Variete Spectaculum:Der König kehrt zurück

Rainer Maria Strixner in seiner Galerie in der Geyerstraße 12

Treibende Kraft hinter dem Variete Spactaculum ist Rainer Maria Strixner, ein Lebenskünstler.

(Foto: Florian Peljak)

Rainer Maria Strixner trat lange als Elvis-Presley im "Variete Spectaculum" auf. Zum 40. Bühnenjubiläum braucht er aber Beistand.

Von Thomas Becker und Michael Morosow

Früher passte Rainer Maria Strixner locker in eine Coca-Cola-Truhe. Sein Auftritt als Elvis-Presley-Imitator, der mit Elan aus der Kühlbox springt und dann abgeht wie the King of Rock 'n' Roll in seinen besten Zeiten, ist eines der Glanzstücke im Programm des legendären "Variete Spectaculum", einer ebenso skurrilen wie erfrischend albernen Vorstadtrevue, die erstmals 1976 in der Münchner Drehleier aufgeführt wurde.

Früher war er wie ein junger Gott

An diesem Freitag und Samstag (Beginn jeweils um 20 Uhr) feiert das ganze Ensemble mit einem Best-of sein Bühnenjubiläum. Es versteht sich, dass Strixner wieder den Elvis geben muss, seine Fangemeinde im Publikum erwartet das. Und darin liegt sein Problem. Bei den Proben an diesem Mittwoch kam Elvis Presley in die Coca-Cola-Truhe rein, aber leider von selbst nicht mehr raus. "Früher bin i rausgsprunga wie ein junger Gott", hadert der 64-Jährige.

Nun gut, früher war er auch um 13 Kilogramm leichter. Vielleicht legt Elvis diesmal auf der Truhe sitzend los. Vielleicht kommt ihm aber auch ein Sanitäter oder Altenpfleger zur Hilfe. Das würde trefflich passen zum Variete Spectaculum, das "Glimmer, Glanz, Glamour, Klamauk, Sex and Crime und Nervenkitzel" verspricht und mit "Quasi Modo" einen herrlich versponnenen Pausenhelden hat, der pantomimisch durchs Programm führt: gespielt von - klar: Rainer Maria Strixner.

Jetzt also wieder auf die Bühne - dabei füllt Strixner auch so schon viele Rollen aus. Er ist Holzbildhauer, Restaurator, Antiquitätenhändler - und Wirt war er auch noch, in der "Geyerwally". Ein Unikum, ein Lebenskünstler könnte man sagen. Oder: ein richtig guter Typ. Werner Winkler, Chef der Kabarettbühne "Drehleier", sagt: "A wuida Hund. Und ein wahnsinniges Talent."

Strixner ist zudem ein toller Geschichtenerzähler - was schon daran liegt, dass er tolle Geschichten erlebt hat. Zum Beispiel die Sache mit dem Altar. Anfang der Achtzigerjahre bekommt Strixner den Auftrag, einen Altar zu schnitzen. Auftragsvolumen: 70 000 Mark. Unfassbar viel Geld für einen Holzbildhauer. Er macht ein paar Entwürfe, baut Modelle, sehr zum Wohlgefallen des Herrn Pfarrer.

"Spielen wir halt Theater"

Alles läuft prima, bis ihn der Geistliche beim Rausgehen noch fragt: "Sind Sie eigentlich katholisch?" Strixner ist katholisch, verneint aber. Er will einfach mal sehen, wie der Geistliche reagiert. Nun, der reagiert, und wie! "Was? Dann kriegen Sie den Auftrag nie! Sie können sich ja gar nicht reinfühlen in das Leiden des Christus! Eine Unverschämtheit, dass Sie mir überhaupt Entwürfe bringen!" Der konsternierte Bildhauer antwortet auch nicht eben unemotional: "Haben Sie 'nen Vogel? Ich kann mich in Leiden reinfühlen wie jeder andere auch, dafür muss ich nicht katholisch sein. Ich bin katholisch, und jetzt können Sie mich kreuzweise mit Ihrem Auftrag." So ist er, der Strixner: bedingt diplomatisch, unbedingt unangepasst, immer schön geradeheraus, mit Haltung, bloß nicht buckeln. Er ist dann übrigens aus der Kirche ausgetreten. Sollen die ruhig merken.

Varieté Spectaculum, 2000

Endlich wieder Zeit für Klamauk: Werner Winkler, Karin Manner, Kerstin Jacobsen, Rainer Maria Strixner, Bernhard Bigler kehren auf die Bühne zurück.

(Foto: Volker Derlath)

Schön auch die Schote, wie sich die Variete-Spectaculum-Truppe überhaupt gefunden hat, erzählt von Drehleier-Chef Winkler. Man hatte sich Mitte der Siebzigerjahre kennengelernt, Strixner war in das Hinterhaus des "Fraunhofer" eingezogen, Winkler gründete mit Fraunhofer-Wirt Beppi Bachmaier und Uwe Kleinschmitz das Muh und die Drehleier. Und in der "Kulisse" neben dem Werkstattkino hatte ja schon Karl Valentin auf der Bühne gestanden.

Fast jeden Abend saß man also zusammen beim Bier und alberte herum, bis Winkler irgendwann sagte: "Hey, spielen wir halt Theater!" Und die Bierrunde so: "Gut, spielen wir Theater." Der Plan: irgendwas Verrücktes einstudieren, aber nur für eine Woche. Am ersten Abend war die Drehleier voll, alle Freunde waren da. Der zweite Abend: leer, der dritte: auch nicht besser.

Fußball verbündete die Völker

Variete Spectaculum: Letztlich doch lieber Bildhauer.

Letztlich doch lieber Bildhauer.

(Foto: Claus Schunk)

Doch dann stand eine euphorische Kritik in der Zeitung - und die Bude war voll! Und die Bierrunde so: "Jetzt können wir nicht aufhören." 30 Jahre lang hat das "Variete Spectaculum" dann gespielt, fast die Hälfte davon vor ausverkauften Häusern, sogar in Krakau gab die Truppe ein zweiwöchiges Gastspiel. Winkler erinnert sich: "1986, Eiserner Vorhang. An der DDR-Grenze zu Polen wollte der Rainer die gedrückte Stimmung etwas aufheitern und spielte dem Grenzer unter dem Schlagbaum einen Fußball zu - wir sind dann halt erst ein paar Stunden später losgekommen . . ."

Wilde Zeiten. Damals. Und heute? Ortstermin in Strixners Werkstatt am Glockenbach. Ein irres Sammelsurium an Heiligenfiguren, Asam-Engeln, Gipsplastiken, Biedermeiersofas, Werkbänken, vergilbten Fotos und einem Meisterbrief aus dem Jahre 74. Eine Oase. Die schnelle, laute Stadt mit ihrem Fußgängerzonenwahnsinn ist Lichtjahre entfernt. Um ein paar Hocker tippelt Betty, ein 16 Jahre alter, tauber, blinder und dementer Rauhaardackel, der ab und an mal auf den Boden pinkelt. Strixner sagt: "Die ist so vergesslich, die vergisst sogar zu sterben."

Unpolitisch, aber im besten Revolutionsalter

Mitte der Sechzigerjahre kam Strixner an die Kunstgewerbeschule. Als er dort anfängt, werden gerade große Figuren geschnitzt: Tilman Riemenschneider, Ignaz Günther, Veit Stoß, Ikonen der Bildhauerkunst. Sein Lehrer: Josef Baumgartner. "Wir waren per du, er ging von Hobelbank zu Hobelbank und fragte: 'Wer hat den besten Wein? Trinken wir einen!' Das war meine schönste Zeit. Und die verrückteste. 1968, 1969!" Mit 17 ist er im besten Revolutionsalter, läuft bei jeder Demo mit, wird sogar mal verhaftet, obwohl er keine Ahnung hat, um was es ging: "Alle haben immer Ho-Ho-Ho-chi-minh gerufen. Hauptsache dabei und dagegen sein und a Gaudi hab'n! Politik hat mich damals überhaupt nicht interessiert."

Mit 23 gründet er als einer der jüngsten Holzbildhauermeister in Deutschland einen eigenen Betrieb in der Tumblingerstraße, bildet Lehrlinge aus, bekommt erste Aufträge: die Restaurierung der Asamkirche in Rohr bei Kelheim oder die mühsame Fertigung von millimetergenauen Madonnen-Kopien für National- und Heimatmuseen; eine davon hängt heute am Straub-Haus bei der "Hundskugel" in der Hackenstraße, eine andere am Ignaz-Günther-Haus beim Stadtmuseum. "Für eine Gipsplastik hab' ich 1972 mal 3000 Mark bekommen - das war so viel wie heute 30 000 Euro. Das Bier hat ja nur 85 Pfennig gekostet. Da ging es der Bildhauerei noch gut."

Bildhauer oder Schreiner? Eh gleich.

Als die Grenze zum Osten fiel, waren die guten Geschäfte erst einmal vorbei. Aber es tun sich andere Einnahmequellen auf. Ein Freund hatte ihn einer Brauerei empfohlen, die sich einen Tresen bauen lassen wollte. Strixners Reaktion: "Bist du deppert? Ich bin kein Schreiner!" Er schaut dennoch vorbei. Acht Meter Tresen, was kostet das, Herr Strixner? Er überlegt: 2000 Mark fürs Holz, 1000 fürs Zusägen lassen. Soll er jetzt 5000 oder 6000 Mark verlangen? Er überlegt zu lange, denn der Brauereimensch fragt: "Können Sie es für 20 000 machen?" Strixner, total sprachlos, überlegt wieder zu lange. Darauf der Brauer: "Gut, 25 000 ist mein letztes Angebot. Machen Sie's?"

Das Leben war gut zu dieser Zeit. Die Theaterspielerei kommt dazu, von 1981 bis 1983 ist Strixner sogar in TV-Auftritten in der "Astro-Show" mit Elisabeth Tessier und Horst Buchholz zu sehen, an der Seite von Marika Rökk, Adriano Celentano, Jean-Paul Belmondo, Alain Delon und Curd Jürgens.

Tochter Jessica und Schwiegersohn Philipp sind mittlerweile auch auf ein Baumburger vorbei gekommen, beide ebenfalls Holzbildhauer. Strixner feixt: "Wir sind eine Dynastie. Jetzt muss sich meine Frau drei Bildhauer leisten." Dafür erfüllte er seiner Christa den Herzenswunsch von der eigenen Kneipe.

"Ich bin doch gar kein Nachtmensch"

Kneipe 'Geyerwally' in München, 2011

Die 'Geyerwally' - bierseligster Ort Münchens nach ein Uhr nachts.

(Foto: Stephan Rumpf)

Als Walter, der Wirt seiner Stammkneipe "Geyerwally", vor acht Jahren die Konzession verliert, macht Strixner sich nach einem Jahr Leerstand an die Restauration der maroden Boazn. Alles war verfault und verschimmelt, er hatte Angst, in den Keller durchzubrechen. Ein halbes Jahr schuftet er und bekommt tatsächlich die Genehmigung, die Kneipe wieder zu eröffnen, für ein Jahr zunächst. Es werden sechs Jahre. "Der Laden wurde immer populärer", erzählt der Spontan-Wirt, "es ging immer bis spät in die Nacht, dabei bin ich überhaupt kein Nacht-Mensch, wollte morgens um acht in der Werkstatt sein."

Jetzt schlägt sich der Nachwuchs die Nächte um die Ohren, und Strixner hat wieder mehr Zeit für die Kunst und seine Kumpels. Am Wochenende war er mit ein paar Spezln zum Schlittenfahren: im Eiskanal am Königssee. "Mit 70 Sachen geht's da runter. Einmal hat mir gelangt." Sport war immer sein Ding: Skifahren, Bergsteigen und natürlich Fußball, beim TSV Gräfelfing und zig anderen Teams. "Ich war verdammt schnell, 10,8 auf 100 Meter." Trainer kann er auch: In der "Burg Pappenheim" am Gärtnerplatz betreute er das Frauenfußballteam, die "Pappenheimer Muskelkatzen".

Auf den Pfad zurückgefunden

Die Verbundenheit zu seinem Viertel reicht mittlerweile sogar wieder bis zur Kirche. Vornamensvetter Rainer Maria Schießler, der umtriebige Seelsorger der Pfarrei St. Maximilian, wünschte sich vor ein paar Jahren - nein: keinen geschnitzten Altar, sondern eine Weihnachtskrippe, besser gesagt: die größte der Welt. Strixner gefiel die unverstellte Art des Geistlichen und dessen Idee, die Leute mit populären Maßnahmen wie Glühweinausschank ins Gotteshaus zu locken. "Die Christmette ist der Hit! 1200 Leute, Party bis tief in die Nacht", schwärmt Strixner. Die Riesen-Krippe, deren zum Teil sechs Meter hohe Bauten aneinander gereiht 300 Meter lang wären und an der der Bildhauer vier Jahre gearbeitet hat, gehört seit 2011 eigentlich ins Buch der Rekorde, doch als die Guinness-Leute 400 Euro für den Eintrag wollten, lehnte das Duo Schießler/Strixner ab.

Viel Arbeit bereitet ihm derzeit auch das Comeback des "Variete Spectaculum" an diesem Wochenende, zum 40. Geburtstag der Drehleier. Nach zehn Jahren Pause treten sie erstmals wieder auf.

Variete Spectaculum: Bildhauer Strixner hat diese Krippe entworfen. Auf einer rund 25 mal 25 Meter großen Fläche ist sie mit bis sechs Meter hohen Gebäuden aufgebaut.

Bildhauer Strixner hat diese Krippe entworfen. Auf einer rund 25 mal 25 Meter großen Fläche ist sie mit bis sechs Meter hohen Gebäuden aufgebaut.

(Foto: Claus Schunk)

Die Begeisterung: im Fotoalbum konserviert

Warum das Ganze? Die Begeisterung erklärt sich, wenn man das Fotoalbum von früher in die Hand nimmt, voll mit Bildern von den Auftritten. "Die kenn' ich ja noch gar nicht", sagt Tochter Jessica halb empört, und Rainer Maria Strixner wird beim Blättern beinahe melancholisch: "Von den 14 Mann sind nur noch sechs übrig. Alle anderen sind tot. An Aids gestorben."

Apropos Tod - hier noch die Geschichte der Dackeldame Betty. Strixner erinnert sich: "Vor zwei Wochen fällt sie auf der Straße um, sie hat Schaum vorm Mund, Krämpfe, die Leute laufen zusammen: ,Was ist denn mit dem Hund?', fragt der eine. ,Mei, der stirbt jetzt. Der ist alt', sagt der nächste. ,Dann tragen Sie ihn halt nach Hause zum Sterben!', sagt ein weiterer. Ich hab' sie hier in einen Pappkarton gelegt, ihr Lieblingsspielzeug dazu getan und gedacht: Das war's jetzt. Aber dann streckt sie irgendwann den Kopf raus, schlabbert Wasser und frisst den Napf leer, als wär' nichts gewesen."

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