Griechen in München:"Ich mache mir Sorgen um meine Mutter"

Griechen in München: "In den letzten Tagen mache ich mir Sorgen: Wie versorge ich meine Mutter in Griechenland?", sagt Constantinos Gianacacos, Leiter des evangelischen Migrationszentrums und ehemaliger SPD-Stadtrat.

"In den letzten Tagen mache ich mir Sorgen: Wie versorge ich meine Mutter in Griechenland?", sagt Constantinos Gianacacos, Leiter des evangelischen Migrationszentrums und ehemaliger SPD-Stadtrat.

(Foto: Robert Haas)
  • Griechen stellen in München die größte Bevölkerungsgruppe von EU-Bürgern nach den Kroaten.
  • Vor fünf Jahren sind viele Griechen aus München in ihre Heimat zurückgekehrt - nun kehren sie wieder zurück.
  • Die 26 400 offiziell in München gemeldeten Griechen bekommen die Krise auch hier zu spüren.

Von Thomas Anlauf, Jutta Czeguhn, Franz Kotteder und Jakob Wetzel

Drei große Kräne stechen in den weißblauen Himmel, sie stehen still. Auf der Großbaustelle der Griechischen Schule in Berg am Laim geht gerade nichts voran. Ein roter Bagger kratzt ein wenig mit der Schaufel in brauner Erde, rostige Eisenstangen ragen aus dem Rohbau. Es sieht ein wenig aus wie an manchen griechischen Stränden, den Bauruinen, bei denen den Investoren das Geld ausgegangen ist.

Vor 14 Jahren hatte die Stadt das mehr als 15 000 Quadratmeter große Grundstück an der Hachinger-Bach-Straße an Griechenland verkauft, damit dort eine zentrale griechische Schule gebaut werden kann. Erst vor Kurzem begann das Ministerium für Bildung und Religion in Athen damit, den Bau endlich hochzuziehen. Dabei liegt Griechenland bereits im Rechtsstreit mit der Stadt. Der Ausgang ist ungewiss. Es ist eine griechische Tragödie im Kleinen und irgendwie symptomatisch für das europäische Drama dieser Tage.

Montagfrüh, ein junger Grieche in schwarzer Lederjacke kauert in der S-Bahn Richtung Innenstadt verkrampft auf seinem Fenstersitz, das Mobiltelefon zwischen Ohr und Schulter geklemmt. Erst ist nur ein weicher Wortbrei zu verstehen. "Ne, ne", wiederholt der junge Mann leise, "ja, ja", während seine Gesprächspartnerin am anderen Ende der Leitung ins Telefon brüllt. Die beiden sprechen griechisch.

Die Verwandten können nur noch 60 Euro täglich abheben

Dann purzeln ein paar deutsche Worte aus dem Redefluss heraus: "Gipfel des Zynismus", "Wahlversprechen", "Troika", "Europa". Die griechische Krise. Sie ist das Gesprächsthema in München. Überall in der Stadt stehen Grüppchen auf der Straße, diskutieren. "Hört mal zu", sagt ein Grieche am Ostbahnhof zu zwei Frauen mit Aldi-Tüten: Er wisse doch auch nicht, was nun passiert, sagt der Mann. Die griechischen Banken sind seit Montag geschlossen, die Verwandten können nur noch 60 Euro täglich abheben.

"Was bringt es, wenn ich morgen meiner Mutter in Griechenland 400 Euro überweise?" Constantinos Gianacacos sitzt in einem Café am Odeonsplatz, er trägt ein weißblau gestreiftes Hemd. "In den letzten Tagen mache ich mir Sorgen: Wie versorge ich meine Mutter in Griechenland?" Sie ging nach Jahrzehnten in Deutschland wieder zurück in ihr Dorf bei Trikala in Nordgriechenland, Mitte Achtzig ist sie nun.

Viele überlegen, nach München zu kommen

Oder der Onkel in Athen, auch er ist in Rente. "Natürlich machen wir uns Gedanken", sagt Gianacacos. Er leitet das Evangelische Migrationszentrum in München, hilft mit seinem Team den Griechen, die in ihrer Heimat nicht mehr überleben können und nach München kommen. In den vergangenen vier Monaten seien zwar spürbar weniger Menschen angekommen. "Aber ich rechne damit, dass der Exodus verstärkt wird."

In jüngster Zeit rufen ihn viele Menschen aus Griechenland an und erkundigen sich, ob sie nach München gehen sollen. "Ich habe allen abgeraten, zu kommen, wegen der Wohnungssituation hier", sagt Gianacacos. Nur wer Verwandte hier habe, könne es schaffen. Andererseits drängen gerade jetzt viele junge Akademiker fort aus Hellas. "Da findet ein riesiger Kapitaltransfer statt", sagt er. Auch viele Menschen, die vor einiger Zeit zurück nach Griechenland gegangen seien, kämen nun wieder. Vor fünf Jahren gab es eine große Welle von Griechen, die in ihre ehemalige Heimat zurückkehrten. Jetzt seien es wieder fast 8000 Münchner Griechen mehr im Vergleich zu 2010. Sie stellen in der Stadt die größte Bevölkerungsgruppe der EU-Bürger nach den Kroaten. 26 400 sind offiziell in München gemeldet.

Gebete, damit Griechenland nicht austritt

Viele von ihnen treffen sich im orthodoxen Gottesdienst, etwa in der Allerheiligenkirche an der Ungererstraße, gegenüber dem Nordfriedhof. "Wir beten in der Gemeinde, zusammen und jeder für sich, dafür, dass Gott uns vor einem Austritt Griechenlands bewahrt", sagt Erzpriester Apostolos Malamoussis. Der 68-Jährige ringt mit der Fassung, er hatte fest mit einer Einigung gerechnet. Die Konfrontation sei ein "großer Schock", sagt er. Aber er wolle weiter hoffen: An diesem Montagmorgen hat er in der Allerheiligenkirche eine Kerze angezündet. Die werde er auch brennen lassen, wenn an diesem Dienstag die Frist für Hilfsprogramme ausläuft.

Schon auf dem Griechisch-Bayerischen Kulturtag am 21. Juni hatte Malamoussis auf der Bühne eine Kerze angezündet und um einen guten Ausgang der Verhandlungen gebetet - unter großem Applaus, es klatschten Griechen und Bayern. Jetzt müsse es zu einer Einigung kommen, sagt Malamoussis, alles andere wäre eine Katastrophe. Klare Schuld zuweisen will er nicht, aber jetzt setze er auf einen neuen Anlauf der griechischen Regierung.

Manolis Manussakis, 59, hat als Geschäftsführer des griechischen Feinkost-Großhändlers Atlas viel mit griechischen Gastronomen zu tun und ist auch selbst Wirt im Theaterlokal der Schauburg am Elisabethplatz. "Die Meinungen sind unter den Münchner Griechen sehr gespalten", sagt er, "aber alle sind ängstlich, was die Zukunft bringt."

Kaum eine andere Möglichkeit als den großen Knall

Was jetzt auf Griechenland zukomme, sei wohl so etwas wie "eine große Kältewelle, sinnbildlich gesehen". Für die Firma, in der er arbeitet, sei der Euro ein großer Vorteil für den Import. Aber andererseits, sagt er, gebe es kaum eine andere Möglichkeit als den großen Knall: "Jetzt neue Schulden aufzunehmen, die Griechenland nie abzahlen kann, hat auch keinen Sinn." Das System sei am Ende, man müsse nun ganz neu anfangen. Ohne einen klaren Schnitt kann es seiner Ansicht nach nichts werden. Insofern könne er die griechische Regierung sehr gut verstehen.

Das sehen viele Münchner Griechen so in diesen Tagen. Niki Chatziparasidou steht im Café des Griechischen Hauses im Westend an einem metallenen Stehtisch. Vor ihr liegt ein Flugblatt mit Tanzkursen: "So tanzt Griechenland", steht darauf. "Man soll die Hoffnung nicht verlieren", sagt sie. "Ich kann mir ein Europa ohne Griechenland nicht vorstellen. Ich glaube, Griechenland wird nicht kaputtgehen."

Griechen in München: "Ich kann mir ein Europa ohne Griechenland nicht vorstellen. Ich glaube, Griechenland wird nicht kaputtgehen", sagt Niki Chatziparasidou, Hausmeisterin und Café-Betreiberin im Griechischen Haus.

"Ich kann mir ein Europa ohne Griechenland nicht vorstellen. Ich glaube, Griechenland wird nicht kaputtgehen", sagt Niki Chatziparasidou, Hausmeisterin und Café-Betreiberin im Griechischen Haus.

(Foto: Robert Haas)

Sie spürt die Unruhe unter ihren Landsleuten, doch Wut auf die Politik hat sie noch nicht unter den Griechen im Westend ausgemacht. Im Gegenteil: Am 4. Juli findet wieder das Straßenfest am Griechischen Haus statt, wie immer seit vier Jahrzehnten. Feiern können die Münchner Griechen. Auch im Schlussakt eines großen Dramas.

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