Roxette in der Olympiahalle:Tausende singen für Marie

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Roxette beim Konzert in der Lanxessarena in Köln. (Foto: Henning Kaiser/dpa)

Wenn man von guter Popmusik spricht, dann hat Roxette die Messlatte gelegt. Hit auf Hit spielen sie in der Olympiahalle - doch der federleichte Wohlfühlabend bekommt auch eine gewisse Schwere.

Von Roman Deininger und Max Hägler

Und dann, ganz zum Schluss, ruft Per Gessle noch hinein in die drückend schwüle Halle: "Schönen Sommer! Passt auf euch auf!" Man werde wohl eine Weile nicht wiederkommen.

Gessle sagt nichts anderes, als es jeder Sänger sagen würde am Ende jedes ganz normalen Popkonzerts. Aber Roxette in der Münchner Olympiahalle, im Juli 2015 - das ist eben kein ganz normales Popkonzert. Alles locker, alles schön, alles gut, das ist das Versprechen dieser Band, seit nunmehr drei Jahrzehnten. "How Do you Do", singt Marie Fredriksson in der Mitte des Abends, die Zeile klingt nach in den Ohren. Denn es ist nicht alles locker, nicht alles schön, nicht alles gut: Marie Fredriksson ist krank, und das sieht man ihr an.

Der federleichte Wohlfühlabend bekommt durch die Zerbrechlichkeit der Marie Fredriksson eine gewisse Schwere. Roxette ist für die meisten hier in der Olympiahalle ein Stück Jugend, und gemeinsam singen sie nun an gegen die Vergänglichkeit. Seltsam ist das: Diese Marie, Jahrgang 1958, war immer so burschikos-mädchenhaft, dass man glauben durfte, sie bliebe ewig jung. Doch diesmal trägt sie das kurze Haar noch kürzer als sonst, die Schultern sind noch schmaler. Den ganzen Abend sitzt sie auf einem Stuhl, manchmal hebt sie den linken Arm, langsam wie ein alter Mensch, und ballt trotzig die Faust.

Vor mehr als zehn Jahren hatte Marie einen Hirntumor, Roxette machte lange Pause deshalb, dann kam die Band zurück. Aber Marie, die Mitgründerin, ist gezeichnet von der Krankheit, immer noch oder wieder. Für sie ist es kein so guter Sommer.

Wer kann sich mit diesen Hits noch messen?

Es ist ein bittersüßer 30. Geburtstag, den die Band da mit einer großen Tour feiert. Die Kritiker waren immer streng zu Roxette, aber dieser Tage gehen auch den Strengsten die Vergleiche aus: Wer kann sich noch messen mit Hits in dieser Taktzahl, mit so eingängigen Melodien von brillanter Akkuratesse? Status Quo vielleicht, ist zu lesen, und klar, Michael Jackson. Man muss das alles nicht mögen, dieses Mitsingbare und Mitsummbare, dieses radikal Ironiefreie, das Per Gessle stets selbst geschrieben hat. Man kann es zu simpel finden, freilich. Die Legende will es ja, dass ehedem selbst Marie zu viel "nanana" in "The Look" steckte; aber sie hat das dann überwunden und das Publikum sowieso.

Wenn man von guter Popmusik spricht, dann hat Roxette die Messlatte gelegt. Mit wenigen Akkorden und einer Lebenseinstellung, die eben hemmungslos poppig ist: die gut gelaunten Schweden, die Weltstars von nebenan, die gar nicht so anders sind als wir alle. Wir, das sind an diesem Abend tätowierte Hipster in Trägershirts und Ehepaare aus der Reihenhaussiedlung in Poing. Nur die ganz Jungen haben Zugangsprobleme: Ein Fan um die 30 wird von seiner Freundin um die 20 durch penetrantes Knutschen vom Mitsingen abgehalten.

Drogenexzesse, das machen die anderen, damit kokettiert Roxette auch: "Das hier ist Magnus", stellt Per Gessle seinen Bassisten vor, ein langhaariger Typ. "Magnus ist ein durchschnittlicher Schwede und er fährt Volvo." Nett, ein bisschen spießig, und trotzdem Mitglied einer der erfolgreichsten Popbands des Planeten. Vielleicht ist das das Roxette-Prinzip, die Grundlage für Hymnen wie für Temposongs. "Sleeping in my car", "It must have been love", "Dressed for success" oder das lautmalerische "Crash Boom Bang". Mein Gott, wie viele Hits Roxette eingespielt hat. Schlag auf Schlag geht es in der Halle.

Sie machten das Verliebtsein inniger, das Aufstehen beschwingter

Marie singt nach Kräften, unterstützt von einer Backgroundsängerin, die nicht wirklich Background ist. Marie trifft nicht jeden Ton, ihre Stimme ist so verletzlich, dass manche Hits wie eine Kopie ihrer selbst klingen, aber das stört niemanden. Der Abend kostet sie Kraft, das spüren die Menschen. Wenn die Achttausend singen, singen sie auch für diese Künstlerin, die ihnen große Lieder beschert hat, die das Autofahren fröhlicher machten, das Verliebtsein inniger, den Liebeskummer erträglicher oder das Aufstehen beschwingter.

"I still feel the heat and the taste of your kisses", ganz allein haucht Marie diese Zeilen, in diesem Moment ist alles wie früher. Und sagt dann, in den Beifall der dankbaren Zuschauer, ganz leise, auf Deutsch: Dankeschön. Nach der Zugabe, um die man sich kaum zu bitten traute, leitet Per, der lustige Schwede, seine müde Partnerin in Richtung Vorhang. Langsam gehen sie, noch einmal bleiben sie stehen, drehen sich um. Applaus brandet auf. Marie lächelt. Man will sich gar nicht fragen, ob das vielleicht ein Abschiedslächeln ist von dieser Bühne.

Nein, es ist nicht alles gut an diesem Abend, nicht alles locker. Aber schön. Und melancholisch. Wie immer bei Roxette, seit dreißig Jahren.

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