Reservierungen auf der Wiesn:Herr der Tische

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Der Vermittler bei der Arbeit. Der Ratsch mit Wirtin Katharina Inselkammer ist schnell zu Ende. (Foto: Stephan Rumpf)

Er hat etwas, das alle wollen. Der Tisch-Vermittler ist jeden Tag auf der Wiesn und rennt von Zelt zu Zelt. Wer legal dafür sorgt, dass andere einen Platz im Zelt bekommen, braucht das Vertrauen der Wirte.

Von Stephan Handel

Das Ding ist so groß wie ein kleiner Notizblock, von grünlicher Farbe, und wäre derzeit vermutlich so begehrt wie kaum etwas anderes in München. Nur vier Wörter stehen drauf, wovon zwei eine Unterschrift sind, nämlich die von Steffi Spendler, Wirtin im Löwenbräu-Zelt. Darüber steht, was das Papier so wertvoll macht: "Täglich Einlass". Der Vermittler zeigt diesen Ausweis dem Wächter an einem Seiteneingang des Zeltes - "Nur für Personal" - und ist drin.

Der Vermittler ist Unternehmer, und für einen solchen ist es vielleicht merkwürdig, dass er keinesfalls Werbung für sein Unternehmen machen will, weshalb sein Name ungenannt bleiben soll. Der Vermittler vermittelt ein Gut, so kostbar und selten wie Wasser in der Sahara: Reservierungen für Wiesn-Tische. "Wenn mein Name in der Zeitung steht", sagt der Vermittler, "kann ich mich vor Anrufen nicht mehr retten."

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Die Wiesn-Wirte betonen stets, dass es Reservierungen nur bei ihnen gibt und all die Ebay-Anbieter nichts als Betrüger sind. Den Unterschied zwischen diesen und sich selbst macht der Vermittler mit einem Satz deutlich: "Ich bin kein Ticketverkäufer."

Denn die Reservierungen werden ja auch von den Wirten nicht verkauft - das Geld, das zu bezahlen ist, ist der Gegenwert für den Mindestverzehr, für gewöhnlich zwei Mass und ein halbes Hendl. Der Vermittler hat das Vertrauen der Wirte - in seinem Fall: von neun Zelten -, dass er kein Schindluder treibt mit den Gutscheinen und den Reservierungsbändern. Und dass er ihnen die richtigen Leute ins Zelt bringt.

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Es ist jetzt kurz vor 17 Uhr am Donnerstag, der Vermittler wird - mit zwölf Mitarbeitern - an diesem Tag etwa 200 Gäste zu betreuen haben. Sein Weg führt ihn zunächst ins Armbrustschützenzelt. Er nimmt die Route hinten an den Zelten vorbei, da kommt er schneller voran, und er kann während des Marsches telefonieren. Während des Jahres organisiert der Vermittler Firmenveranstaltungen, Tagungen, Kongresse - allerdings: "Die Wiesn beschäftigt mich elf Monate."

"Ah, das sind dicke Menschen"

Von "seinen" Wirten bekommt er ein Kontingent an Reservierungen - im Durchschnitt sind das etwa drei Tische pro Tag -, die er mit anderen Leistungen zu Paketen zusammenschnürt: Das große Paket, zu dem neben Wiesnbesuch, Hotel und Bustransfers ein Rahmenprogramm gehört, eine Führung durch Schloss Nymphenburg etwa oder eine Stadtrundfahrt.

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Das kleine Paket für Leute, die nichts zu tun haben mit dem Kultur-Kokolores und einfach nur auf die Wiesn wollen und hinterher ein Bett zum Schlafen brauchen. Und dann noch das Angebot für die Heimfahrer, die mit der Reservierung selbst zufrieden sind. Auf die Summe, die der Vermittler an Wirte, Hoteliers, Fremdenführer zahlt, schlägt er eine Gebühr drauf - "für meine Dienstleistung" -, das ist sein Verdienst.

Auf dem Weg zum Armbrustschützenzelt erhält der Vermittler eine SMS von einem Mitarbeiter, der die ihm zugeteilte Gruppe gerade in das zugeteilte Zelt gebracht hat und jetzt Bericht erstattet: Zehn von zehn angekündigten Gästen sind gekommen, was schon mal gut ist, allerdings sind die ein bisschen "unglücklich", weil sie "kaum an den Tisch passen", schreibt der Mitarbeiter: "Ah, das sind dicke Menschen", folgert der Vermittler haarscharf.

Ob die Gruppe, die den Abend im Armbrustschützenzelt verbringen will, aus dicken oder dünnen Menschen besteht, bleibt im Verborgenen, jedenfalls kommt die Meldung, dass alles in Ordnung und die Anwesenheit des Chefs nicht vonnöten sei. So bleibt Zeit für einen kurzen Besuch im Reservierungsbüro, wo der Vermittler mit Namen begrüßt wird.

Die Wirtin Katharina Inselkammer wacht hier persönlich darüber, dass alles nach Recht und Allgemeinen Geschäftsbedingungen abläuft - was immer schwieriger wird, wie sie sagt: Neulich haben sie einen erwischt, der Reservierungen für einen Tisch verkauft hat, 3000 Euro wollte er haben, also um das Zehnfache überteuert. Aber das Gemeinste war: "Der hat einen Tisch verkauft, den es gar nicht gibt", sagt die Wirtin.

Reservierungswechsel bedeutet Hochbetrieb

Da ist sie froh, mit einem wie dem Vermittler zusammenarbeiten zu können - der trifft nicht nur eine gewisse Vorauswahl der Gäste, der ist nicht nur ihr Ansprechpartner, wenn's mal Probleme gibt oder die Rechnung zu schreiben ist. Der kann auch mal weiterhelfen, wenn jemand keinen ganzen Tisch will, sondern nur zwei oder drei Plätze. "Das könnte ich ja gar nicht leisten", sagt die Wirtin.

Der Ratsch findet schnell ein Ende, denn um diese Zeit, Reservierungswechsel in allen Zelten, ist Hochbetrieb für den Vermittler. Er geht jetzt den ganzen weiten Weg wieder zurück, nämlich ins Löwenbräu-Zelt. Seine Mitarbeiter haben mal gemessen, welche Strecke sie jeden Tag zu Fuß zurücklegen: zwölf Kilometer. "Bei mir ist's eher mehr", sagt der Vermittler.

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Im Löwenbräu trifft er Egon Stehle aus Schwäbisch Gmünd, dessen Firma sich mit "Oberflächen und Systemen" beschäftigt, was immer das bedeuten mag. Stehle ist mit 20 Leuten da, Geschäftsführung, Partner, Mitarbeiter. Er sagt, er buche die Wiesn-Besuche nur beim Vermittler, "das funktioniert und man fühlt sich aufgehoben".

Zwei Tische bis 23 Uhr, anschließend noch After-Wiesn-Club, dazu das Hotel, dessen Name Stehle jetzt gerade nicht einfällt, "aber man kann hinlaufen" - 250 Euro pro Person gibt der Unternehmer für den Ausflug aus, was er aber nicht zu viel findet, weil es nicht nur eine Gaudi ist, sondern auch eine Motivation.

Der Vermittler muss schon wieder weiter - im Weinzelt waren Gäste vor der Tür beim Rauchen, jetzt kommen sie nicht mehr rein; da werden dem Vermittler seine guten Beziehungen zu Bedienungen und Security helfen. Die braucht er gelegentlich auch, wenn die Gäste Bier, Wiesn und eigene Standfestigkeit unterschätzen - dann geschieht es schon mal, dass er auf die Frage an die Bedienung, wo denn sein Ansprechpartner sei, die Antwort bekommt: "Der liegt da hinten und schläft."

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Oder dass er einen isländischen Gast nach einem Sturz überzeugen muss, dass es doch gescheiter wäre, den Oberschenkelbruch im Krankenhaus versorgen zu lassen, was dieser partout nicht einsehen will. "Solche Sachen", sagt der Vermittler, "passieren dann aber eher nach 22 Uhr. Dass die Leute mich nicht mehr erkennen." Bis dahin ist ein Marathon zurückzulegen - für die Gäste an ihren Tischen mit dem Bier, für den Vermittler draußen, beim Marsch von einem Zelt zum nächsten.

© SZ vom 27.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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