Schau:Nostalgie im Kesselhaus

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Eine Ausstellung erinnert an die 92-jährige Geschichte der Diamalt AG und führt den Allachern und den Untermenzingern die restaurierten Gebäude als wertvolles Industriekulturerbe vor Augen. Die Maschinenhalle steht nicht mehr leer, sondern ist heute bewohnt

Von Anita Naujokat

Dieter Böttger und Georg Waizmann haben noch die Öfen gesehen, in denen die Feuer brannten. Und Karoline Wagner schwärmt immer noch von der Zeit in dem Allacher Unternehmen; bei Diamalt hatte sie 1979 eine Lehre als Chemielaborantin begonnen. "Das war die schönste Zeit überhaupt, ein großes familiäres Miteinander." Im Kesselhaus feierten sie bis früh morgens Weihnachten, Deutsche, Türken, alle miteinander. "Ich habe nie mehr eine Firma mit so einem großen Zugehörigkeitsgefühl erlebt", erklärt die heutige Siemensianerin. Jetzt sind sie alle dorthin zurückgekehrt, wo sie bis zu zwei Drittel ihres Arbeitslebens verbracht haben. Die Kessel sind zwar längst erkaltet, aber sie stehen noch und erstrahlen in neuem Glanz, ebenso wie das ganze Gebäude.

Das Kesselhaus der Diamalt AG ist mittlerweile restauriert und bewohnt. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Diamalt AG, die 92 Jahre den ganzen Stadtbezirk Allach-Untermenzing, viele Leben geprägt und weltweit die Backkultur revolutioniert hat, existiert nicht mehr, doch das Kesselhaus hat überdauert. In diesem Jahr ist es hundert Jahre alt geworden. Anlass für seine Eigentümer Matthias Mertmann und Andrea Wichelhaus, es zu öffnen und den Allachern, den Untermenzingern sowie der ganzen Stadt zusammen mit einer Ausstellung als wertvolles Industriekulturerbe vor Augen zu führen. "Wir wollen zeigen, dass etwas Positives entstanden ist und entsteht", sagte Mertmann vor weit mehr als hundert Gästen bei der Eröffnung. Vor fünf Jahren hatte die Familie das verfallene, von den Gebrüdern Rank geschaffene Kessel- und Maschinenhaus erworben und aufwendig restauriert. Seit der Fertigstellung arbeitet und wohnt die Familie darin mit ihren Kindern. Die alten Anlagen haben die neuen Eigentümer weitgehend erhalten und in ihr Leben integriert. Mertmanns Rede endete nicht von ungefähr mit dem Appell: "Bleiben Sie Diamalt-affin."

Auch die Blaskapelle ist dabei. (Foto: Stephan Rumpf)

Auf zehn Tafeln, von den Anfängen über die Produkte bis hin zum Niedergang, den wilden Jahren danach und der Sanierung, skizziert die Ausstellung nicht nur die Geschichte eines Unternehmens: Sie nimmt auch Bezug zum Stadtteil und demonstriert anschaulich an Ort und Stelle, wie sich alte Baukultur mit Wohnen und Arbeiten bei heutigen Ansprüchen aufs Beste verbinden lässt. Eine Collage aus Luftaufnahmen auf einem Banner in sieben Metern Höhe zeigt, wie Allach ausgesehen hat, als sich vor mehr als 100 Jahren Diamalt angesiedelt hat. Eine Handvoll Häuser neben einer Bahnstrecke und dem Werksgelände. Für den Untermenzinger Historiker Walter G. Demmel, dessen Buch "Die Diamalt AG - Ein Beitrag zur Münchener Industriegeschichte" die Ausstellung vertiefend begleitet ( siehe Text unten), ist trotz seiner umfangreichen Forschungen noch einiges rätselhaft geblieben: Etwa wie es den Firmengründern innerhalb kürzester Zeit gelungen war, die Grundstücke zu erwerben und schon ein Jahr später die ersten Malzbonbons zu produzieren. "Ich kann das immer noch nicht glauben", sagt er. Gewidmet hat er das Buch seinen Enkelkindern und der Zukunft. Und er sagt auch, warum: "Wer sich mit der Vergangenheit beschäftigt, darf nicht vergessen, sich ausgehend von der Gegenwart auf die Zukunft zu richten."

Die Eigentümer öffnen es jetzt für die Öffentlichkeit - zunächst einmal, so lange die Ausstellung andauert. (Foto: Stephan Rumpf)

CSU-Stadträtin Heike Kainz, zugleich Vorsitzende des Bezirksausschusses Allach-Untermenzing, sprach zur Eröffnung von gleich drei hervorragenden Ereignissen: der Ausstellung, dem Buch und dem Besuch im frisch restaurierten Kesselhaus. Dort sei es gelungen, die Geschichte eines Stadtteils und seiner Industrie zu verzahnen und zu zeigen: Wohnen und Industrie könnten eine gute Ergänzung sein. "Der Prozess wird weitergehen" sagte sie in Anspielung auf die noch nicht sanierte benachbarte alte Suppenwürzefabrik und die Werkstätten. Sie stehen unter Denkmalschutz und sind im Eigentum der Isaria Wohnbau, die auf dem übrigen Gelände Wohnungen bauen will.

Natalie Schmid, Ehefrau von Münchens Bürgermeister Josef Schmid (CSU), hat ihre ganz eigenen Erinnerungen an den Ort. In Dachau aufgewachsen, sei sie oft mit dem Zug daran vorbeigefahren. Dieser Schornstein, diese Gebäude, hätten ihr auf dem Heimweg immer signalisiert, bald zu Hause zu sein. Als sie nach Allach gezogen war, habe sie nach Stürmen immer geschaut, ob der Kamin noch stehe. "Für mich war und ist er immer ein Denkmal von Allach." Er sei ein "wesentliches Beispiel der Kulturgeschichte Allachs".

Stadtteilhistoriker Demmel lässt indes schon Pläne anklingen, die alte Maschinenhalle eventuell im Sinne von Bürgerinteressen zur Verfügung zu stellen: Wäre doch schade, die hohen Decken, das Rabitz-Gewölbe und die ganze Raumschönheit für potenzielle Mieter abhängen zu müssen.

Die Ausstellung "100 Jahre Diamalt-Kesselhaus in Allach" ist noch bis 2. Oktober im renovierten Maschinen- und Kesselhaus Am Münchfeld 40 zu sehen. Geöffnet ist werktags von 10 bis 17 Uhr. Geplant sind Vorträge . Informationen zu Führungen gibt es direkt im Haus. Der Eintritt ist frei.

© SZ vom 22.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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