S-Bahn-Chaos:Ratlos am Bahnsteig

Die schlechte Kommuniaktion bereitet auch dem S-Bahnchef schlaflose Nächte. Ein neues Computersystem soll für schnellere Informationen sorgen - doch geredet wird darüber schon lange

Von A. Hoben, A. Schubert und St. Simon

Münchens S-Bahnchef Heiko Büttner hatte am Donnerstag eine unruhige Nacht. Erst legte eine Störung im Stellwerk am Nachmittag die S-Bahn für Stunden lahm. Und kaum hatte sich der Verkehr halbwegs stabilisiert, sorgte ein Kurzschluss im Hauptbahnhof für einen stundenlangen Totalausfall. Zum Frühstück bekam Büttner am Freitag gleich die nächste Hiobsbotschaft: Polizeieinsatz zwischen Berg am Laim und Riem, ein Baum in der Oberleitung zwischen Zorneding und Haar, und noch ein Baum in Fürstenfeldbruck, die Folge: nichts ging mehr in weiten Teilen des Netzes, schon wieder. "Das war sehr ärgerlich", sagt Büttner. Und noch mehr dürften sich wieder einmal die Fahrgäste geärgert haben, die ratlos an den Bahnsteigen standen und nicht wussten, wie sie zur Arbeit oder nach Hause kommen sollten. Für sie stellten sich die immer gleichen Fragen: Welcher Zug fährt jetzt wohin? Komme ich überhaupt irgendwann vorwärts? Wie lange wird die Störung noch dauern? Kritik kommt deshalb auch vom Münchner Verkehrsverbund (MVV): "Es gibt deutlichen Verbesserungsbedarf. Die Bahn muss sich als Konzern darauf verpflichten, dass das endlich besser wird", fordert MVV-Geschäftsführer Alexander Freitag. Immer wieder werde dies nach Großstörungen angemahnt, aber noch habe es keinen echten Durchbruch bei dem Problem gegeben.

Feuerwehr - Gefahrgutunfall

Am Marienplatz war das Gedränge am Donnerstagabend groß.

(Foto: Thomas Gaulke)

Dass die Informationen an den Bahnhöfen teils miserabel sind, ist der Bahn bekannt. Büttners Mitarbeiter sind im Störfall mit zwei Problemen konfrontiert: Das eine ist, den Störfall zu beheben und die Folgen zu managen. Denn auch wenn nur eine halbe Stunde - wie am Donnerstagnachmittag der Fall - eine Störung auftritt, ziehen sich die Verspätungen und Ausfälle mitunter noch über mehrere Stunden hin. Und wenn die Störung dann noch länger dauert als die dreieinhalb Stunden am Abend, geht das Durcheinander bis spät in die Nacht. Im Stellwerk sitzen dann die Mitarbeiter und versuchen zu retten, was geht. Weil der Fahrplan aber durcheinander ist, braucht es Informationen für die Fahrgäste - und das ist das noch größere Problem. Büttner hat es sich deshalb zum Ziel gesetzt, die Informationsprobleme bis Ende des Jahres zu beseitigen.

Aber wie kann es überhaupt sein, dass es im Jahr 2017 immer noch nicht möglich ist, die Fahrgäste auf dem Laufenden zu halten? Das Problem ist sozusagen eine Altlast der Bahn und liegt an den Computern. Noch immer nutzt die S-Bahn München bei der Ortung ihrer Züge Daten der Konzernschwester DB Netz, die Verarbeitung dieser Daten dauert aber bei Störungen zu lange und führt zu verwirrenden, manchmal auch widersprüchlichen Anzeigen und Durchsagen. Beispiel: Fährt ein Zug über eine Kontaktschleife, so wird seine voraussichtliche Ankunft errechnet. Bleibt er aber gleich danach liegen, wird dies nicht erfasst. Zwar sind die Züge inzwischen mit GPS ausgestattet, aber die Daten kommen noch nicht bei der Fahrgastinformation an. Sie müssten von Mitarbeitern gesammelt und manuell in das System eingespeist werden, sagt Büttner. Bei einer Großstörung wie am Donnerstagabend war das nicht mehr zu bewerkstelligen. Die Bahn arbeitet derzeit an einem einheitlichen Computersystem, doch das dauert noch. Angekündigt wird diese Neuerung übrigens schon seit mehreren Jahren.

S-Bahn-Chaos: Einige Züge mussten am Donnerstag im Tunnel evakuiert werden.

Einige Züge mussten am Donnerstag im Tunnel evakuiert werden.

(Foto: Julie Kienscherf)

Solche Versprechen nützen den Fahrgästen, die an der Plattform frieren, wenig. In Pasing etwa an verlässliche oder überhaupt irgendwelche Informationen zu kommen, war am Donnerstag schwierig. Eine automatisierte Lautsprecherstimme teilte sehr bestimmt ("Achtung, Fahrgäste!") mit, welche S-Bahn als nächste ausfällt. Wann aber welcher Pendlerzug kommt, mussten die Fahrgäste demütig abwarten. Als dann endlich die Stimme eines echten Menschen ertönte, war zu hören, was auch auf den elektronischen Anzeigen steht: an welchem Gleis welche S-Bahn-Linie fährt - aber nicht, wann. Ein Fahrgast regte sich lautstark auf: "Der Kerl sitzt wahrscheinlich mit seinen 150 Kilo auf dem Drehstuhl im Warmen. Dem ist's ja wurscht, dass hier alle ewig herumstehen müssen und frieren." Der Lokführer einer S 3 immerhin hatte ein Einsehen. Über die Außenlautsprecher sagte er durch, wie lange es bis zur Weiterfahrt dauert. Genügend Zeit, um sich kurz aufzuwärmen.

Heiko Büttner, 2016

S-Bahnchef Heiko Büttner.

(Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Heiko Büttner war am Donnerstagabend selbst am Pasinger Bahnhof und hat sich mit Fahrgästen unterhalten. "Es ist immer die gleiche Reaktion, die finden das total blöd, wie wir auch." Und er verstehe auch, dass die Fahrgäste nicht verstehen, warum in der heutigen Zeit die Bahn nicht in der Lage ist, bei Störungen ausreichend zu informieren. "Das bereitet mir wirklich schlaflose Nächte." Dass der sogenannte Streckenagent, das Mail-Informationssystem der S-Bahn, wie üblich nicht über 22 Uhr hinaus aktualisiert wurde, liegt laut Büttner daran, dass die Bahn ja den Betrieb um 20 Uhr wieder aufgenommen habe.

Genervt vom Chaos waren indes nicht nur Passagiere, sondern auch Bahnbedienstete. Am Hauptbahnhof etwa, an der Absperrung der Treppe von der Gleishalle zu den S-Bahnen, bekamen sie die immer gleichen Fragen gestellt, wie man jetzt nach Hause kommen soll, wo genau die Regionalzüge nach Pasing halten, wann es weitergeht. "Hoffentlich in fünf Minuten - ich hab nämlich auch keine Lust mehr", meinte einer der Uniformierten, dem die drei Grad Kälte offenbar tief in den Knochen saßen. "Soll ich Ihnen jetzt die Tafel mit den Abfahrten vorlesen?", schnauzte sein Kollege einen Hilfe suchenden Passagier an. Erleichtert war er augenscheinlich, als ein Tourist kam, der einfach nur nach dem Weg zur U 2 nach Feldmoching fragte.

Normalerweise bringt den Münchner in den öffentlichen Verkehrsmitteln ja nicht viel aus der Ruhe. Doch was der Ausnahmezustand mit den Leuten macht, konnte man zum Beispiel um kurz nach sieben in der U 4 zwischen Max-Weber-Platz und Hauptbahnhof beobachten. An jeder Haltestelle standen Hunderte Menschen, die von der S-Bahn auf die U-Bahn ausgewichen waren. Überall drängten Quereinsteiger hinein, mitten durch die Mitte. Dass der U-Bahn-Fahrer versprach, die U 5 komme in einer Minute hinterher und sei außerdem länger als dieser Kurzzug - egal. Wer einen Sitzplatz hatte, schaute fasziniert zu und kam mit anderen ins Plaudern. Auch so ein Ausnahmezustands-Effekt: Fremde gehen plötzlich miteinander um wie alte Bekannte, Fahrgäste werden zu Verbündeten. "Eine zweite Stammstrecke reicht da gar nicht aus", meinte ein älterer Herr.

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