Literatur:Dieser Fondsmanager lässt sich von Odysseus inspirieren

Literatur: Georg von Wallwitz leistet sich den Luxus, frech zu sein und sogar die Wahrheit herauszuposaunen. Nun ist sein Buch "Meine Herren, dies ist keine Badeanstalt" erschienen.

Georg von Wallwitz leistet sich den Luxus, frech zu sein und sogar die Wahrheit herauszuposaunen. Nun ist sein Buch "Meine Herren, dies ist keine Badeanstalt" erschienen.

(Foto: Robert Haas)

Georg von Wallwitz ist Top-Anlageberater - und Philosoph. Weil er nicht zu den ganz großen Fischen gehört, kann er unbesorgter auf Missstände hinweisen. Nun ist sein neues Buch erschienen.

Von Wolfgang Görl

Zu Beginn eine kleine, undotierte Preisfrage: Welchen Beruf übt ein Mensch aus, der Sätze wie den folgenden schreibt? "Wir suchen die Schönheit und Einfachheit in der Mathematik und stellen fest, dass es eine Korrespondenz mit der Natur gibt, die weit über das Erwartbare hinausgeht, die uns zu überraschen und manchmal zu verzaubern in der Lage ist." Nun? Ist der Autor Naturwissenschaftler? Mathematiker? Philosoph? Womöglich gar Poet?

Nichts von alledem. Der Mann, der das geschrieben hat, ist Fondsmanager. Er verwaltet Vermögen, rund 900 Millionen Euro sind es derzeit, und selbstverständlich sollen die sich vermehren. Menschen, die mit so viel Geld jonglieren, stehen im Verdacht, skrupellose Spekulanten zu sein, die sich für tolle Deals interessieren und sonst für nichts - von teueren Autos, teueren Klamotten und teueren Frauen mal abgesehen.

Georg von Wallwitz überrascht einen. Schon die Webseite seines Unternehmens, der Vermögensverwaltung Eyb & Wallwitz, ziert Raffaels Gemälde "Die Schule von Athen", ein Fresko, auf dem die antiken Philosophen Sokrates, Platon, Aristoteles, Diogenes und andere epochale Denker zu sehen sind. Gut, so ein Bild kann jeder auf seine Homepage stellen, das muss nichts heißen. Aber vermutlich ist Wallwitz der einzige Fondsmanager, der ein geistreiches Buch über die revolutionäre Entwicklung der Mathematik im 20. Jahrhundert geschrieben hat.

"Meine Herren, dies ist keine Badeanstalt" lautet der Titel des kürzlich erschienenen Buchs, für das Wallwitz in die Tiefen der Mathematik eingetaucht ist. Das Zitat stammt von dem Mathematiker David Hilbert (1862-1943), es war eine Reaktion auf die Weigerung seiner Göttinger Universitätskollegen, die hochbegabte Mathematikerin Emmy Noether im Jahr 1915 zur Habilitation zuzulassen. Weil sie eine Frau war. Unter anderem befürchteten die Herren Professoren, die Anwesenheit einer Dame könnte so viel Verwirrung stiften, dass der Lehrbetrieb zum Erliegen käme.

Der in Königsberg, der Stadt Immanuel Kants, geborene David Hilbert steht im Mittelpunkt des Buches. Er war der einflussreichste Mathematiker in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und, schreibt Wallwitz, "die graue Eminenz hinter den naturwissenschaftlichen Köpfen, die die Welt in dieser Zeit auf ihre Weise erschütterten". Versammelte Raffael in seiner "Schule von Athen" die großen Denker der griechischen Antike, so waren um Hilberts Göttinger Lehrstuhl die klügsten Mathematiker und Physiker ihrer Zeit vereint, von einigen Solitären abgesehen.

"Er gab der ganzen Entwicklung der Mathematik im 20. Jahrhundert die Richtung vor. Viel von dem, was wir heute im täglichen Leben sehen, wie die Entwicklung des Computers, ist in der Auseinandersetzung mit seinen Ideen entstanden. Und es ist auch kein Zufall, dass viele der Physiker, die später die Atombombe bauten, sich in den Zwanzigerjahren in Hilberts Göttingen kennenlernten."

Es ist ein faszinierender Stoff, und bei Georg von Wallwitz ist der Leser in guten Händen. Er hat Mathematik studiert, ebenso Philosophie - in Deutschland und in England. Folglich weiß er, was es auf sich hat mit Hilberts "axiomatischer Methode", die der Versuch ist, "die Dinge von ihrer inneren Logik her zu verstehen". Integral, Differenzial, surreale Zahlen - Wallwitz wirft so viel Licht in die böhmischen Dörfer, dass auch der Ahnungslose Konturen erkennt.

Die Idee zu dem Buch, sagt Wallwitz, kam ihm nach der Lektüre eines Aufsatzes des Philosophen Isaiah Berlin. Der hatte sich die Frage gestellt, welche Einflüsse das 20. Jahrhundert am meisten geprägt hätten. Neben den "großen ideologischen Stürmen" sei es die Entwicklung der Naturwissenschaften und der Technologie gewesen. Wallwitz wollte da mal genauer hinsehen: "Wo kam diese mathematisch-naturwissenschaftlich-technische Revolution her?" Die Antwort führte nach Göttingen, die Stadt, über die Heinrich Heine gedichtet hatte: "Zu Göttingen blüht die Wissenschaft, / Doch bringt sie keine Früchte. / Ich kam dort durch in stockfinstrer Nacht, / Sah nirgendswo ein Lichte."

Das ist in München anders. Die Vermögensverwaltung Eyb & Wallwitz hat eine exquisite Adresse: Maximilianstraße, in Nachbarschaft zum Hotel "Vier Jahreszeiten" und den Kammerspielen. Es ist ein trüber Novembervormittag, und Wallwitz sitzt bei einem Glas Wasser im Besprechungsraum. Lässiger Pullover, der das Bild eines kultivierten Gentlemans eher unterstreicht, akkurat gescheiteltes Grauhaar, hellwache Augen, in denen gelegentlich der Schalk aufblitzt.

In der Branche gilt er als bunter Vogel, weshalb er gerne von Zeitungen zitiert wird, die mehr haben wollen als leere Sprechblasen. Wallwitz scheut sich nicht, Investmentbanken die Lernfähigkeit abzusprechen oder, den Fall Uli Hoeneß erörternd, in einem Beitrag für die Welt am Sonntag zu konstatieren: "Wer gierig ist, ist sich seiner Sache sicher. Diese schlafwandlerische Selbstsicherheit ist an den Finanzmärkten eine notwendige Voraussetzung für den beherzten Schritt über die Klippe hinaus in den Abgrund."

Mit Witz und philosophischer Gelassenheit

Wallwitz leistet sich den Luxus, frech zu sein und sogar die Wahrheit herauszuposaunen. "Ich kann natürlich sagen, Griechenland ist pleite, weil das hat überhaupt keine Auswirkungen. Wenn der Fondsmanager der Deutschen Bank sagt, Griechenland ist pleite, dann heißt es gleich: O Gott, europäische Großbank kappt Kredite. Das hat dann eine Auswirkung." Anders gesagt: Weil er nicht zu den ganz großen Fischen im Haifischbecken zählt, kann er unbesorgter auf Missstände hinweisen.

Das hat er auch in seinem ersten Buch getan: "Odysseus und die Wiesel. Ein fröhliche Einführung in die Finanzmärkte" (2011). Mit Witz und philosophischer Gelassenheit untersucht er darin die Praxis und die Verwerfungen der Finanzmärkte, von ehrenhaften Menschen ist da ebenso die Rede wie von Schurken und Blendern. Ja, sagt er, die gibt es, und nicht zu knapp: "Da sitzen auch sehr mittelmäßige Leute", solche, die "nicht wirklich verstehen, was sie machen", weshalb "man sich nicht wundern muss, wenn alles in die Luft fliegt".

Titelheld des Buchs ist Odysseus, der listenreiche Herrscher von Ithaka. Selbstverständlich hat Wallwitz die "Dialektik der Aufklärung" von Horkheimer und Adorno gelesen, in der Odysseus quasi als der erste moderne Mensch erscheint, der die alte Welt der Mythen über Bord wirft, der überlegt handelt, kühl und zweckrational. "Ich fand das ein hübsches Bild, wie es an den Finanzmärkten zugeht: Odysseus checkt alles, er hat alles im Griff, er sieht gut aus, und die Frauen lieben ihn - so wären wir doch alle gerne. Aber tatsächlich reicht es bei den meisten in der Branche nur zum Wiesel, was ein gängiges Schimpfwort ist, denn es ist das kleinste aller Raubtiere."

Von dem klug abwägenden, vorausschauenden Odysseus lässt sich der Fondsmanager Wallwitz inspirieren: "Es ist sehr konventionell, was wir machen. Wir gehen natürlich Risiken ein, aber wir schauen, dass wir für die Risiken immer gut bezahlt werden. Wir haben keine tolle Story, wir behaupten nicht, wir sind nachhaltig, wir sagen nicht, wir haben einen tollen Trick oder Flüge auf die Virgin Islands - wir machen das halt solide. Und trotzdem kommt sehr viel Geld rein."

Wallwitz entstammt einem alten Adelsgeschlecht, dem das Hantieren mit größeren Summen nicht fremd ist. Nicht immer ging das gut. "Im 14. Jahrhundert ist meine Familie zum ersten Mal verjagt worden", erzählt Wallwitz. Mit den Herzögen von Anhalt-Zerbst hatte es Streit um die Zölle gegeben, welche das Haus Wallwitz erhob. Von Wegelagerei war die Rede, woraufhin die Wallwitze den Kornspeicher in Zerbst anzündeten - eine Missetat, welche die Vertreibung zur Folge hatte. Die nächsten 500 Jahre verlebte man in Sachsen, wo es um die Mitte des 18. Jahrhundert ein Wallwitz zum Finanzminister brachte.

"Gebt mir das Schwerste, ich kann das!"

Dessen unerhörte Idee, auch vom Adel Steuern zu verlangen, erfreute zwar den König, bei den aristokratischen Standesgenossen war der Herr von Wallwitz fortan aber schlecht angeschrieben. Dass er obendrein fürstlich entlohnt wurde und sich ein großes Gut leisten konnte, missfiel dann zusätzlich. Ansonsten weiß Georg von Wallwitz nichts Spektakuläres von seinen Vorfahren zu berichten: "Obwohl die Familie sehr alt ist, hat sie keine wirklich bedeutenden Persönlichkeiten hervorgebracht."

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Besetzung Ostdeutschlands durch sowjetische Truppen ist Wallwitz' Vater in den Westen geflohen, nach München, wo er ins Bankengeschäft einstieg. Im Jahr 1968 kam Sohn Georg auf die Welt. Schwabing war der Ort seiner Kindheit und Jugend, sein Abitur machte er am Max-Gymnasium. Für Philosophie hatte er sich schon früh interessiert; dazu noch Mathematik zu studieren, geschah im Überschwang: "Gebt mir das Schwerste, ich kann das!" 18 Semester Studium, dann die Doktorarbeit, die er über den Theologen und Philosophen Carl Christian Schmid (1761-1812) schrieb, einen frühen Kantianer.

Als er um die dreißig war, musste Wallwitz feststellen: Eine Assistentenstelle war nicht zu kriegen, "mit dem akademischen Lebensweg wird es nichts". Zudem hatte er geheiratet, was zusammengenommen bedeutete: "Jetzt ruft die Realität." Die Jobsuche endete zunächst bei der Fondsgesellschaft DWS in Frankfurt. Später arbeitete er als Fondsmanager bei der Privatbank Hauck & Aufhäuser in München, bis er 2004 den Drang fühlte, sich selbständig zu machen.

Er hörte sich um und fand schließlich Giselher von Eyb, mit dem er sich zusammentat. Es ließ sich gut an, doch dann starb Eyb Ende 2007. "Das war eine schlimme Zeit", zumal neben der menschlichen Tragödie noch eine globale Krise aufzog: der Zusammenbruch der Finanzmärkte. Auch für Wallwitz "ging es erstmal den Bach runter", viele Kunden sprangen ab. "Ich war quasi blank."

Zu dieser Zeit hatte er bereits drei Kinder, es lässt sich denken, dass er schlaflose Nächte verbrachte. "Jeder, der in dieser Phase nicht eine wahnsinnige Angst hatte, hat nicht verstanden, worum es ging." Die Weltwirtschaft am Abgrund, niemand wusste, ob es gut gehen würde. Doch es ging gut, wenn auch mit vielen Verlierern. Wallwitz hingegen sieht sich als "Krisengewinnler". Das Image der Banken war dermaßen beschädigt, dass sowohl Personal als auch Kunden lieber zu einer kleinen unabhängigen Vermögensverwaltung gingen. "Ab 2009 ging es deutlich bergauf, und seither macht es Spaß."

Der Finanzkapitalismus gilt nicht als ein Feld, auf dem eine humanistisch inspirierte Ethik viel gilt. Aber Wallwitz ist der Meinung, dass "das Finanzwesen per saldo mehr Gutes als Schlechtes bewirkt". Warum? "Ein funktionierendes Finanzwesen ist ein wesentlicher Grundpfeiler unseres wirtschaftlichen Wohlstands." Nur leider seien dort auch "viele zwielichtige Gestalten unterwegs". Keine cleveren Helden à la Odysseus, sondern Bonsai-Raubtiere wie das Wiesel. Wer so was in einem Buch schreibt, ist doch sicher geächtet bei den Branchenkollegen. "Nein", sagt Wallwitz. "Die lesen alle nicht. Solange man beim geschriebenen Wort bleibt, ist man sicher."

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