Schäfflertanz in München:"Und immer, immer wieder geht die Sonne auf"

Das Frühstück ist flüssig: Helles als "Weißbrot", Starkbier als "Vollkornbrot". Jeden Morgen um halb sieben treffen sich die Schäffler in ihrem Hauptquartier, ehe sie losziehen zum Tanzen. Sie schwanken zwischen Stolz und Zweifel.

Judith Liere

Seltsame Dinge passieren morgens um halb sieben in der Herzogspitalstraße. Ein Mann in einer altmodischen Uniform - rote Jacke, schwarze Kniebundhose, grüner Hut mit Federn - läuft an den dunklen Häusern vorbei. Er verschwindet in einer Hofeinfahrt, die Schnallenschuhe hinterlassen feine Spuren im festen Schnee.

Schäfflertanz in München: Ein Hinterzimmer im ersten Stock des Augustiner Stammhauses dient den Schäfflern als Treffpunkt und Materiallager für "Handschua", "Strümpf", "Hemd'n" und "West'n".

Ein Hinterzimmer im ersten Stock des Augustiner Stammhauses dient den Schäfflern als Treffpunkt und Materiallager für "Handschua", "Strümpf", "Hemd'n" und "West'n".

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Ein paar Minuten später klingelt es sanft in der Damenstiftstraße, kurz darauf taucht ein Mann in einem mit bunten Rauten bedruckten Anzug auf, Glöckchen hängen an Jacke und Kragen, er trägt einen blauen und einen roten Kniestrumpf. Auch er geht in den Hof, vorbei an Bierfässern und Getränkekisten. Niemand hat sie bemerkt, München schläft noch.

Die Männer in den seltsamen Kostümen beleben einen Brauch aus vergangenen Zeiten, als die Frauenkirche noch ein Neubau und das Hofbräuhaus noch nicht gegründet war. Seit 43 Tagen treffen sie und 37 weitere Männer sich jeden Tag in aller Frühe, um durch die Stadt zu fahren, auf dass der Brauch lebendig bleibe. Der Hof in der Herzogspitalstraße führt zum Hintereingang des Augustiner Stammhauses. In einem Hinterzimmer im ersten Stock ist ihre Herberge: das Hauptquartier der Schäfflertänzer.

Es riecht nach Kaffee und nach nassen Füßen. "Nicht getrocknet", sagt Christian Haller vorwurfsvoll. Der Schuhmachermeister hält ein Paar Lederschuhe in der Hand, resigniert legt er sie in die Kiste zu all den anderen dreckigen, streusalzverkrusteten Schnallenschuhen. Haller begleitet die Schäffler durch die Saison, tauscht jeden Morgen die Schuhe aus, putzt sie, erneuert alle zwei Tage die durchgetanzten Sohlen.

Jeder Schäffler hat zwei Paar Schuhe zum Wechseln. Vier Wäschekisten stehen bereit, beschriftet mit "Handschua", "Strümpf", "Hemd'n" und "West'n", die frisch gebügelten Hemden und sauberen Strümpfe liegen in mit Namen versehenen Fächern für die Männer bereit. Ordnung ist wichtig auf dem beengten Raum.

Zwischen halb sieben und sieben trudeln die Männer ein, ziehen Lederschurz und rote Joppe an, justieren die Gummibänder, die die Kniestrümpfe auf den Wadln halten. Die Kälte hat endlich nachgelassen, statt minus 20 sind es nur noch minus zwei Grad, da geht es auch ohne Zehenwärmer zum Einlegen, aber die Funktionsunterwäsche bleibt an.

Um viertel nach sieben fährt der Bus, um acht Uhr ist der erste Auftritt. Der wievielte in dieser Saison - keine Ahnung, das zählten sie nicht mit, sagt Schäffler Christoph Saur ein wenig müde, so 300 werden's schon gewesen sein. An diesem Tag liegen zwölf Tänze vor ihnen, darunter an sieben Schulen und auf dem Viktualienmarkt, wo die Narrhalla den Unsinnigen Donnerstag feiert.

Warum eigentlich?

Der Weg aus der Herberge zum Bus wird jeden Tag mit einem ordentlichen Ausmarsch begangen, winkend, Reifen haltend, inklusive Blasmusik der Ludwig-Thoma-Musikanten. Das sieht zwar um diese Uhrzeit auf der Neuhauser Straße kaum jemand, und die wenigen, die da verschlafen zur Arbeit huschen, schauen eher irritiert als bewundernd, aber das morgendliche Ritual gehört dazu, als "Gruß zur Herberge", erklärt Saur.

Im Bus ist es eng. Ein ausrangierter Linienbus, voll mit Buchsbaumbögen, dem Fass, der Fahne, 39 Schäfflern und einer Blasmusikkapelle samt Instrumenten. Die Laune ist trotzdem gut, vorne hängt ein Schild, das anzeigt, wie lang die Saison noch dauert. Als Saur es auf den aktuellen Stand bringt - "noch fünf Tage und der Rest von heute" - stimmen die Männer ein Lied an: "Und immer, immer wieder geht die Sonne auf". Die ersten Bierflaschen werden geöffnet, "Frühstückskolben", das Helle als "Weißbrot", das Starkbier als "Vollkornbrot".

An der Ampel am Isartor packt der Schäffler, der den Bus fährt, seinen Elektrorasierer aus, dazu war daheim keine Zeit. "Jetzt ist Endspurt", sagt Tänzer Christian Böltl. "Zwischendurch gab's einen Hänger, wo man sich schon fragt, warum man das eigentlich macht." Ja, warum eigentlich?

Wegen der Tradition natürlich. Die Männer sind verdammt stolz, Schäfflertänzer zu sein, nasse Füße und kalte Ohren hin oder her. Und sie sind sicher: Wehmutstränen werden fließen, am Dienstag, wenn die Saison um 20 Uhr mit dem letzten Tanz vor der Herberge in der Neuhauser Straße zu Ende geht.

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