlebten es als eine Befreiung, endlich lernen zu dürfen.

Es geht längst nicht nur ums Deutschlernen in den Übergangsklassen. Viele der neuen Schüler sind durch Krieg und Flucht traumatisiert. Zwei Schüler in Martinsried sind ohne ihre Eltern gekommen. Manchmal ziehen sich die Kinder im Unterricht total zurück, tauchen weg und sind nicht ansprechbar. Sie sind mit ihren Gedanken in einer anderen Welt, vermutet Aferina Qorri, die ein Freiwilliges Soziales Jahr macht und in der Klasse als Assistentin hilft.

Dann geht keine Vokabel in den Kopf. "Man braucht viel Geduld und muss alle Erwartungen zurückschrauben", sagt Bachmann-Zeune. Am Anfang geht es vor allem darum, den Kindern einen geschützten Raum zu bieten. "Sie müssen erfahren, dass sie sich auf den Frieden verlassen können", sagt Baran-Lander.

Frieden lernen

An diesem Donnerstagvormittag dreht sich alles um den Schulranzeninhalt. Zu den Worten Block, Bleistift, Mappe, Heft sollen die Schüler die passenden Artikel finden. Mohammed meldet sich. "Der Block", sagt er selbstbewusst vor der Klasse.

Seine Klassenkameradin sagt auch einen Satz auf und hält sich dann vor Scham das Mäppchen vor das Gesicht. Ali in der letzten Reihe fällt es schwer, einfach still zu sitzen, er ruft oft dazwischen. Die Lehrerin unterbricht den Unterricht, setzt sich zu ihm und spricht langsam: "Du musst leise sein und Dich melden."

Schule: "Schön, dass Du da bist", steht auf einem gelben Flyer, im Klassenzimmer.

"Schön, dass Du da bist", steht auf einem gelben Flyer, im Klassenzimmer.

(Foto: Robert Haas)

Regeln zu lernen, ist ein großes Thema im Unterricht, sagt sie. In den vergangenen Monaten oder Jahren ging es ums Überleben - was spielen Regeln da schon für eine Rolle? Auf dem Schreibtisch der Schulleiterin liegt ein Stein. Den hat ein Kind tags zuvor nach einem anderen Kind geworfen. Jetzt muss der Steinewerfer die Pause bei der Rektorin im Büro verbringen. "Auch Frieden muss gelernt werden."

Kinder und Eltern sind dankbar

Die soziale Erziehung der Kinder nimmt viel Raum ein, sagt Schulleiterin Weikert. Früher seien einzelne neue Schüler mit ihrer Familie gekommen. Jetzt käme gleich eine ganze Gruppe, viele ohne intakte Familie oder sogar alleine. Dann muss Weikert ein Dolmetscher-Gespräch organisieren und erst mal erklären, was Pünktlichkeit bedeutet. "Das sind völlig neue Aufgaben für uns."

Den afghanischen Dolmetscher hat sie über private Kontakte gefunden. Strukturen, auf die Schulen zurückgreifen können, gibt es nicht, alles ist für alle neu. Die Schulen müssen gerade selbst schauen, wo sie bleiben, so Weikert.

In Martinsried gongt es zur Pause. Die syrischen Kinder sitzen zusammen und unterhalten sich in ihrer Muttersprache. Früher sprach in der Übergangsklasse niemand dieselbe Sprache, alle waren gezwungen, Deutsch zu sprechen und lernten deshalb sehr schnell.

Jetzt ist das Tempo langsamer. Geduld und immer wieder Geduld ist angesagt. Die Arbeit in der Klasse kostet viel Kraft, sagt Bachmann-Zeune. Aber sie gebe ihr auch viel: Anerkennung und Dankbarkeit, von den Kindern und den Eltern. Auch das ist neu.

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