Schauspiel:Familienbande

Schauspiel: Die Ausgestoßenen gründen ihren eigenen Staat: Doch schon bald herrscht auch dort Unterdrückung und Anarchie.

Die Ausgestoßenen gründen ihren eigenen Staat: Doch schon bald herrscht auch dort Unterdrückung und Anarchie.

(Foto: Marie Lenglachner/oh)

Vor knapp drei Jahren hat Viktor Schenkel sein "Theater Grenzenlos" gegründet, in dem junge Geflüchtete und Münchner Schüler gemeinsam auf der Bühne stehen. Jetzt spielen sie ihr mittlerweile drittes Stück "Neuland" in der Mohr-Villa

Von Hannah Schuster

Wir sind wie eine Familie", sagt Abdul Hakim, und die acht Jugendlichen, die neben ihm auf dem Bühnenrand sitzen, nicken. Gemeinsam sind sie die Schauspieler des "Theaters Grenzenlos", ein Projekts, das junge Geflüchtete und Münchner Schüler zusammen auf die Bühne holt. Der Begriff Familie fällt oft an diesem Abend, an dem das Theater seine Generalprobe hat. Familie heißt es vonseiten der Jugendlichen, die ohne ihre Eltern nach Deutschland geflüchtet sind; Familie nennt es aber beispielsweise auch Alina, die für ein Freiwilliges Soziales Jahr nach München gekommen ist und niemanden kannte; und "eine kleine Familie" sei um ihn entstanden, sagt eben auch Viktor Schenkel.

Er ist der Leiter des Projekts, selbst Schauspieler, aber schon seit einiger Zeit weniger auf der Bühne als hinter der Bühne. Vor knapp drei Jahren kam er auf die Idee für das Theater, "spätes Glück" nennt er es inzwischen. Drei der Jugendlichen von damals sind auch heute noch dabei, "wir haben das Theater aufgebaut", sagt Abdul Hakim und grinst. Viktor Schenkel ist damals zu ihnen in die Unterkunft gegangen, und sie haben einfach mitgemacht und sind geblieben, haben Freunde dazu geholt. Zu Beginn habe er "gar nichts verstanden", sagt Abdul Hakim, "ich habe nur den Kopf geschüttelt." "Aber wir haben weitergespielt", sagt Wegen, der auch seit der Anfangszeit dabei ist.

Das Theaterspielen war ihre Motivation, deutsch zu lernen, erzählen sie. "Es ist schön zu beobachten, dass sie durch das Theater stark geworden sind", sagt Viktor Schenkel. Zuerst sei es eine Herausforderung gewesen, mit den teilweise traumatisierten Menschen umzugehen. "Wir lachen viel zusammen, aber es gab auch Momente, da haben wir miteinander geweint", erzählt er. Aber mit Fingerspitzengefühl und Durchhaltevermögen hat er es geschafft, dass er heute eine feste Gruppe an Schauspielern hat. "Und da ist es egal, ob geflüchtete oder deutsche Jugendliche, es sind halt Jugendliche", sagt Schenkel und lacht.

An diesem Samstag feiert bereits ihr drittes Stück Premiere, "Neuland" heißt es und es handelt von einer Gruppe Heimatloser, die nirgendwo aufgenommen werden. Deshalb gründen sie einen eigenen Staat und nennen ihn Neuland. Dort herrschen, zu Beginn zumindest, hohe Ideale, von Liebe und gegenseitigem Verständnis zum Beispiel. Doch irgendwann beginnt die Fassade zu bröckeln, jeder will Minister sein, und dann fehlt das Volk. Ein nichts ahnender Träumer gerät den Ministern in die Fänge und wird zum Volk ernannt, auf einmal gibt es eine Unterschicht und eine Oberschicht, die Ideale des Anfangs aber gibt es nicht mehr. Schließlich brechen alle wieder auf, um ein neues Land zu finden, "so schließt sich der Kreis", sagt Schenkel.

Vor der letzten Probe geht er mit den Jugendlichen noch einmal wichtige Punkte durch, "Ansage" nennt er das. In einer Familie gibt es schließlich auch mal Streit, stellt eine der jungen Frauen fest. Heute gibt es keine Meinungsverschiedenheit, es dauert nur ein bisschen, bis alle bereit sind. Hinter der Bühne ertönt ein Stimmengewirr, Deutsch, Farsi und andere Sprachfetzen vermischen sich, eine Requisite poltert zu Boden, schließlich ist es still. Tatsächlich sprechen die Jugendlichen auch während des Stücks kaum, nur einzelne Sätze sind live, der Rest kommt vom Band, aber überwiegend erzählen sie die Geschichte sowieso mit anderen Mitteln.

Mit ihren Blicken beispielsweise. Wie ausgewechselt stehen sie auf der Bühne, starr schauen sie in Publikum, grell beleuchtet von einem Scheinwerfer und die Gesichter weiß geschminkt. Viktor Schenkel will die "Menschen nicht ausstellen", deswegen hat er in der letzten Inszenierung auch Masken verwendet. Diesmal spielen manche Szenen auch hinter der Leinwand, die angestrahlt wird, sodass nur die Schatten zu sehen sind. "So entstehen archaische Bilder", sagt Schenkel. Die Jugendlichen spielen barfuß, sie drücken sich durch ihre Bewegungen aus und brauchen deshalb auch nur so wenig Text.

Nach der Probe fällt die Ernsthaftigkeit wieder von den jungen Schauspielern ab, und das zufriedene Resümee lautet: "gut gespielt". Sie sind schließlich auch alle einfach nur aus dem Grund hier, weil sie Spaß haben am Theater. Als sich alle verabschieden, zeigt sich aber noch einmal, was das Schauspielern vor allem für die geflüchteten Jugendlichen bedeutet: Familie, eine Gruppe, die Anlaufstelle ist. "Das werde ich nie in meinem Leben vergessen", sagt Hakim.

Die Premiere des Stücks "Neuland" des Theaters Grenzenlos an diesem Samstag, 9. Juni, in der Mohr-Villa, Situlistraße 75, ist bereits ausverkauft. Weitere Vorstellungen am 14., 21. und 22. Juni. Beginn ist jeweils um 20.30 Uhr. Eintrittskarten können auf www.theater-grenzenlos.org/tour reserviert werden und kosten acht Euro.

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