Arbeiter-Samariter-Bund unter Druck:Barmherzige auf Abwegen

Arbeiter-Samariter-Bund ASB unter Druck

Nach außen hin läuft der Betrieb normal in der Adi-Maislinger-Straße in München, wo der Münchner ASB seinen Sitz hat. Intern herrscht indes eine "giftige Atmosphäre", ist zu hören.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der Münchner Arbeiter-Samariter-Bund steckt in einer Krise. Es geht um Niedriglöhne, die Schädigung von Mitarbeitern und die fragwürdige Beobachtung eines Betriebsrats. Allesamt Vorgänge, die ungewöhnlich sind für einen angesehenen Wohlfahrtsverband.

Von Bernd Kastner

Der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) ist ein angesehener Wohlfahrtsverband, und gerade der Regionalverband München/Oberbayern schafft immer wieder Neues und Vorbildliches. Sie können aber auch sehr verschwiegen sein, die Münchner Samariter, zumindest dann, wenn es kritisch wird. Und kritisch ist es in diesen Tagen. Demnächst muss die jährliche Mitgliederversammlung stattfinden, es wird auch Zeit, das Jahr ist bald zu Ende. Dabei könnte es zum Beispiel Fragen zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen ASB-Verantwortliche geben. Die Versammlung ist das wichtigste Organ des als Verein organisierten ASB, eingeladen sind rund 45.000 Mitglieder aus ganz Oberbayern. Theoretisch.

Tatsächlich aber ist fraglich, ob auch nur annähernd alle davon erfahren haben. In den vergangenen Jahren wurde immer nur mit einem Aushang in der Münchner Geschäftsstelle über Termin, Ort und Tagesordnung informiert. Gewiss, das ist formal zulässig, weil die Satzung des ASB-München dies so vorsieht und das zuständige Registergericht es abgesegnet hat. Aber entspricht es "demokratischen Grundsätzen", zu denen sich der ASB bekennt? Und welches Mitglied aus Garmisch oder Ingolstadt schaut schon regelmäßig auf das schwarze Brett in einem Münchner Gewerbegebiet? Zur letztjährigen Versammlung kamen nicht einmal 20 Mitglieder.

Wie also wurde dieses Jahr eingeladen? Die ASB-Führung schweigt, will nicht einmal den Termin verraten. Das Schweigen wirkt bisweilen wie eine Mauer, und dahinter, so beschreibt es einer, der nicht in Verdacht steht, dem Verband Böses zu wollen, dahinter herrscht eine "giftige Atmosphäre. Wenn ASBler dieser Tage aus dem Inneren erzählen, handeln die Geschichten von Verdacht und Vorwürfen, von Vertrauen und Vertrauensbruch, davon, wie Samariter einen Samariter beobachten, wie Betriebsräte über einen Betriebsrat berichten - an den Arbeitgeber. Der Münchner ASB, dessen Haupt- und Ehrenamtliche so wertvolle Arbeit leisten, wirkt dann plötzlich gar nicht mehr so barmherzig.

Es war der Besuch der Schwarzarbeitsfahnder des Zolls Ende Februar, in Folge dessen manches publik wurde, was im ASB München Usus zu sein scheint. Die Ermittler kamen mit richterlichem Durchsuchungsbeschluss, um die Bezahlung der Rettungsassistenten im Praktikum zu prüfen. Die meist jungen Leute bekamen, das räumte der ASB selbst ein, im zweiten Jahr ihrer Ausbildung 125 Euro im Monat - für einen verantwortungsvollen Vollzeitjob.

Das ist nicht viel für einen Wohlfahrtsverband, der, nach eigenen Worten, auf "verantwortungsbewusste und motivierte" Mitarbeiter angewiesen ist. Dennoch dürfte der Minilohn nach SZ-Informationen strafrechtlich kaum zu ahnden sein, weil die Gesetze keinen festen Praktikantenlohn vorschrieben. Auch unabhängig vom Verdacht, dass die Praktikanten zu oft anstelle von Hauptamtlichen eingesetzt worden seien: Der ASB war bloßgestellt. Dass auch in anderen Wohlfahrtsverbänden nicht immer alles okay ist, nützt da wenig.

Ende Oktober kamen die Ermittler erneut in die Adi-Maislinger-Straße, weil die Auswertung der beschlagnahmten Unterlagen einen neuen Verdacht ergeben habe: Hat der ASB womöglich mit einem anderen trickreichen Beschäftigungsmodell im Rettungsdienst Sozialkassen und Mitarbeiter geschädigt? Wieder wurde ein Durchsuchungsbeschluss vorgezeigt, wieder sicherte der ASB schnelle Aufklärung zu. Wenig später aber reichten die ASB-Oberen Beschwerde gegen die Durchsuchung ein. Nun liegen die Ermittlungen auf Eis, bis ein Gericht über die Rechtmäßigkeit entschieden hat. Der ASB-Geschäftsführer - gegen ihn und zwei weitere Führungskräfte richten sich die Ermittlungen - versichert, dass man trotzdem weiter mit den Behörden kooperiere, es gelte nur, einzelne rechtliche Fragen zu klären. Ansonsten schweigt er zu Fragen der SZ.

Ungewöhnlich für einen Wohlfahrtsverband

Zum strafrechtlichen Konflikt kommt ein interner in der Belegschaft hinzu: Es gibt einerseits das Lager um den Geschäftsführer, andererseits seine Kritiker. Auf die Spitze getrieben wird dieses Gegeneinander im Streit zwischen der ASB-Führung und dem langjährigen Betriebsratsmitglied Franz D. (Name geändert). Nach SZ-Informationen macht ihn die ASB-Führung etwa dafür verantwortlich, dass die Ermittler noch immer kritische Fragen zu Beschäftigungsmodellen stellen. Und dass die Presse sich für den ASB interessiert. D., seit 20 Jahren im ASB beschäftigt, soll entlassen werden, weil die Führung ihn verdächtigt, den Verband bei Behörden, Geschäftspartnern und der Presse schlechtgemacht zu haben. Den Rauswurf will der ASB vor dem Arbeitsgericht durchsetzen.

Dabei wendet der ASB Methoden an, die, vorsichtig formuliert, ungewöhnlich sind, zumal für einen Wohlfahrtsverband. Nach SZ-Informationen haben Vorstände wie Führungskräfte in mehreren Protokollen das Verhalten des unbequemen Mitarbeitervertreters D. notiert - und nach oben durchgereicht. So soll beispielsweise festgehalten worden sein, dass D. am Tag der zweiten Durchsuchung trotz Krankschreibung im Betrieb gewesen sei. Akribisch sollen mehrere ASBler protokolliert haben, wo sich D. an jenem Donnerstag aufgehalten, wann und wo er was zu wem gesagt haben soll. Der ASB vermutet wohl, so ist zu hören, dass D. die Durchsuchung initiiert habe. D. selbst begründet seine Anwesenheit dagegen angeblich damit, dass er den Dienstplan habe einsehen wollen.

Ein Vorstandsmitglied soll zu Papier gebracht haben, wie D. in einem Arbeitsgerichtsprozess im April gegen den ASB argumentiert habe, angeblich ausschweifend und negativ. Weil die SZ in dieser öffentlichen Verhandlung zugegen war - der ASB stand damals längst im öffentlichen Fokus -, folgert die Verbandsspitze, dass D. den ASB gegenüber der Presse habe schlecht machen wollen. Angelastet wird D. auch, dass er die Anwesenheit der SZ in der Verhandlung nicht glaubhaft habe erklären können. Weil ein Arbeitgeber, wenn er einen Mitarbeitervertreter entlassen will, die Zustimmung des Betriebsrats benötigt, wurde die geplante Kündigung in diesem Gremium diskutiert - und am Ende knapp abgelehnt. D. wurde angehört. Nach SZ-Informationen sollen Betriebsräte, die dem Arbeitgeberlager zugerechnet werden, der ASB-Spitze anschließend berichtet haben, wie sich D. in der nicht-öffentlichen Sitzung verhalten und was er gesagt habe. Dürfen Betriebsräte aus solch einer Sitzung gegenüber dem Chef plaudern? Nein, heißt es dazu beim Deutschen Gewerkschaftsbund in Berlin. Betriebsratssitzungen seien "grundsätzlich vertraulich".

Während sich in der kommenden Woche das Arbeitsgericht mit der Causa D. befassen will, beantwortet der Münchner ASB keine Fragen dazu. Die "Offenheit" mancher Betriebsratsmitglieder gegenüber dem Arbeitgeber könnte weitere unangenehme Folgen für den Verband haben. Die Gewerkschaft Verdi prüft juristisch, ob die allzu gesprächigen Betriebsräte abberufen werden können. Und auch der ASB-Landesverband macht Druck: "Sehr unglücklich" sei er über die Vorgänge in München, sagt Landesgeschäftsführer Thomas Klüpfel. Er fordere "umfassende Aufklärung" und habe das Kontrollorgan des Regionalverbands eingeschaltet. "Der Münchner ASB macht uns Sorgen."

An der Spitze in München steht der ehrenamtliche Vorsitzende Eduard Höcherl, von Beruf Chefarzt am Klinikum Schwabing. Wenn man mit ihm dieser Tage über die Krise seines Vereins reden will, kommt man nicht weit. Entweder er sagt gar nichts oder er ergeht sich in kryptischen Andeutungen. Wie ist das zum Beispiel mit der Einladung zur Mitgliederversammlung? Immerhin saß Höcherl von 1984 bis 1997 für die CSU im Stadtrat und hat da demokratische Erfahrung gesammelt.

Und im März hat er angekündigt, künftig so einzuladen, dass auch alle Mitglieder dies erfahren, also nicht nur über einen Aushang in der Geschäftsstelle. Hat man sie jetzt also via Homepage, E-Mail oder Mitgliederzeitschrift informiert? Eduard Höcherl gibt am Telefon die Auskunft, dass man "weitere Maßnahmen" ergriffen habe. Er klingt, als rede er über ein Geheimtreffen. Vermutlich meint er mit "Maßnahmen" eine Anzeige, die in einer Regionalzeitung erschienen sein soll. Überhaupt wirkt Höcherl genervt, wenn man ihm kritische Fragen zu seinem Verband stellt: "Ich weiß nicht, warum ich da immer hineingezogen werde."

Das sagt der oberste Repräsentant des Münchner ASB. Wann und wo die wichtigste Versammlung des Vereins stattfindet, erfährt man schließlich unter der Hand: In der ASB-Zentrale, fünf Tage vor Heiligabend, nachmittags um fünf.

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