Romagna Antica:Ein Mythos verschwindet

Hier waren sie alle: Das Schwabinger ,,Romagna Antica'' diente Helmut Dietl als Inspiration für seinen Film ,,Rossini''. Jetzt muss der Padrone schließen.

Christian Mayer

Es war am vergangenen Sonntag, als sich Fabrizio Cereghini am Telefon verabschiedete. Vor sich die handgeschriebene Liste mit den Namen und Nummern der Stammgäste, die schon seit Jahren ins ,,Romagna Antica'' in der Elisabethstraße gehen und hier irgendwie zuhause waren.

Rossini
(Foto: Foto: WDR)

Er hat's ihnen persönlich mitgeteilt, jedem einzelnen; einige gute Freunde haben geweint, erzählt der Wirt. Auch Helmut Dietl, der das Restaurant mit seinem Kinofilm ,,Rossini'' 1997 unsterblich gemacht hat, erfuhr von der Schließung seiner zweiten Heimat, ,,und er war noch trauriger als ich, fassungslos''.

Während der Wirt das Ende der Geschichte erzählt, räumen draußen die Handwerker die Möbel weg, decken die Tische mit Plastikfolie zu und rüsten das Lokal für den Umbau. In wenigen Tagen soll hier eine Pizzeria einziehen, kaum zu glauben, wie schnell ein Mythos demontiert ist. Fabrizio Cereghini, 57, sitzt in seinem Büro, hinter ihm ein Filmplakat mit dem roten, geschwungenen Schriftzug von ,,Rossini''.

Er versucht, die Fassung zu bewahren. ,,Klar werde ich darunter leiden, dass jetzt alles vorbei ist. Aber ich gehe mit Grandezza - ohne Schulden!'', sagt der schlanke Italiener mit dem Dreitagebart. 33 Jahre hat er das ,,Romagna Antica'' betrieben, mehr als ein halbes Leben. Fabrizio war eine Institution in der Schwabinger Gastronomie. Bis Anfang Januar die Nachricht des ehemaligen Vermieters kam, der immer kulant gewesen war: Der gesamte Block sei an eine Münchner Immobilienfirma verkauft.

Deren Mietforderung konnte und wollte Cereghini nicht erfüllen. Als ihm ein Nachmieter präsentiert wurde, machte er reinen Tisch und löste seinen Vertrag vorzeitig. ,,Wir waren immer knapp am Limit mit dem Geld'', sagt er, ,,es ging einfach nicht mehr''.

Seinen legendären Ruf erlangte das ,,Romagna Antica'' Anfang der achtziger Jahre, als hier Film- und Verlagsleute verkehrten, die in der Nähe ihre Firmen hatten. Zu den Gästen zählten Regisseur Helmut Dietl und Constantin-Produzent Bernd Eichinger. Letzterer ließ es regelrecht krachen, er zertrümmerte gerne mal Gläser, wenn die Stimmung ihren Höhepunkt erreichte. ,,Man erlebt einiges, wenn man zusammen trinkt und raucht, da sind Freundschaften entstanden'', sagt Cereghini leise.

Und natürlich wollten die italophilen Gäste gut essen. Auf seinen Lieferanten konnte sich der Wirt stets verlassen: Sein Bruder Pier-Andrea, der in Madonna di Campiglio ein Pasta-Geschäft betreibt, schickte hausgemachte Tagliatelle über die Alpen. Dass Bernd Eichinger vor Jahren mal seinen Chauffeur zwecks Nudelbeschaffung nach Norditalien abkommandierte, als in Fabrizios Küche die Pasta-Vorräte aufgebraucht waren, gehört zum gesicherten Mythenschatz des Lokals.

In Erinnerung bleibt das ,,Romagna Antica'' vor allem als Vorbild für Helmut Dietls Tragikomödie ,,Rossini'', die vor fast genau zehn Jahren das Kinopublikum eroberte. Der Münchner Szene-Italiener diente dem Regisseur als Kulisse für Eifersuchtsdramen, Liebesanfälle, bizarre Filmvertragsverhandlungen und subtile Gesellschaftsspiele.

Für die Dreharbeiten ließ Dietl das Restaurant in einer Halle originalgetreu nachbauen, sogar die Vitrine mit Seewolf und Garnelen auf Eis, die Vasenlampen und Dietls Lieblingsrotwein standen bereit, gekocht wurde am Set, was im ,,Romagna'' auf den Tisch kam. Mario Adorf spielte einen verliebten Wirt, der nur für seine Gäste lebt und an ihnen leidet - eine Darstellung, die Fabrizio Cereghini sehr nahe ging.

Mit einer gemieteten Limousine fuhr er zur Premiere, stolz darauf, ebenfalls im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. ,,Ich hab' nach der Vorführung zwei Stunden nur geschwiegen. Das musste ich alles erst verdauen'', erzählt er. ,,Aber dann war ich doch sehr glücklich.'' Die zwei Jahre nach ,,Rossini'' waren die besten Geschäftsjahre, viele Filmfans wollten unbedingt auch mal im ,,Romagna Antica'' sitzen und etwas erleben.

Dennoch hob der Wirt nicht ab, er servierte weiter seine Fettuccine und seine Piccata alla Lombarda, es gab gute Zeiten und weniger gute. Die Stammgäste jedenfalls waren zufrieden, bis zum Schock am Sonntag. Jetzt steht das Telefon nicht mehr still: Beileidsbekundungen, Traueranrufe von Hinterbliebenen.

Was wird er jetzt machen? Nach Hause fahren, in den kleinen Ort bei Madonna di Campiglio, wo er mit seinem Bruder im Pasta-Geschäft arbeiten will. ,,Vielleicht komme ich nächstes Jahr zurück nach Schwabing'', sagt er, ,,und dann mache ich hier auch so einen Laden auf.''

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