Reportage:Bilder einer Darstellung

Ob Verhaftung, Fast-Prügelei, Schaulaufen oder Saufen - die Empfänge auf dem Filmfest werden täglich wilder. Und Gesellschaftsfotografen wie Jens Hartmann fangen alles ein, von Sofia Coppola bis zu Koma-Patienten

Von Philipp Crone

Er hat ihn. Jens Hartmann steht am Montagnachmittag auf dem roten Teppich vor dem Gasteig und sieht auf das Display seiner Kamera. Ein erster besonderer Moment: ein bisschen Skandal, ein bisschen Rock 'n' Roll, ein bisschen verrückt, und Hartmann, 42, hat das Bild alleine. Er steht seit einer Woche jeden Tag hinter Absperrgittern, die beiden Kameras über die Schultern gehängt. Warten, rufen, abdrücken, Position wechseln, wieder abdrücken, Schärfe checken. Warten auf das Bild, was mehr sagt über Sofia Coppola, über Sunnyi Melles. Warten auf ein Bild, das eine kleine eigene Geschichte erzählt, zum Beispiel auf der sehr kunstblutigen Party der "Shocking Shorts" am Dienstagabend. Unterwegs mit einem Mann, der die Ruhe behält in diesem aufgeregten Chaos auf und neben den Teppichen des Filmfests.

Den ersten besonderen Moment hat Hartmann am Montag erwischt, als er am Nachmittag alleine auf dem roten Teppich vor dem Gasteig steht. Bei der Premiere von Fatih Akins neuem Film hat der Regisseur eine Flasche Rum dabei, um sich bei Josh Homme, Gitarrist der Queens of the Stone Age, für dessen Soundtrack zu bedanken. Homme nimmt die Flasche, zieht den Korkverschluss ab und nimmt einen tiefen Schluck. Hartmann drückt ab, hält das Objektiv noch ein paar Sekunden auf Homme, falls der noch einmal ansetzt, nimmt den Apparat runter, sieht aufs Display, checkt die Schärfe und lächelt. "Das sind Momente, über die ich mich freue."

Der Gesellschaftsfotograf, der seit 23 Jahren in dem Geschäft arbeitet und für die Agentur People Picture Prominente fotografiert, hat einen guten Fang gemacht. Hartmann braucht natürlich auch Bilder von Sofia Coppola, am besten innig mit ihrer Mutter. Dann Senta Berger, Benno Fürmann, möglichst bekannte Personen in möglichst überraschenden Posen.

Aber erst mal Coppola, die am Montagabend im Gasteig auf einer Bühne sitzt. Sie kann das: sich so geben, als ob ihr solche Termine Spaß machten. Warum sie "Lost in Translation" mit Bill Murray in Tokyo gedreht habe? Weil sie sich dachte: Wäre doch cool, mit Bill in Tokyo abzuhängen. Lächeln, kurz antworten, die Stimme schnell senken. Coppola sagt: "Ich kann Stress gut verbergen." Hartmann steht in dem Moment wieder unten am Teppich, eingekeilt zwischen 20 Kollegen, schaut etwas verträumt durch seine Brille in die Abendsonne und schüttelt den Kopf. Das Licht ist eine Katastrophe. Schräg von vorne, es zwingt die Leute, Augen und Gesicht zusammenzukneifen. Coppola geht von der Bühne, raus aus dem Gasteig, steigt dort in ein Auto und wird wieder vorgefahren, damit auch der Auto-Sponsor zur Geltung kommt.

Hartmann sieht die Limousine, Coppolas Mutter kommt als erste, begleitet von einem Bodyguard, der aussieht wie einer der glatt-gegelten Smith-Agenten aus "Matrix", nur dass er statt einer Knarre die riesige Oma-Handtasche von Eleanor Coppola trägt. Hartmann macht: Porträt von Coppola, bis zur Hüfte, ganzer Körper, alleine. Das ist die Pflicht. Dann kommt die Tochter, die Fans rufen, alle halten ihre Hände vors Gesicht, manche vor die Augen wegen der Sonne, manche vor den Mund wegen der Aufregung. Coppola sieht ihre Mutter, setzt an zu einem hohen Teenie-"Hi!" und sagt dann ins erste Mikrofon: "Es ist sehr angenehm, dass es hier nicht so crazy ist wie in Cannes." Später werde sie mit ihrer Mutter noch in den Biergarten gehen, erzählt sie ins nächste Mikrofon, während sich zwei Kameramänner im Hintergrund Schläge androhen, weil der eine dem anderen ins Bild geleuchtet hat. Hartmann lächelt. Er hat sein Motiv: Coppola im Moment des Aussteigens, den Blick schon darauf fokussiert, was sie erwartet, Dutzende Fotografen, herausfordernd schauend mit einer Euch-zeig-ichs-Mimik. Bild mit Geschichte, das ist die Kür. Während Sofia Coppola dann routiniert im Carl-Orff-Saal Huldigungen über sich ergehen lässt, machen sich die People-Fotografen gleich wieder auf den Weg, zwei Isarbrücken weiter zum roten Teppich vor dem P1.

"Movie Meets Media" heißt das Event dort, wo die Chance auf verrückte Bilder am größten ist, weil man nur aus dem Grund kommt, um verrückte Bilder von sich machen zu lassen oder verrückte Geschichten zu erzählen. Adrian Can zum Beispiel. Der Darsteller trägt derzeit einen markanten Schnauzer, was ihm "schon zwei Rollen" eingebracht hat, aber auch Ärger an diesem Abend mit der Polizei, wenn man seiner Interpretation folgt. Er sieht aus wie ein veritabler Schurke, und da er ausnahmsweise ohne Fahrkarte zum P1 in die U-Bahn stieg, erwischt wurde und keinen Ausweis dabei hatte, "wurde ich vorläufig festgenommen". Bis Can anhand von YouTube-Videos seine Identität versichern konnte. Halbe Stunde Wache, dann ins P1.

Dort wartet der österreichische Bau-Unternehmer Richard "Mörtel" Lugner im kreischgelben Shirt darauf, angesprochen zu werden. Der 84-Jährige ist mit seiner neuen Freundin Andrea da, die der berüchtigtste Spitznamenvergeber Europas diesmal nicht "Hasi", "Bambi", "Käfer", "Kolibri" oder "Spatzi" nennt, wie die Begleitungen zuvor, sondern "Goldfisch". Lugner befindet, dass die Feier "eins der tollsten Events ist, die man erleben kann", mit "vü Promis". Seine Begleitung sieht sich interessiert um. Zwischen Frauen, deren Brüste bis zur Waagerechten hochgepusht sind, dass sie bequem als Ablage für die Buffet-Teller dienen können, laufen einige Schönheitschirurgen herum, die derartige Eingriffe so schnell vornehmen, wie Lugner "vü" sagen kann. Alterslos ist der Gast hier, auch dank der Dienste von "Goldfisch" zum Beispiel. Sie arbeitet "im Anti-Aging-Bereich" und deutet rüber zu Lugner, der aber nicht zugehört hat, weil er waagerechten Brüsten hinterherschaut. Dann erblickt er das Model Papis Loveday mit künstlichem Blondschopf und einer Art nudistischem Beduinen-Kostüm. Und Adrian Can daneben schaut, als ob er doch lieber wieder auf die Wache möchte.

Es ist ein Fest für Hartmann und seine Kollegen. Da werden Frauen über den Teppich getragen, die Geissens (dieses blendend weiß grinsende Millionärs-Fernsehpärchen, das als Meister der plumpen Protzelei bei derart anlasslosen Anlässen nicht fehlen darf) halten Hof und im Sekundentakt wird George Clooney von jungen Frauen, die auf den medialen Durchbruch warten, mit dem strassverzierten Smartphone im Selfie-Modus Arm in Arm fotografiert. Die Damen sind ganz schüchtern und ehrfürchtig - neben der Wachsfigur.

Am Dienstagvormittag beim Empfang des ZDF geht es dann wieder geordneter zu, wobei auch hier die Polizei einschreiten könnte, schließlich parkt Michael Verhoeven den Smart mit seiner Frau Senta Berger auf dem Beifahrersitz im prominenten Halteverbot, von wo aus die beiden fast unbemerkt ins H'ugo's schlendern, ehe ein Fotograf sie doch entdeckt und alle auf das Paar zustürzen. Ein Bild mit Promenadeplatz im Hintergrund verkauft sich besser als eins mit orangener ZDF-Fotowand. Armin Rohde stellt dort gerade allen seine Begleitung vor, "der Nachname wie Bohne mit Ö, Böhne", was verwirrend ist, denn sie ist nicht seine Frau. Die Klatschmagazine, die Hartmann und Co beliefern, haben allerdings längst rausgefunden, dass Rohde Beziehungen zu zwei Frauen pflegt, seiner Ehefrau und eben zu Bohne mit Ö. Schriftsteller Friedrich Ani hingegen hat keine Begleitung dabei, und auch hier hat der Boulevard längst erfahren, dass die Beziehung zu Kabarettistin Luise Kinseher vorbei ist.

Hartmann hat Verhoeven und Berger, weiter geht es am Abend zur Bavaria Film im Künstlerhaus. Zu "Just the two of us" der vierköpfigen Unplugged-Combo drängen sich dort Hunderte im Innenhof, Darsteller Michael Brandner säuselt in ein Mikro: "Ich höre wahnsinnig gerne Radio Arabella", und muss auf den Schreck gleich ein Bier ansetzen. Hier gibt es kaum gute Bilder, höchstens Promis unter Regenschirmen, dafür bei der schrillen Shocking-Short-Party von Universal um so mehr.

Im ehemaligen Blutspendezentrum an der Dachauer Straße kann man erleben, warum sich die Gäste von Tag zu Tag in wildere Posen werfen. Die Fotografen animieren jeden, der über den Teppich läuft, zur Alberei, und da im gesamten Gebäude wunderbar inszenierte Bekloppte in Zwangsjacken oder Koma-Patienten in Krankenbetten entweder bluten oder wackeln oder beides, ist das Fest ein einziger Foto-Rausch.

Um Mitternacht nimmt sich Jens Hartmann ein Bier und geht seine Bilder durch, es sind Aufnahmen, über die man sich amüsieren, ärgern oder echauffieren kann, die in eingefrorenen Momenten von Begegnungen und Emotionen erzählen, also die ganze Geschichte des Filmfests.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: