Rickie Lee Kroell:Internet statt Olympiahalle

Die Münchner Sängerin und Komponisten Rickie Lee Kroell tourt nicht durch die Konzerthallen des Landes, sondern als Livestream durchs Netz.

Oliver Hochkeppel

Man sieht es dem kleinen Tonstudio im Kellergeschoss eines riesigen Appartementblocks in der Leopoldstraße nicht an, dass hier möglicherweise gerade Musikgeschichte geschrieben wird. Normalerweise bastelt der Schlagzeuger, Komponist und Produzent Axel Kroell hier an Werbejingels und Film- oder Fernsehsoundtracks.

Rickie Lee Kroell: Noch eine 19-Jährige mit bemerkenswerten Songs - allerdings selbst geschrieben und eher jazzig: Rickie Lee Kroell versucht ihre Musik mit einer "Internet-Tournee" unter die Leute zu bringen.

Noch eine 19-Jährige mit bemerkenswerten Songs - allerdings selbst geschrieben und eher jazzig: Rickie Lee Kroell versucht ihre Musik mit einer "Internet-Tournee" unter die Leute zu bringen.

(Foto: sonstige)

Seit vorgestern jedoch sitzt dort jeden Abend eine Band mit einer jungen Sängerin. Jeweils um 19.30 Uhr geht es zur Sache. Sechs gut versteckte Kameras verfolgen dann ein halbstündiges Konzert, das als Livestream jeden Tag auf einer anderen Homepage zu sehen ist - die erste Internet-Tournee einer Band feiert Premiere.

Hauptfigur ist Kroells Tochter Rickie Lee, eine ausnehmend hübsche 20-Jährige, die mit beträchtlichem Charme, einer mit ihren Modulationen und Oktavsprüngen sehr eigenwilligen Stimme poppige NuJazz-Songs singt. Den derzeit naheliegenden Vergleich mit einer gewissen Lena verwirft sie selbstbewusst: "Ich möchte den ehrlichen Musikerweg gehen."

Harte Arbeit ist sie gewohnt: Eigentlich wollte sie Ballerina werden, vom Vorschulalter an trainierte sie fünf bis sechs Mal in der Woche, parallel dazu lernte sie vom siebten Lebensjahr an Klavier. Als sich mit 14 herausstellte, dass sie fürs Ballett zu groß werden würde, stieg sie auf Geige und Schlagzeug um und warf sich mit aller Kraft auf die Musik.

Schnupperkurs zum Abi

Für den Musikleistungskurs wechselte sie ans Pestalozzi-Gymnasium, wo sie sich erstmals am Verjazzen von beispielsweise Debussy-Vorlagen versuchte. Das "Abigeschenk", ein Schnupperkurs an der legendären Berklee College of Music in Boston ("5 Week Summer Performance Programm") verfestigte ihren Berufswunsch. Und brachte sie auch endgültig zurück ans Klavier - als Pianistin wie als Komponistin.

Was sich daraus aber in kürzester Zeit entwickelt hat, überrollte selbst den Vater. "Vor einem Jahr hat Rickie Lee schon mal an einem Song rumkomponiert, den hatte sie aber nie zu Ende geschrieben. Und jetzt kam sie aus Berklee mit ein paar fertigen Songs zurück, die mich richtig umgeworfen haben."

Trotzdem wollte Kroell nicht sofort in die Rolle eines Tennis-Papas schlüpfen: "Ich dachte mir, vielleicht sehe ich das ja nur durch die väterliche Brille und habe die ersten rohen Aufnahmen gestandene Profis anhören lassen." Aber siehe da, auch Leute wie der David-Bowie-Produzent Mark Plati, Rolling Stone-Autor Bernd Gockel oder Tina Baker, Background-Sängerin bei Madonna, U2 oder Bruce Springsteen, waren begeistert.

Also stellte Kroell mit dem Gitarristen Luke Cyrus, dem Bassisten Lorenz Heigenhuber und dem Schlagzeuger Christoph Holzhauser eine erstklassige Band zusammen, nahm mit ihnen und seiner Tochter in einem in der Szene berühmten Unterföhringer Musikstudio professionelle Demos auf und warf seine Maschine an; denn Kontakte hat der Mann, der von 1984 an zehn Jahre lang als Produzent in den USA lebte und dort mit Größen wie Quincy Jones, Curtis Mayfield, Arthur Baker oder Al Green arbeitete und an Filmmusiken etwa für PsychoIII oder Grüne Tomaten mitwirkte, bevor er der Familie wegen - die in New York geborene Rickie Lee war inzwischen vier - nach Deutschland zurückkehrte und in München landete.

Hier betreut er vor allem Fernsehserien wie die ARD-Telenovela "Sturm der Liebe" oder die ZDF-Krimiserie "SOKO 5113" musikalisch. In der kleinen Studioküche aber hängen noch Souvenirs aus seiner wohl erfolgreichsten Zeit, darunter allein fünf Platin-Platten der von ihm entdeckten und produzierten englischen Band Wet Wet Wet.

Doch selbst für einen so gut vernetzten Profi wie Kroell ist es im heutigen, von der Strukturkrise durch das Internet hart gebeutelten Musikbusiness schwer geworden, eine unbekannte 20-Jährige zu lancieren. Auch wenn deren Musik erstaunlich "erwachsen", abgeklärt und professionell klingt, viel eher nach Namensgeberin Rickie Lee Jones, nach Joni Mitchell oder auch Jamie Cullum als nach von ihrer Persönlichkeit zehrenden Jungmädchen-Talenten wie Lena.

Kroells literarische Ader - seit Jahren schreibt sie unter anderem Gedichte - begründet vielleicht die Qualität ihrer Texte. Für den nicht minder überzeugenden Rest hat sie eine überraschende Erklärung: "Ich wollte keine Schiene fahren wie alle anderen, weil ich weiß, dass man dann wahnsinnig gut sein muss. Ich dachte, lieber mache ich was Eigenes. Und es war dann letztlich sogar einfacher, sich auf das zu stürzen, was ohnehin aus einem heraus will."

Die Tournee im Netz

Ihr Vater überlegte sich indessen, wie man das "feindliche" Internet für die eigenen Zwecke einspannen kann und kam auf die Idee mit der Internet-Tournee. 20 Portale hat er von der Idee überzeugt, die im Jazz wichtigen wie Jazzforme.de, Jazzthing.de oder Jazzdimensions.de ebenso wie eher kuriose Adressen von Klatsch-tratsch.de bis Spiesser.de, Blogs und reichweitenstarke Vorschauspots wie Kulturnews.de, Musiktipps24.de und Prinz.de genauso wie die Online-Redaktionen von Zeitungen wie den Nürnberger Nachrichten oder der Rheinischen Post. Das große Finale am 4. Juli läuft - wie es sich für ein Münchner Kindl gehört - auf sueddeutsche.de.

Sollte die Aktion tatsächlich zum Sprungbrett werden, wird die nächste Zeit für Rickie Lee Kroell anstrengend: Im September beginnt sie ein Kompositions- und Filmscoring-Studium in Berklee.

Falls sie sich dann bezüglich der Karriere entscheiden müsste, ist ihre Haltung klar: "Ausbildung geht vor. Ich möchte nicht ohne irgendwas dastehen, wenn es als Singer/Songwriter nicht klappt. Bei mir muss alles Hand und Fuß haben." Nicht die schlechteste Einstellung für eine 20-Jährige.

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