Schlampenmarsch in München:Von wegen selbst schuld

Sie tragen Bikinis und kurze Röcke, Burkas und Cordhosen. Beim Schlampenmarsch in München protestieren die Demonstranten gegen ein uraltes Vorurteil - dass Vergewaltigungsopfer mitschuld an der Tat sein sollen.

Anja Perkuhn

Sie hoffen auf viele kurze Röcke, auf Bikinis, aber auch auf schlabberige Jogginganzüge, auf Burkas, Latex, Cordhosen. "In Kanada gab es auch Männer in Strapsen", sagt Lorena Jaume-Palasi.

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Weil ein kanadischer Polizist bei einem Seminar zum Thema Vergewaltigung gesagt hatte, Frauen sollten sich nicht wie Schlampen kleiden, entstand in Toronto der erste "Schlampenmarsch". Inzwischen gibt es ihn weltweit - unser Bild zeigt eine Teilnehmerin in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul.

(Foto: AFP)

Ihre Bewegung wird von Empörung getragen - über sexuelle Übergriffe, Belästigungen, Vergewaltigungen. Lorena Jaume-Palasi ruft in München zum inzwischen weltweit verbreiteten "Slutwalk" auf, zu Deutsch: Schlampenmarsch.

Jaume-Palasi setzt sich ganz gerade hin, etwa 30 Augenpaare im Stadtbüro der Münchner Grünen sind auf sie gerichtet. Der "Slutwalk München" ist aus der Frage entstanden, ob das Opfer oft nicht selber Schuld hat an der Tat - und nicht der Täter. Beim Slutwalk am 13. August (15 Uhr, ab Goetheplatz) hofft sie deshalb auf kurze Röcke und Unterwäsche - und gleichzeitig auch auf das andere Extrem. Die Bewegung soll provozieren und damit Aufmerksamkeit erzeugen für den öffentlichen Diskurs darüber, dass kein Vergewaltiger nur auf einen Reiz reagiert und niemand eine Vergewaltigung verursacht - egal, wie er oder sie angezogen ist.

"Es ist eben nicht so, dass es bei einer Vergewaltigung immer die Frau im kurzen Rock gibt, die nachts durch einen dunklen Park läuft und von einem Mann angegriffen wird, der sich hinter einem Busch versteckt hat", sagt Jaume-Palasi. "Da gibt es immer noch zu viele Mythen."

Die anderen Podiumsgäste nicken mit starrem Blick: Cordula Weidner, Traumafachberaterin beim Münchner Frauennotruf, Arved Semerak von der Organisation Weißer Ring, die sich um Opfer von Gewalt kümmert, und Hanne Güntner von der Initiative für Münchner Mädchen (IMMA) und dem Projekt "Sichere Wies'n."

Großteil des Missbrauchs im Verwandten- und Bekanntenkreis

Sie alle haben täglich mit den Opfern sexueller Gewalt zu tun - und auch mit dem Problem, dass das verbreitete Bild von sexuellem Missbrauch ziemlich undifferenziert ist. Es ist geprägt von Klischees wie eben vom Mann, der seinen sexuellen Trieb nicht im Griff hat und der sich von einer Frau im Minirock provoziert wird.

Eine Ansicht, die es nicht nur in Deutschland gibt. Die Bewegung "Slutwalk" gründete sich Anfang des Jahres in Kanada, als ein Polizist, der auf dem Campus einer Uni einen Präventionskurs zum Thema geben sollte, die Empfehlung aussprach: "Frauen sollten sich nicht wie Schlampen anziehen, wenn sie nicht zu Opfern werden wollen." Aus der Empörung darüber entstand eine Demonstration in Toronto, inzwischen gibt es in vielen Städten solche Slutwalks: Seattle, Chicago, Seoul, Melbourne, London, Neu-Delhi - und auch in Deutschland, in Berlin, Leipzig oder jetzt München.

Dabei belegen Kriminalstatistik und Wissenschaft schon seit Jahren, dass der Großteil - etwa 90 Prozent - der sexuellen Gewalttaten im Verwandten- und Bekanntenkreis geschehen und weder beschränkt auf ein Geschlecht oder eine sexuelle Orientierung sind, noch etwas mit der Kleidung der Opfer zu tun haben.

Außerdem handelt es sich bei sexueller Gewalt auch nicht um eine tatsächliche sexuelle Handlung. "Vergewaltigung ist eine Form der Machtausübung mit dem Mittel der Sexualität", sagt Weidner. "Es geht dabei darum, Macht über jemanden auszuüben, jemanden zu erniedrigen - und das ist eine gesellschaftliche Sache, die es auch schon vor 40 Jahren gab."

Dass es trotz dieser Erkenntnis Projekte wie "Sichere Wies'n" gibt und geben muss, die Tipps für Mädchen und Frauen veröffentlichen, wie sie möglichst sicher über das Oktoberfest kommen, mag zwar inkonsequent wirken. Eine Schuldzuweisung, darüber waren sich bei der Diskussion alle einig, funktioniert trotzdem nur in genau eine Richtung: die des Täters.

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