Filmfest München:"Wir sind doch alle Verkäufer"

Ob Schauspieler, Regisseure oder Caster: Auf dem Filmfest wollen alle einen guten Eindruck machen und die Stimmung der Branche erspüren. Die ist kämpferisch und vom Brexit unbeeindruckt.

Von Philipp Crone

Eine gute Frage", sagt Schauspieler Christian Friedel. Er steht am Freitagnachmittag auf dem roten Teppich vor dem Gasteig und schwitzt bei 35 Grad. Gleich wird der Film "Die Dasslers" über Adolf und Rudolf Dassler gezeigt, die Adidas zur Weltmarke gemacht haben. Friedel spielt Adi, also einen Verkäufer. Ob denn Schauspieler auch Verkäufer sind? Friedel sagt: "Ja, wir sind doch alle Verkäufer." An den ersten Tagen des 34. Filmfests ist zu sehen, auf welche Art und mit wie viel Erfolg die einzelnen Protagonisten dieses großen Münchner Sommerwerbefilms das bewerkstelligen.

Friedel verkauft vor der Kamera dem Zuschauer, dass er wirklich Adi Dassler, und auf dem Teppich zuvor, dass der Film hervorragend ist. Die Produzenten des Films haben zu Beginn die Dassler-Geschichte den Geldgebern als ganz wunderbar verkauft. Dafür darf nun einer der Finanziers, Klaus Schaefer vom FilmFernsehFonds Bayern, auch auf ein Foto, zusammen mit 23 anderen Menschen, die irgendwas gut verkaufen können, im Zweifel sich selbst.

Wer hier über die ausgerollten Teppiche der Schauspielagenturen, Sender oder Filmfirmen läuft, ist wie Friedel zum Beispiel meist gut im Geschäft. Viele jedoch müssen kämpfen, und sei es zunächst einmal darum, in eine der renommierten Schauspiel-Agenturen aufgenommen zu werden. Bei Scenario etwa oder bei Reuter. Bei deren Empfang im H'ugo's am Samstag kommt eine Nachwuchsdarstellerin auf Michaela May zu. "Ich war eines deiner Filmkinder", sagt sie. May überlegt, dann erinnert sie sich. Ob die ältere Kollegin nicht ein gutes Wort einlegen könne bei der Agentur? May sagt hinterher: "Ich mache so etwas ja schon, aber dafür brauche ich einen richtig tiefen Eindruck von den Leuten, die ich empfehle."

Franziska Aigner, eine der derzeit gefragtesten Casterinnen gerade für bayerische Darsteller, formuliert es so: "Hier habe ich die Gelegenheit, die Leute live kennenzulernen, nicht virtuell." Sei es in Mail-Korrespondenzen oder bei hochgeladenen Showreels, wie die Beispielfilme heißen, mit denen sich Darsteller bewerben. "Ich sehe die Leute hier ganz frisch und spüre, was sie ausstrahlen." Sie deutet auf einen schlanken Mann mit weißem Hemd und Vollbart. "Da steht Jochen Nickel zum Beispiel, den habe ich lange nicht gesehen, der sieht gerade ganz schön cool aus." Nickel kommt zu ihr, man plaudert.

"John Travolta in Pulp Fiction ist das beste Beispiel", sagt Aigner. "Bevor Tarantino ihn da besetzt hat, war der total out. Er wurde neu erfunden, das ist die größte Casting-Kunst." Und so wie die Darsteller eine Casterin wie Aigner umgarnen, damit sie den Produktionsfirmen vorschlägt, beim nächsten Projekt doch mal den coolen Nickel zu besetzen, ist Aigner wiederum selbst aufmerksam. Es könnte sich ja ein Kontakt zu einem Produzenten ergeben, den sie noch nicht kennt und der bei Gelegenheit auf ihr Gespür für Rollen setzt.

Aktuelle Apokalypse

Die Türkei, ein einziger Albtraum: Zwischen Wolkenkratzern explodieren Bomben, in den Straßenschluchten brennen Müllcontainer, der Staat macht Tag und Nacht Jagd auf echte oder vermeintliche Terroristen. Der türkische Regisseur Emin Alper, 41, sagt, er habe eine "Zukunftsvision" gedreht, ein "universelles" Drama, nicht an Ort und Zeit gebunden. Aber die Polizisten in "Abluka" (Blockade, englischer Titel: Frenzy) tragen Uniformen türkischer Polizisten, ihre weißen Panzerwagen sehen aus wie das Original. Als Alper mit den Dreharbeiten begann, "war die Türkei, noch ein friedliches Land", so der Regisseur am Samstag bei der Deutschlandpremiere seines Dramas - des einzigen türkischen Beitrags zum Münchner Filmfest. Inzwischen sieht Alper seine Heimat "Tag für Tag" mehr auf dem Weg "in Richtung einer Diktatur". 2015 bekam er für seine Film im Wettbewerb von Venedig bereits den Spezialpreis der Jury. Seitdem hat Alpers Apokalypse aber erst ihre geradezu gespenstige Aktualität gewonnen - nach Anschlägen in der Türkei, wie in Paris und Brüssel: im Kampf gegen ihre Feinde gibt eine Gesellschaft alle Freiheiten dran, bis keiner mehr dem anderen traut. Alper hatte für seine pessimistische Parabel auch Geld aus Ankara bekommen, er hat Zweifel, dass dies heute möglich wäre. csc

Michael Brandner, knallblaues Sakko, steht unter weißen Sonnenschirmen und überlegt, welche Auswirkungen der Brexit auf die Filmbranche haben könnte. "In Berlin gibt es zehn englische Produktionen pro Jahr, die werden schon jammern." In der Branche komme gerade viel in Gang, "weil wir kein endloses Wachstum mehr haben und dadurch Druck entsteht, zum Beispiel auf die öffentlich-rechtlichen Sender". Die Verhandlungen über Urheberrechte, Arbeitsbedingungen oder Erlösbeteiligung für Filmschaffende an den Gewinnen der Sender bekämen derzeit einen Schub.

Während also im Innenhof des H'ugo's bei einem Glas Moët frische zwischenmenschliche Eindrücke gewonnen werden, gibt auf der anderen Seite des Promenadeplatzes der einzige Hollywoodgast dieses Jahres vor dem Bayerischen Hof ein paar Autogramme. Ellen Burstyn wird am Montag mit dem CineMerit-Award ausgezeichnet. So lockt man die Darsteller. Zuvor gibt es am Sonntag neben dem Kindermedienpreis unter anderem an den Film "König Laurin" noch den Bernd-Burgemeister-Preis. Burstyn ist den jugendlichen Autogrammsammlern ein Begriff, einer von ihnen sagt: "Den Exorzisten kennt doch jeder!" So wie jeder ein paar Kilometer weiter nördlich im Arri Kino Klaus Lemke kennt.

Hier wird eine Dokumentation über die Münchner Gruppe gezeigt, Filmemacher zu einer Zeit, als München die Filmstadt Nummer eins in Deutschland war. Lemke dreht im Foyer noch ein paar Szenen für seinen neuen Film, in dem ein Regisseur Geld für sein nächstes Projekt auftreiben muss. Realität und filmische Fiktion sind hier sehr nahe beieinander. Am Tresen sitzt Toni Netzle, 87, die ehemalige Wirtin des Alten Simpl, wo vor 34 Jahren die Idee entstand, ein Filmfest zu organisieren. "Schon damals haben wir über Geld gesprochen, es war noch nie genug da." Genug, um nicht nur deutsche Darsteller an die Isar zu locken, sondern auch international bekannte Schauspieler.

Auf der Praterinsel sind beim "Audi Director's Cut" am Abend 450 Gäste aus der deutschen Branche gekommen. Darsteller Francis Fulton-Smith, Engländer, ist schockiert darüber, dass "der englischen Jugend die Zukunft geraubt wird" durch den Brexit. Er wird am Buffet angesprochen von einem Mann im weißen, halb offenen Hemd. Er plane einen Film mit Friedrich Mücke und an der Kamera Gernot Roll. "Und dann willst du noch so einen Anfänger wie mich?" Selbstironie klingt immer dann am besten, wenn man sie nicht missverstehen kann.

Fulton-Smith vertröstet den Mann aufs nächste Jahr. Aber vielleicht sieht man sich ja noch auf einem der nächsten Feste. Oft bahnen sich Zusammenarbeiten über Tage an, man läuft sich eben auf den Dutzenden Veranstaltungen immer wieder über den Weg, zufällig oder nicht zufällig.

Während auf der Praterinsel am Samstagabend Schauspieler an Sponsorenständen entlangflanieren und sich dezent in die Auslage stellen, steht Christian Petzold, international sehr angesehener Regisseur ("Phoenix"), im Gasteig vor einem großen Foto von sich. Der 55-Jährige wird mit einer Retrospektive geehrt, zu sehen ist sein aktueller Polizeiruf mit Matthias Brandt. Schauspieler Benno Fürmann hält die Laudatio. Petzold schaffe es, "das Spürbare sichtbar zu machen". Seine Figuren seien solche, "die das Wir wollen, aber in der Einsamkeit verharren". Einige solcher Figuren würde er sicher auch auf dem Filmfest finden.

Filmfest München - Schaulaufen der Darsteller

Ob Christian Petzold, Michael Brandner oder Wolfgang Fierek: Auf dem Filmfest in München treffen sie sich alle.

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