Schlachten:Acht Sekunden für den tödlichen Schnitt

Entblutung lebender Schafe - Sachkundekurs Grub

Barbara Haas von der Landesanstalt für Landwirtschaft organisiert die Lehrgänge.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

In einem Kurs lernen Teilnehmer, wie man einem Schaf die Kehle so durchschneidet, dass es nicht unnötig leidet. Wichtigste Lektion: Nach dem Betäuben muss es schnell gehen.

Von Jakob Wetzel

Hamza Öztürk wird gleich ein Schaf töten, aber er nimmt es recht locker. Seine Familie habe ihn hergeschickt, sagt der 31-jährige Augsburger; jetzt soll er lernen, einem Tier den Hals durchzuschneiden, mit einem einzigen, langen Messerschnitt. Die Arbeit ist blutig, aber er wisse schon, was auf ihn zukommt, sagt Öztürk: "In der Türkei habe ich schon einmal geschnitten." Jetzt will er eine Bescheinigung dafür haben, dass er das auch in Deutschland darf.

Öztürk ist an diesem Morgen in die Landesanstalt für Landwirtschaft in Grub gefahren, einen Ortsteil von Poing östlich von München. Dort bieten die Behörden jedes Jahr einen "Sachkundelehrgang Entblutungsschnitt bei Schafen" an. Die Teilnehmer lernen erst in der Theorie, dann in der Praxis, wie man einem Schaf so den Hals durchtrennt, dass es nicht unnötig leiden muss.

Der Kurs ist einer von nur zweien seiner Art in ganz Deutschland. Die Teilnehmer kommen meist aus religiösen Gründen nach Grub: Einigen islamischen Denkschulen zufolge muss bei einer Schlachtung ein Muslim den tödlichen Schnitt setzen - und das darf er nur, wenn er im örtlichen Veterinäramt belegen kann, dass er einen solchen Lehrgang bestanden hat, also sachkundig ist.

Dem Staat dagegen geht es um die Schafe. Die Schlachtung soll nicht nur religiösen Regeln gerecht werden, sondern auch dem Tierschutz. Es geht hier keineswegs ums Schächten, also um die rituelle Schlachtung ohne Betäubung; eine solche ist in Deutschland grundsätzlich verboten und darf nur in Ausnahmen aus religiösen Gründen praktiziert werden.

Die Teilnehmer bekommen auch keine Erlaubnis, selbständig zu schlachten, sie dürfen weder betäuben noch zerlegen, sondern eben nur den Kehlenschnitt setzen. Und auch der ist nichts Außergewöhnliches: Er wird bei jeder Schlachtung vom Metzger gesetzt. Bevor man ein Tier essen kann, muss erst einmal das Blut heraus, Religion hin oder her. Nach dem Lehrgang dürfen die Teilnehmer also schlicht an einer normalen Schlachtung mitwirken.

Die Kurse in Grub gibt es seit 2014. Oft reisen Teilnehmer aus dem ganzen Bundesgebiet an. Die Plätze sind begrenzt, bei 20 Personen ist Schluss. Häufig gibt es einen zusätzlichen Termin, vor allem in den Wochen vor dem Opferfest Kurban Bayram oder Id al-Adha, einem der zentralen Feste des Islam; in diesem Jahr fällt es auf Ende August. Dann ist es Brauch, Tiere zu opfern und ihr Fleisch nicht nur selbst mit der Familie und Freunden zu essen, sondern es auch an Arme zu spenden. Meistens werden dafür Schafe geschlachtet. Und dann klingelt wenige Wochen vorher in Grub das Telefon.

Entblutung lebender Schafe - Sachkundekurs Grub

Mohamad Baion (links) und Gouider Zid vor der Praxis-Prüfung.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

An diesem Mittwoch ist der Kurs mäßig gut besucht. Lediglich sieben Teilnehmer haben sich angemeldet, und morgens um neun Uhr, als der Lehrgang eigentlich beginnen soll, sitzen erst zwei im Hörsaal, die übrigen hocken noch in ihren Autos. Auf der Autobahn bei München herrscht Stau, wie so oft.

Wer den Kurs besuchen will, braucht keine Vorkenntnisse, nur ein Gesundheitszeugnis, in dem steht, dass er über Hygieneregeln belehrt wurde, außerdem muss er 50 Euro Kursgebühr zahlen. Gut wären auch Gummistiefel mit Stahlkappen sowie eine Schürze fürs Schlachthaus.

Um zehn Uhr haben es immerhin fünf der angemeldeten Teilnehmer nach Grub geschafft. Peter Scheibl beginnt mit dem Lehrgang. Scheibl ist Amtstierarzt im Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, er leitet die Kurse, seit es sie gibt. Das Schneiden selbst erklärt er vergleichsweise kurz: Man müsse mit einem einzigen Schnitt auf jeder Seite des Halses sowohl die Vene als auch die Arterie durchtrennen, sagt er, aber dabei solle man nicht bis zur Wirbelsäule schneiden, sonst werde das Messer stumpf.

"Die wenigsten Leute verstoßen absichtlich gegen den Tierschutz"

Viel länger spricht Scheibl darüber, wie man Tiere betäubt und woran man erkennen kann, dass die Betäubung auch wirkt. Er erklärt auch, dass man Schafe nicht an der Wolle packen soll, das sei für die Tiere schmerzhaft; besser sei es, sie am Unterkiefer zu fassen. Er erläutert, wie die Betäubung per Elektroschock sowie per Bolzenschuss funktioniert und dass es normal ist, wenn betäubte Tiere nach kurzer Zeit mit den Beinen strampeln.

Er versichert, dass ein Elektroschock alleine die Tiere noch nicht umbringt, das ist den Teilnehmern aus religiösen Gründen wichtig. Er erklärt, dass man auch mit einem betäubten Tier behutsam umgehen muss, weil es sonst trotz Betäubung aufwachen kann. Und er zählt auf, wie man erkennt, dass man nachbetäuben muss: etwa wenn die Muskeln des Tieres nicht sofort krampfen, wenn das Schaf blinzelt, wenn es die Augen bewegt, wenn es atmet, Laute von sich gibt oder gar versucht aufzustehen.

Amtstierärztin Birgitt Huber

"Die wenigsten Leute verstoßen absichtlich gegen den Tierschutz, meistens geschieht das aus Unwissen."

Der Tierschutz ist dann nicht zuletzt eine Zeitfrage. Wird ein Schaf per Elektroschock betäubt, so wie im Schlachthaus in Grub, dann hält die Betäubung nur etwa 25 Sekunden lang an. Doch nach dem Kehlenschnitt verliert das Tier nicht sofort das Bewusstsein. Wird also zu spät geschnitten, dann wacht das Schaf auf und leidet, bevor es stirbt. Deshalb muss sein Hals spätestens acht Sekunden nach der Betäubung durchschnitten sein.

Tatsächlich liegt es oft an dieser Zeitspanne, wenn Tiere im Schlachthaus leiden. "Die wenigsten Leute verstoßen absichtlich gegen den Tierschutz, meistens geschieht das aus Unwissen", sagt die Tierärztin Birgitt Huber vom Veterinäramt Ebersberg, die den Lehrgang überwacht. Zum Beispiel wenn Tiere nach der Betäubung erst einmal an den Füßen aufgehängt werden, bevor ihnen der Hals aufgeschnitten wird. Dann sind sie zwar noch betäubt, wenn der Metzger schneidet. Und doch kann es schon zu spät sein: Während sich der Schlachter schon dem nächsten Tier widmet, wachen sie womöglich wieder auf.

Im Saal sitzen mittlerweile auch Gouider Zid und Mohamad Baion. Sie sind aus dem Allgäu zum Lehrgang nach Grub gefahren. Der 21-jährige Baion ist als Flüchtling aus Syrien nach Deutschland gekommen, er arbeitet jetzt in einer Schäferei. Zum Kurs hat ihn seine Chefin angemeldet. Vor dem islamischen Opferfest gebe es immer so viele Anfragen nach einer islamischen Schlachtung, sagt sie.

Zid dagegen wollte eigentlich nur dolmetschen, der gebürtige Tunesier lebt seit Jahrzehnten in Deutschland und spricht fließend Deutsch und Arabisch. Doch als einer der angemeldeten Teilnehmer letztlich gar nicht erscheint, macht der 71-Jährige kurz entschlossen an seiner Stelle mit. In seiner Familie sei früher auch geschlachtet worden, sagt er, aber er selber habe sich das nie getraut, das Schneiden hätten immer sein Vater und sein Onkel übernommen. Jetzt ergreift er die Gelegenheit.

Nach dem Lehrgang wartet auf die Teilnehmer ein Multiple-Choice-Test mit drei Fragen; wer hier versagt, darf gar nicht erst ins Schlachthaus. Doch es ist ein guter Kurs, die Prüfung bestehen alle. Und auch die Schnitte sitzen. Es ist Alltag im Schlachthaus, die Schafe, die im Lehrgang getötet werden, wären sowieso geschlachtet worden, nur von routinierten Metzgern, nicht von Laien unter Aufsicht und Anleitung von Tierärzten.

Als Gouider Zid das Schlachthaus verlässt und seine Schutzkleidung auszieht, lächelt er breit. Die Prüfung ist bestanden, das Schaf ist tot, eine Last verschwunden. Wie es sich angefühlt hat zu schneiden? Die Frage lässt ihn einen Moment innehalten. "Wenn man die Gewissheit hat, dass das Tier nicht leidet", antwortet er schließlich, "dann ist es in Ordnung".

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