Riem:Zusammengeschweißt

Riem: Ein gutes Gefühl, auf der Bühne zu stehen: Da trägt man sogar das grüne Rüschenhemd mit Würde.

Ein gutes Gefühl, auf der Bühne zu stehen: Da trägt man sogar das grüne Rüschenhemd mit Würde.

(Foto: Robert Haas)

Der Außenseiter wird integriert, das Großmaul zurechtgestutzt: Die Proben für das Theaterstück "Romeo und Julia" machen aus schwierigen Achtklässlern der Christophorus-Schule ein gutes und diszipliniertes Team

Von Renate Winkler-Schlang, Riem

Achte Klasse, Jungs zwischen 13 und 15. Da schaut man sich die Mädchen schon mal etwas intensiver an ? Jessie Sluka lacht: "Die haben kein anderes Thema." Haben sie nun aber doch: ihre Proben, ihre Aufführung, ihre Premiere. Ein ehrgeiziges Projekt wird verwirklicht. Romeo und Julia. Eine moderne, plakative Version von Shakespeares Klassiker, untermalt mit Musik von Jim Steinmann, Michael Jackson und Eric Clapton. Mit Spaß, aber auch mit großem Ernst. Und das nicht etwa an einem musischen Elite-Gymnasium, sondern an der Christophorus Schule in Riem - dort wo die Jugendlichen landen, die in ein, zwei oder noch mehr Schulen nicht zurecht kamen. "Förderzentrum mit Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung", so nennt sich die von einem privaten Verein getragene Schule. Weil das wohl besser klingt als: verhaltensauffällig.

Was aber bei einer der letzten Proben im Therapie- und Rhythmikraum der Schule an der Leibengerstraße auffällt, ist, dass keiner "auffällig" ist. Selbstbewusst stellen sie sich und ihre Rollen vor und erzählen, was ihnen so gefällt an dieser berühmten Liebesgeschichte. Ein gutes Gefühl sei es, auf der Bühne zu stehen. Mohammed, der Tybalt spielt, liebt auch "die Action", die Kämpfe der verfeindeten Familien. Anfangs sind bei den Proben ein paar der Holzschwerter kaputtgegangen. Schwer taten sie sich mit den Tanzszenen, etwa beim Ball, wo Julia und Romeo sich kennenlernen. Doch die Schritte sitzen, auch die Kämpfe haben eine Choreografie.

Viele Projekte verwirkliche die Schule, Theater war bisher nicht darunter, erzählt Jessie Sluka, die Lehrerin. Sie verfügt über eigene Theater- und Musical-Erfahrung, hat sich so ihr Studium finanziert. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Sebastian Wagenlechner hatte sie die Idee. Aus Romeo und Julia wurde ein Jahresprojekt. "Das richtige Alter, das richtige Thema, eine Herausforderung", erklärt Wagenlechner.

Sie habe sich nicht vorstellen können, meint Schulleiterin Viktoria Spitzauer, dass ihre Schüler, deren mangelnde Ausdauer immer beklagt werde, so lange dabei bleiben. Doch sie sagen es selbst: "Wir haben durchgehalten. Und wir sind ein Team geworden."

Schüler aus der Siebten dürfen den schwarzen Vorhang aufziehen, Ruth macht konzentriert die Technik. Das Bühnenbild besteht aus Turngeräten. Die verfeindeten Familien hat Regisseurin Sluka in grell hellgrüne und schrill lilafarbene Rüschen-Oberteile gesteckt. Aber hier kichert keiner. Schnell vergisst auch der Zuschauer, dass der Auftrittsort nicht gerade optimal ist, da viel zu niedrig. Größere Schüler wie Immanuel mit seinem Wuschelhaar stoßen fast oben an der Decke an. Er muss Julias Ammer spielen - eine Art männliche Amme. Die Schule hat nur wenige Mädchen, also übernehmen Jungen und männliche Lehrer auch Frauenrollen. Immanuel trägt die lila Synthetik-Kittelschürze und seinen Krückstock mit großer Würde. Furkan als trotteliger Paris meutert nicht gegen seine Perücke.

Die sanfte Julia ist Sozialpädagogin Johanna Schad. Ihr fiel das anfangs nicht leicht, das Heiraten und das Sterben zusammen mit dem Schüler David. Davids Talent wurde in dem Projekt entdeckt, er war als Paris so gut, dass er in die Hauptrolle wechselte. Auswendiglernen schien für niemand ein Problem zu sein: Wenn man etwa Lofti glaubt, ging das wie von selbst.

Natürlich ist die Handlung vereinfacht, denn die Zielgruppe sind die jüngeren Schüler. Neue Szenen werden mit "Can you feel ist", von Michael Jackson eingeleitet. Ja, offenbar, sie fühlen mit. Und sie konzentrieren sich. Souffleur Emre muss nur sehr selten helfen. Die Stars sind textsicher mittlerweile.

Am erstaunlichsten ist eine Stelle hinter der Bühne - nur ein winziger Raum, in dem die Kids auf ihr Stichwort warten. Disziplin im Dienst der gemeinsamen Sache: Das Stück hat sie verändert. Jessie Sluka sagt, mit dem Projekt sei der Ruhige in der Klasse aus sich herausgegangen, der Clown sei erwachsener geworden, der Außenseiter wurde integriert, das Großmaul zurechtgestutzt. "Und das Team ist zusammengeschweißt." Das mache ihr und den Kollegen die Arbeit leichter. Aber vor allem mache es die Schüler selbstbewusster, denn sie wissen: Wir haben etwas geleistet. Das verändere auch das Bild, das andere von ihnen haben. Und nebenbei zu lernen, dass Liebe stärker ist als Hass und Ausgrenzung, sei doch auch nicht schlecht.

Erst wird die Schulfamilie von der Inszenierung überrascht, doch am 29. Juli, 16 Uhr, darf die Öffentlichkeit kommen. Wegen der begrenzten Platzzahl ist allerdings Anmeldung erwünscht per Mail an jessie.sluka@gmx.de. Die Schüler hoffen auf großzügige Spenden - dann bekommt vielleicht die nächste Theaterproduktion auch noch ein selbst gemachtes Bühnenbild.

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