Schlosspark Nymphenburg:Als Max Emanuel ein bayerisches Versailles plante

MUENCHEN: Serie KUNSTGESCHICHTE / Kirchen - Schloss Schlosspark Nymphenburg

An den Kanälen im Nymphenburger Schlosspark sollten sich die Herrscher ergötzen - heute sind sie ein beliebter Ort für Spaziergänger und Jogger.

(Foto: Johannes Simon)

München hat eines der größten Kanalsysteme Europas. Der Bau begann mit den imperialen Träumen des bayerischen Herrschergeschlechts.

Von Martin Bernstein

Es ist die älteste seit ihrer Erbauung ständig arbeitende Maschine Europas: die gusseiserne Konstruktion, die der Ingenieur Joseph von Baader 1803 geschaffen hat und die die Fontänen im Nymphenburger Schlosspark antreibt. Doch mindestens genauso erstaunlich wie die Maschine vom Beginn des industriellen Zeitalters ist ihre Verpackung. Das "Grüne Brunnhaus" im Süden des Nymphenburger Parks ist nämlich Teil des sogenannten Dörfchens.

Einige der kleinen weißen Häuser sind noch immer bewohnt - von Mitarbeitern der Schlösser- und Seenverwaltung und ihren Familien. Sie genießen eine Idylle, die am Reißbrett entstand. Denn natürlich stand mitten im barocken Schlosspark nicht einfach ein Bauerndorf. Nach dem Vorbild von Chantilly und Versailles sollten die in fürstliche Parks hineinkomponierten Dörfer die Einfachheit des Landlebens symbolisieren. Zum Ergötzen der Schlossherren und ihrer höfischen Gesellschaft.

Demselben Zweck dienten auch die künstlich angelegten Bäche und Kanäle. Im Norden Münchens hat sich eines der größten Kanalsysteme Europas erhalten. Von einst gut 50 Kilometern sind nach 300 Jahren immer noch oder - dank der Bemühungen des Vereins Dachauer Moos und der Denkmalschutzbehörden - wieder 36 Kilometer mit Wasser gefüllt.

Nicht jeder, der an den Bächen rund ums Nymphenburger Dörfchen bummelt, in Schloss Schleißheim lustwandelt, durch die Kneipen der Kurfürstenstraße zieht oder im Winter auf dem zugefrorenen Nymphenburger Kanal dem Eisstockschießen frönt, ahnt, dass neben oder unter ihm die Reste des größten Münchner Kulturdenkmals zu finden sind. Nach dem Dreißigjährigen Krieg nämlich waren die deutschen Fürsten vom "Bauwurmb" befallen.

Was die italienischen und französischen Standesgenossen vorgemacht hatten, wollte man im vom Krieg verwüsteten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation jetzt auch. Modern sein, barock sein. Die Münchner Wittelsbacher, die den Krieg dazu genutzt hatten, auf katholischer Seite an allen Konkurrenten vorbeizuziehen und die Kurfürstenwürde nach Bayern zu holen, waren besonders eifrig.

Ein bayerisches Versailles wollte Kurfürst Max Emanuel rund um Schleißheim schaffen und so seine politischen Ansprüche demonstrieren. Denn als echter Wittelsbacher fühlte der "blaue Kurfürst" sich zu noch Höherem berufen. Max Emanuel, der in seiner Jugend die Brenta-Kanäle im Veneto und später als Generalstatthalter der Spanischen Niederlande auch Flandern kennenlernte, hatte Gefallen an Wasserbau und Wasserspielen gefunden.

Schlosspark Nymphenburg: Früher nutzten die Kurfürsten die Kanäle zum Lust-Gondeln, heute sind Besucher des Schlosses Nymphenburg auf dem Wasser unterwegs.

Früher nutzten die Kurfürsten die Kanäle zum Lust-Gondeln, heute sind Besucher des Schlosses Nymphenburg auf dem Wasser unterwegs.

(Foto: Robert Haas)

Die Münchner Kanäle - allesamt gespeist vom Wasser der Würm - dienten dem Transport von Baumaterial zu den kurfürstlichen Schlössern, speisten die dortigen Teiche und Fontänen und ermöglichten dem ambitionierten Kurfürsten Lust-Gondeleien. 1701 ließ der Kurfürst einen Kanal von Pasing zum Nymphenburger Schlosspark und weiter Richtung Schwabing bauen. Eine Meisterleistung barocker Ingenieurskunst: Nur 20 Meter beträgt der Höhenunterschied zwischen Pasing und Schwabing, gar nur 13 Meter sind es zwischen der Gerberau und Schleißheim.

Am Ende verband das Kanalnetz die Schlösser Nymphenburg, Schleißheim und Dachau. Eine Verbindung mit der Residenz wurde nicht vollendet, sie ist am schnurgeraden Verlauf der Belgrad-, Kurfürsten-, Nordend- und zum Teil auch der Fürstenstraße aber noch gut zu erkennen.

Die Gefahr von Überschwemmungen ist groß

So monumental die Ausführung des Wasserwege-Projekts auch war, wirklich neu war die Idee nicht. Schon 1601 ließ Bayernherzog Wilhelm V. einen ersten Kanal bauen, der von der Würm her das nötige Wasser nach Schleißheim liefern sollte. An diesen ersten Würmkanal, der Wasser zu den Mühlen von Feldmoching und Schleißheim bringen sollte, erinnert heute noch zwischen Karlsfeld, Ludwigsfeld und Feldmoching der bogenartige Verlauf der Heppstraße.

Auch der sogenannte "Gröbenkanal" von 1687, der wohl schon im 18. Jahrhundert wieder aufgegeben wurde, ist in der Landschaft kaum noch auszumachen. Die erste Furche zur Markierung des Verlaufs zog der Allacher Landwirt Georg Spitzwekh, ein Vorfahr des Malers Carl Spitzweg. Erhalten sind die Rechnungen für dieses - vergleichsweise bescheidene - Kanalbauwerk. 3726 Gulden und 14 Kreuzer kostete der Bau.

MUENCHEN: Serie KUNSTGESCHICHTE / Kirchen - Schloss Schlosspark Nymphenburg

Die Wirtschaftsgebäude des Schlossparks sind noch heute bewohnt.

(Foto: Johannes Simon)

Danach ging es Schlag auf Schlag. Oder besser: Spatenstich auf Spatenstich. Noch im gleichen Jahr verband ein Kanal die Würm mit dem Schleißheimer Schlossareal. Um das Nymphenburger Wasser nach Osten in den Schwabinger Bach ableiten zu können, wurde um 1700 der Nymphenburg-Biedersteiner Kanal gebaut. Der Kanal zwischen den beiden Auffahrtsalleen wurde schließlich von Kurfürst Karl Albrecht in den Jahren 1728 bis 1730 erbaut. 150 Jahre später verloren die Kanäle einen Teil ihrer Funktion.

Es gab keine absolutistischen Fürsten mehr, die Freude am Herumgondeln gefunden hätten (noch nicht einmal der in Sichtweite des Nymphenburger Dörfchens geborene Ludwig II., der in und mit München zeitlebens nicht viel anfangen konnte). Und als Transportwege wurden die Kanäle auch nicht mehr gebraucht. Manche wurden zugeschüttet, andere verfielen.

Manche aber führen seit mehr als 300 Jahren Wasser. Würmwasser überwiegend - und das kann im Winter zum Problem werden. Die Würm führt nämlich jede Menge Schwebstoffe mit sich. Das isoliert sie einigermaßen nach unten, kann im Winter aber die Bildung von Grundeis begünstigen - der Fluss friert von unten her zu. Und dann kann es zu Überschwemmungen kommen. Am Würmkanal zwischen Karlsfeld und Feldmoching erinnert noch der "Eishüttenplatz" an die nicht lange zurückliegende Zeit, als dort eine Hütte stand, in der der Flussmeister sich im Winter aufwärmen konnte.

"Wenn in kalten Wintern Grundeis entsteht und die Kanäle zuzufrieren drohen, ist die Gefahr von Überschwemmungen groß. Mit hohen Wasserhosen angetan müssen die Arbeiter dann stundenlang im kalten Wasser stehen, das Grundeis lostreten und das Randeis beseitigen," erläutert der Verein Dachauer Moos in einem Faltblatt.

Wer an einem warmen Frühsommertag durchs Nymphenburger Dörfchen bummelt und dabei vorsichtig neugierige, aber hoffentlich diskrete Blicke auf die Schlossparkbewohner des 21. Jahrhunderts, auf deren Kinderdreiräder, Wäscheleinen und Gartentische wirft, der denkt an so etwas nicht: Überschwemmungen und Grundeis sind weit weg, die wasserspendende Würm auch. Und dass das alles mit den imperialen Träumen des bayerischen Herrschergeschlechts begann, sieht man der Idylle definitiv nicht mehr an.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: