Russische Touristen in München:Bratwürste und ein Anzug für 50.000 Euro

Seniorin beim Shopping, 2006

Schwer zu tragen: Die Maximilianstraße ist für Kunden mit viel Geld geradezu ein Shoppingparadies.

(Foto: Catherina Hess)

An die arabischen Besucher im Stadtbild haben die Münchner sich längst gewöhnt. Aber an die Russen? Sie fallen nicht so sehr auf, kommen aber in ähnlich großer Zahl - und lassen sehr viel Geld da.

Von Tim Neshitov

Man hört sie. Man sieht sie. Man könnte sogar meinen, sie wären überall in der Innenstadt, so ab Mittag. Sie schauen im Fischbrunnen nach, ob das Väterchen Frost sich da drin versteckt hat. "Ded Moros! Ded Moroooooooos!", rufen sie es. Sie essen Bratwürste in der Weinstraße, mit Senf und Schneeflocken, pusten am Stachus auf Glühwein, telefonieren mit Geschäftspartnern in Russland. "Sag denen, sie sollen beim nächsten Mal genau hinschauen, was sie da unterschreiben. Sonst macht mir das null Spaß. Und denen wird's bald noch weniger Spaß machen, weniger als Null."

Man muss kein Russisch verstehen, um zu verstehen, dass das Russisch ist. Viel Russisch in München in der Vorweihnachtszeit.

Es gibt natürlich nicht die Russen, geschweige denn den Russen. Es gibt viele Russen. Auch solche, die man weder sieht noch hört. Und viele von ihnen essen nicht nur Bratwürste und stoßen mit Glühwein auf den Ded Moros an. Viele sind hier, um in Münchens schicken Läden einzukaufen, bei Prada, Louis Vuitton, Ermenegildo Zegna - und wie sie alle heißen, könnte man hinzufügen. Denn die Läden heißen in Moskau genauso; die Preise für Markenschuhe, Schmuck und Designerjeans sind aber hier um bis zur Hälfte niedriger.

Eine Szene vor dem Juweliergeschäft Wempe hinter dem Rathaus. Oleg, 44, und seine Frau, treten aus dem Laden und bleiben am Schaufenster stehen. Oleg ist Bauunternehmer in Moskau, seine Frau hat sehr blaue Augen.

"Vielleicht sollten wir noch die nehmen", sagt Oleg.

"Die Rolex? Das Platinding?"

"Ja, das Platinding. Kostet hier 10.000 Dollar weniger."

Wie die meisten Russen, die man beim Shoppen antrifft, sind Oleg und seine Frau nicht sonderlich gesprächig. "Die Deutschen lieben uns Russen, deswegen kommen wir halt hierher", sagt Oleg. "In New York fühle ich mich nicht so wohl wie hier. Danke, auf Wiedersehen." Seine Frau lächelt. Der Sicherheitsmann von Wempe tritt hinzu. "Wieso stellen sie unseren Kunden Fragen?"

Eine Szene im Prada in der Residenzstraße. Die Verkäuferin im ersten Stock ist Russin, die beiden Familien, die sie bedient, sind auch Russen. Sie holen ihre Bestellungen ab, große Tüten, lange Kassenzettel. Was ist in den Tüten? "Nichts. Wir haben bloß vorbeigeschaut. Rein symbolisch."

In deutschen Shoppingstatistiken liegen russische Touristen mittlerweile auf Platz zwei, hinter den Chinesen und vor den Arabern. Von Januar bis Juni, noch bevor das Weihnachtsgeschäft losging, kamen mehr als 136.000 Russen nach Bayern. Bis September ließ diese Klientel 84 Millionen Euro in den Münchner Läden.

Es gibt hier Geschäfte, deren Anziehungskraft nicht in den niedrigeren Preisen, sondern vor allem in ihrer Einzigartigkeit besteht. Etwa den Hirmer in der Kaufingerstraße, nach eigener Bezeichnung "das größte Herrenmodehaus der Welt".

Galina und Dmitrij sind aus Moskau angereist. Sie sind Ende vierzig und arbeiten als Abteilungsleiter in einem Unternehmen, das sie nicht nennen wollen. "Wir fliehen jedes Jahr vor dem russischen Winter hierher", sagt Dmitrij. Er probiert im Hirmer Schuhe der Marke Red Wing an. "Weiche Schneeflocken, Glühwein, das hier ist kein Winter. Und wenn man zu Hause erzählt, man war im Hirmer, klingt das irgendwie besonders. Als hätte man im P1 Courvoisier getrunken."

"Sie leben im Jetzt"

Auch Max Dietl, der Maßschneider von der Residenzstraße, der Spitzenmarken wie Zilli und Brione im Sortiment führt, hat inzwischen Renommee in Russland. Dietl schätzt, dass russischsprachige Kunden ihm mehr als die Hälfte seines Umsatzes bescheren. Bei Max Dietl kann man Krokodillederjacken für 50.000 Euro kaufen und Kaschmirhemden für 3000 Euro. Oder man kann den exklusiven K50-Anzug der italienischen Marke Kiton bestellen, maßgeschneidert in 50 Tagen, Preis: 50.000 Euro, jedes Jahr werden davon nur 50 Stück genäht.

"Deutsche Kunden sind vernunftorientiert", sagt Dietl. "Die russischen haben mehr Freude, sie leben im Jetzt. Nehmen wir an, einem deutschen Kunden gefallen vier Sakkos sehr gut. Er wird zwei davon kaufen. Der russische Kunde kauft alle vier, auch wenn ihm nur zwei davon richtig gut gefallen."

An einem späten Nachmittag kommen Oleg, 28, und seine Mutter zu Max Dietl. Beide arbeiten in einem Bauunternehmen in Moskau. Das Bauunternehmen wächst, Olegs Vater bestimmt, wo es hinwächst. Der Vater befindet sich in Moskau, Oleg und seine Mutter haben sich eine Auszeit in Italien gegönnt, auf der Rückreise shoppen sie in München. Wie immer, sagt Oleg. "Immer" heißt zwar erst seit einigen Jahren, aber diese Jahre rundet er gerne auf eine kleine Ewigkeit ab. Er ist gerne Kunde bei Max Dietl.

Oleg ist blass und nachdenklich, der Rahmen seiner Brille dünn, das Licht im Geschäft warm. Keine Last-Christmas-Musik im Radio, keine anderen Kunden auf der Etage. "Irgendwann will man seine Ruhe haben", sagt Oleg. Er balanciert ein wenig auf den Absätzen, seine Mutter wird von einer freundlichen, zurückhaltenden Mitarbeiterin umsorgt. "Egal, was man feiert", sagt Oleg, "ob Weihnachten wie hier oder wie bei uns Silvester, es sollte ein Familienfest sein. Keine Konsumorgien. Ich liebe hausgemachtes Essen, selbst gebastelte Souvenirs. Alles, was Seele hat."

Seine Mutter kann sich zwischen drei Blazern nicht entscheiden, Oleg lächelt ihr im Spiegel geduldig zu. Er spricht etwas Deutsch, hat es im Selbststudium gelernt. Guten Tag, danke schön, wunderbar. "Wenn ich mit den Deutschen Deutsch spreche, freuen sie sich. So muss es doch sein, oder?"

Laut Global Blue, einem Unternehmen, das sich "Experte für internationales Einkaufen und Bezahlen" nennt, geben russische Shopper in Deutschland durchschnittlich 351 Euro pro Einkauf und Geschäft aus, bei Uhren und Schmuck sogar 1350 Euro. Von allen deutschen Städten kaufen sie am liebsten in München ein, da sind sie wie die Araber. Chinesen etwa fahren lieber nach Frankfurt.

Olegs Mutter kauft bei Max Dietl einen Blazer für 2000 Euro und ein Seidenkleid für die gleiche Summe, dazu einen Persianermantel für 6750 Euro. "Ich selbst bin nicht so der Shopping-Mensch", sagt Oleg. "Ich sammle keine Markenklamotten. Wenn meine Sachen sich abnutzen, kaufe ich mir halt neue." Er trägt steife schwarze Schuhe ("wahrscheinlich von Boss, ich weiß es nicht mehr"), und eine gut sitzende Jacke. "Von Zenka", sagt er. Er meint Ermenegildo Zegna.

Die meisten Fünfsternehotels in München haben heute Concierges, die des Russischen mächtig sind und auch Shoppingwünsche erfüllen. Vor zwei Jahren gründeten zwei russische Zwillingsschwestern eine Firma namens Kultur & Shopping. Sie beraten shoppende Russen in puncto Farben, Größen, Schnitt, führen sie zeitsparend durch mehrstöckige Einkaufshäuser, organisieren auch Theaterbesuche und Ausflüge nach Neuschwanstein. Drei Stunden Begleitung kosten 240 Euro, ein Tag 490 Euro. Das Motto der Firma: "Shopping ist Teil der Kultur."

Die Schwestern heißen Nina Stowasser und Lena Frank, sie sind 33 Jahre alt und willigen partout nicht ein, dass man ihnen bei der Arbeit zusieht. Die Kunden könnten sich unwohl fühlen. In der Vorweihnachtszeit sind die Schwestern ausgelastet, Nina Stowasser findet trotzdem eine halbe Stunde Zeit für ein Café-Gespräch.

"Es ist unmöglich, einen Menschen zu überzeugen, dass er beim Shoppen Hilfe braucht", sagt sie. "Man kann ihm nur helfen, wenn er es für sich selbst entschieden hat. Viele unserer Kunden kommen mit Kindern und haben wenig Zeit. Viele haben Termine beim Arzt. Sie finden uns selber im Internet."

Kultur & Shopping hilft russischen Touristen, sich vor der Heimreise die Mehrwertsteuer erstatten zu lassen. "Meistens kriegt man so den Flug, das Hotel und die Kosten für unsere Dienstleistungen wieder rein", sagt Nina Stowasser. Sie trägt diskrete Markenkleidung, ein T-Shirt von René Lezard, eine Jeans von 7 For All Mankind, eine Maison-Scotch-Jacke, alles in München gekauft.

"Das größte Kompliment für mich ist immer, wenn ich Paare begleite und den Männern beim Anblick ihrer frisch bekleideten Frauen der Kiefer aufklappt. Das sind oft Menschen, die seit 20 Jahren verheiratet sind. So etwas wärmt mir die Seele."

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