Rock-Geschichten:"Sie hatten schon geniale Momente"

Rolling Stones

Rollentausch eines Rockers: 1972 jubelte Mick Jagger bei den Olympischen Spielen im nagelneuen Münchner Stadion den britischen Leichtathleten zu.

(Foto: Bubi Heilemann)

Partys mit Groupies und nächtliche Aufnahmen im Keller: Weggefährten erinnern sich an Erlebnisse mit den "Rolling Stones".

Von Michael Zirnstein

Reinhold Mack, Toningenieur

Einmal abgesehen von der Rock-Muse Uschi Obermaier dürfte Reinhold Mack die intensivste Zeit mit den Rolling Stones in München gehabt haben. Als Tontechniker der legendären Musicland Studios betreute er die Band Mitte der Siebzigerjahre. Wobei "betreuen" der richtige Ausdruck ist bei diesem Haufen, andere Bands wie Deep Purple seien doch wesentlich organisierter und professioneller gewesen, erinnert sich Mack.

So kamen aus acht Aufnahmephasen auch nur die zwei Langspielplatten "It's Only Rock'n'Roll" und "Black And Blue" heraus. "So haben sie eben gearbeitet", sagt Mack: "Wir gehen ins Studio, und dann wird gespielt auf Teufel komm raus." Während der Herumprobiererei hat er alles mitgeschnitten, am Ende einer Session hatte er 200 Bänder, von denen jedes fünf Kilo wog: eine Tonne Stones. "Sie hatten schon geniale Momente", findet er. Aber war auch ein perfekter Take dabei? "Nein, gar keiner" - nach Macks Geschmack.

Der Ingenieur hatte außerdem die "höchst unerfreuliche" Aufgabe, einigen Gitarristen wie Harvey "The Snake" Mandel deren Entlassung zu überbringen. Da war Mick Jagger unerbittlich, der auch die Geschäfte führte und "wie der Teufel hinter der armen Seele" hinter dem Geld her war. Lag da eine Benzin-Quittung auf dem Tisch, bohrte er argwöhnisch nach: "200 Kilometer! Wo ist denn da hingefahren worden." Interessanterweise war er ganz kleinlaut, als mal eine Frau für ihn anrief. "Holen Sie Mick ans Telefon", bat sie Mack, "sagen Sie ihm: Es ist seine Mutter."

Am Apparat wurde der Rock-Bengel dann eine Dreiviertelstunde lang ganz zahm: "Ja, ja, ich mach's ja jetzt ..." Am liebsten hatte Mack den Pianisten Ian Stewart - und freilich Keith Richards: "ein netter Gentleman". Der allerdings zu der Zeit an der Nadel hing, bisweilen einschlief, vom Stuhl fiel oder gar nicht auftauchte. Einmal klatschte er beim Frühstück mit dem Gesicht in seine Spiegeleier mit Speck. Jagger kam gerade vorbei, hob ihn an den Haaren an, zog den Teller weg und legte Richards auf dem Tisch ab. "Der Rock'n'Roll war lange nicht so viel Hochglanz, wie man heute annimmt", sagt Mack.

Bubi Heilemann, Fotograf

"Wo immer die waren, war ich auch", sagt Wolfgang Bubi Heilemann. In seinem Fall ist das keine Aufschneiderei, denn als Fotograf der Rockstars kam er ganz schön herum und traf den gleich alten Jagger ständig. "Ich nenne ihn ja immer Micky Mäusi." Beim Shooting für den ersten Bravo-Starschnitt in Manchester lieh er dem im Anzug erschienenen Mick Jagger sein buntes T-Shirt, in Montreux nahm er von Mick einen Liebesbrief an Uschi Obermaier mit, bei den Olympischen Spielen 1972 lichtete er ihn im Stadion ab, wie er dem britischen Sprinter David Jenkis zujubelte.

Als Heilemann später Regisseur der Pop-Sendung Formel 1 war und auf dem Bavaria-Gelände zufällig Mick Jagger traf, der sich mit einer Kostümbildnerin besprach, war die Freude groß: "Mick freut sich immer so, wenn er jemanden trifft, den er kennt." Heilemann sollte ihn am Abend im Hilton-Hotel abholen. Zuerst gingen sie in das chinesische Restaurant im Keller der Seidl-Villa. "Mick hat die Speisekarte rauf- und runtergefressen, alles nur gekostet, mir wurde schwindlig," erinnert sich Heilemann, der glaubte, bezahlen zu müssen. Als er sein Portemonnaie zückte, meinte Jagger nur: "Lass stecken. Ich zahle mit American Express. Normalerweise lösen die das eh nicht ein, sondern hängen sich die Rechnung mit meiner Unterschrift auf."

Einmal traf Heilemann Jagger zufällig in einer Disco an der Münchner Freiheit. Die Stones hatten am nächsten Tag einen Auftritt in Innsbruck, "da hatte er gar keinen Bock drauf" und machte lieber einen Zwischenstopp: "Er liebt München." Jagger versteckte sich hinter Messing-Stäben und deute auf Frauen, die ihm gefielen. Heilemann ging aufs Parkett und sprach sie an. "Alle sind mitgekommen." Zusammen fuhren sie zum Haus des Fotografen in Obergiesing. "Die Mädels saßen im Wohnzimmer wie die Hühner auf der Stange", erinnert sich Heilemann, der mit dem Sänger in der Küche Cognac trank. "Die Silberkelche mit den eingetrockneten Cognac-Resten von Mick habe ich noch, die könnte ich mal in einer TV-Show zeigen."

Marie Waldburg, Reporterin

"Null Starallüren" habe der Mick. Wer könnte das besser beurteilen, als Marie Waldburg. Als Society-Reporterin hat sie etliche Stars getroffen - und den Stones-Sänger immer wieder. Das erste Mal war 1982, die Pressestelle vom Hilton Hotel hatte ihr den Tipp gegeben, in welcher Suite Jagger wohne: Waldburg, damals bei der Abendzeitung, schnappte sich einen Fotografen und fuhr hin: Nirgends stieß sie auf Leibwächter oder Sicherheitsleute. Jagger öffnete die Tür, bat höflich herein. Er trug Jeans, T-Shirt und Bomber-Jacke und gab bereitwillig Auskunft. "Er ist gebildet, witzig und unkompliziert - britische Schule," sagt die Journalistin.

So erlebte sie ihn auch 2004, als Gloria von Thurn und Taxis im kleinen Kreis eine Feier im Restaurant Lenbach von Peter Schmuck gab; die Fürstin kannte die Stones gut aus der wilden München-Partyzeit in den Siebzigern. Mick "federte" herein und stellte sich den 20 Leuten vor: "Hi, I'm Mick." - "Als hätten wir's nicht gewusst." Sie tanzten und redeten über England, seine vielen Kinder und seine "männliche Musik", es freute ihn, dass Waldburg alles kannte. "Klar, ich bin schon Fan", sagt sie. Zwei Jahre später kam er wieder und feierte in der Kellerbar eines Hotels (die Waldburg nicht verrät, weil da eventuell diesmal wieder gefeiert wird).

Es war nicht abgeriegelt, jeder konnte rein. Jenny Elvers allerdings, die ein Selfie mit Jagger machen wollte, flog sofort raus. Marie Waldburg traf ihn häufiger, etwa als er auf der Donau-Schipperei zum 65. Geburtstag von Glorias Mann Goldie sang, oder 2011 bei den Filmfestspielen in Cannes auf der Yacht von Paul Allen. Society-Reporter-Schicksal. Zuletzt sah sie ihn vor vier Jahren in London. "Du bist eine Freundin von Gloria", erinnerte er sich. "Ich glaube, er weiß gar nicht, dass ich bei der Presse war, sonst wäre er vielleicht nicht so freundlich zu mir."

Arthur Silber, Studio-Besitzer

Es dreht sich nicht alles nur um Mick oder Keith. Da gibt es zum Beispiel noch Bobby Keys, den langjährigen Saxofonisten der Stones, der übrigens am selben Tag geboren wurde wie Keith Richards. Als die Stones 1995 im Olympiastadion gastierten, erhielt Arthur Silber, Chef der Downtown Studios, einen ominösen Anruf. Ob er nach dem Konzert noch ein Studio freihabe, es werde spät, so gegen 1 Uhr. Ein österreichischer Musiker reiste den Stones hinterher, um "mit möglichst vielen Original-Musikern" Stones-Hits mit Mundart-Texten einzuspielen.

Ron Wood und Darryl Jones hatte er schon, für München hatte er nun Bobby Keys überredet, der etwa das Solo bei "Brown Sugar" gespielt hatte. So besorgte Silber einen Kasten Bier und eine Flasche Wodka, der Gast trank allerdings nur Überkinger und unterschrieb auf einer angebrochenen Flasche Bier. Was seine Dienste denn kosten würden, fragte der Österreicher nach getaner Arbeit? Nichts, meinte Silber, es wäre aber toll, wenn Keys ein Solo auf dem Album der Münchner Band Into Deep von C. B. Green spielen könnte, die Silber betreute. "Okay, lass mal reinhören", sagte der Amerikaner, fand's gut und spielte. "Stones-Musiker unterstützt Münchner Newcomer", war dann in der Presse zu lesen. Die Mundart-Platte dagegen ist nie erschienen.

Hans Schulz, Zirkus-Vermieter

Erst Hans Schulz machte München zur Stones-Stadt. 1963 fragte die Zirkusfamilie Sembach ihren Buchhalter, ob er die Manege während der vorstellungsfreien Zeit im Sommer vermieten könne, für Konzerte etwa. "Klar, mache ich", sagte Schulz. "Ich hatte aber keine Ahnung", sagt er heute, mit 87 immer noch ehrenamtlicher Buchprüfer im Zirkus. Das Kommunalreferat wollte erst gar keine Konzerte, erlaubte ihm dann eine kleine Bühne im Foyer. "Ich habe ihnen Meter um Meter abgerungen", schildert Schulz seinen Kampf.

1965 bot ihm dann der Nürnberger Konzertveranstalter Karl Buchmann die Bravo-Blitz-Tour der Stones an. "So etwas hatte es noch nicht in München gegeben, das war die kommende Supergroup", sagt Schulz, damals selbst schwer begeistert. Obwohl Buchmann 14 000 Mark ans Finanzamt nachzahlen musste, weil das befand, der Auftritt sei kein Konzert gewesen, sondern nur eine "Ballung schriller Töne", war es für die Anwesenden freilich ein unvergessliches Erlebnis. Für die jeweils 3000 Besucher der beiden Konzerte am 14. September 1965, aber auch für Hans Schulz.

Theo Crash Rolling Stones

Theo, logisch: Der Discjockey Theo Crash stand von Anfang an auf die Stones, wie er hier mit einer Inszenierung ihres Logos beweist, die sich gewaschen hat.

(Foto: Theo Crash)

Der hatte der jungen Band noch ein paar Strahler vom Haus geliehen, weil die sagten: "Beleuchtung? Haben wir nicht." Mit Mick & Co. selbst hatte er keinen Kontakt, "die Bengels waren abgeschirmt", und "durch all die Engländer" wollte er sich nicht in die Umkleide durchfragen. Er war froh, dass die Zuschauer "brav auf ihren Sitzen hocken blieben", kurz darauf zerlegten die Berliner Fans die Waldbühne. Vom Konzert erinnert er sich noch gern an "The Last Time", das war "ein Ohrwurm damals". Auch den Rolling Stones scheint der Auftritt gefallen zu haben - als sie 2003 nach München kamen, wollten sie unbedingt wieder im Circus Krone spielen.

Jenny Evans, Jazz-Sängerin

Die Jazzsängerin Jenny Evans hat die Rolling Stones persönlich nie kennengelernt, doch ihr verstorbener Mann Rudi Martini betreute die Band bei ihrer European Tour 1973 für die Plattenfirma WEA und erlebte in München mit ihnen eine Menge. Sex, Drugs & Rock'n'Roll. Schon für die Fahrt vom Flughafen, erzählt Evans, habe der Manager Peter Rudge "in herrischem Ton" fünf weiße Cadillacs bestellt. "Rudi hat gekontert, wir seien hier arme Leute, er könne einen weißen VW-Bus haben." Daraufhin sei der Manager am Telefon ausgerastet und habe mit dem Abbruch der Tour gedroht.

"Rudi hat dann fünf Rolls Royce und Bentleys besorgt. Die Fahrer wurden in Uniformen mit Ledermützen gesteckt. Außerdem saß in jedem Wagen ein Groupie." Die exklusive After-Show-Party für 250 geladene Gäste verlegte Martini in die Waldwirtschaft Großhesselohe - und veranstaltete auch da kleine Spielchen: "Bei Hubert Burda haben wir die Türsteher-Bodyguards sagen lassen: ,Wer ist das? Kennen wir nicht.' Worauf sich der Verleger fürchterlich aufgeregt und herumgeschrien hat, bis ihn dann WEA-Chef Siggi Loch hereingebeten hat."

Den Stones gefiel das Münchner Treiben jedenfalls so gut, dass sie im November 1973 auch ihr Album "It's Only Rock'n'Roll" in München einspielten. Martini vermittelte sie in Giorgio Moroders Musicland Studios und besorgte Mick Jagger und Keith Richards auch einen Tennisplatz: "In England war Tennis Volkssport, nicht wie hier zu dieser Zeit der exklusive ,weiße Sport'", erzählt Evans. Der gelernte Schlagzeuger Rudi Martini - von den Stones mit dem Spitznamen "Martini On The Rocks" bedacht - sprang bei den Sessions einmal sogar als Kongaspieler ein. "Davon existiert noch ein Foto, das Rudi in beklagenswertem Zustand zeigt. Mick und Keith hatten ihn so abgefüllt, dass er steif wie ein Brett war. Mick hat das Bild später signiert: ,All My Work'".

Theo Crash, DJ und Lebemann

Klar, dass im Leben des DJs, Künstlers und Lebemanns Theo Crash zwischen Andy Warhol, Elvis, Prince und seiner Kür zum "Mann des Monats" im Playboy auch die Rolling Stones auftauchen müssen. Ron Wood ("mein Freund Ronny") kannte er schon 1967 aus dem Big Apple, also dem in Wiesbaden, und London, als der noch nicht bei den Stones war. Mick Jagger nannte er bei Ansagen am DJ-Pult gerne "Susie Jagger Baby". Als Jagger das bei der Geburtstagsfeier von Goldie (Johannes von Thurn und Taxis) hörte (vor versammelter Mannschaft mit Rockefeller, Gottschalk, Prinzessin Soraya und den Gettys), habe er Theo demonstrativ ein Glas auf die Theke geknallt. "Mir egal, mir ist der Keith eh viel lieber."

Man kennt sich. Schon aus der Zeit, als er im Crash, im Eastside oder im Edits auflegte. Vor allem kannte er die Uschi, die Obermaier, die heißeste Braut überhaupt, seit sie Ende der Sechziger im Twen war. Er war ihr in einer Reinigung begegnet, sie gaben sich Unterschlupf in ihren WGs, wenn sie gerade ein Bett brauchten, und sie erzählte ihm von Keith. Sie wachte neben Richards, wenn er in Discos einschlief. "Sie hat 1000 Faxe von ihm." Und wie sie sich freute, als der Keith ihr einen Helikopter schickte, um sie in sein Liebesnest nach Jamaika zu bringen.

Den Mick liebte sie auch. Einmal hatte sie beide gleichzeitig zu sich bestellt, da standen die beiden Romeos unter ihrem Balkon an der Ismaninger Straße, sie zog eine Schnute und flötete hinab: "Das müsst ihr unter euch ausmachen." 1981 durfte Theo Crash zum ersten Mal "für die Stones Musik machen". Bei der Aftershowparty in der Waldwirtschaft legte er - wie er von Uschi wusste - Bette Middler für Mick auf, und für Keith Reggae - damals das Heißeste aus London. Drei Jahre später bei ihrer Aftershow in Frankfurter wollten sie "den DJ aus München" haben. Theo bat um ein Taxi von seinem Wohnsitz in Wiesbaden zum Club Omen, wegen der schweren Platten. Der Veranstalter wollte es nicht zahlen. "Dann bin ich auch nicht hin. Für die Stones hatte ich ja schon gespielt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: