Reiterstaffel der Polizei: "Das Pferd wirkt"

Reiterstaffel der Polizei: Polizisten der Reiterstaffel beim Besuch des Königspaars der Niederlande

Polizisten der Reiterstaffel beim Besuch des Königspaars der Niederlande

(Foto: Robert Haas)

Bald sollen 200 Pferde nach Münchner Vorbild im bayerischen Polizeidienst stehen. Für Kritiker teure Symbolpolitik, die Polizei zieht hingegen eine positive Bilanz.

Von Martin Bernstein

Elias ist stolze 1,86 Meter groß - Stockmaß. 800 Kilogramm wiegt der vor fünf Jahren in den Niederlanden geborene Apfelschimmel. Wenn dann noch ein Reiter mit Gardemaß auf dem Pferderücken sitzt, zum Beispiel jener 1,92 Meter große Polizist, der üblicherweise mit Elias unterwegs ist, dann ist das Duo schon eine imposante Erscheinung. Sehen und gesehen werden, das ist genau das, was Andreas Freundorfer, 59, als das große Plus berittener Polizisten ansieht. Seit neun Jahren leitet der Erste Polizeihauptkommissar die Münchner Reiterstaffel. Berittene Polizisten sind sie, nicht Reiter in Uniform - das ist Freundorfer wichtig. Darum fallen ihm auch jede Menge Gründe ein, warum im Zeitalter der Cyber-Cops, der DNA-Treffer und der Telekommunikationsüberwachung so etwas auf den ersten Blick Anachronistisches wie ein Polizist hoch zu Ross noch nötig und sinnvoll sein kann. Und nicht einfach Folklore.

Als Chef von 34 berittenen Polizisten, acht Pferdepflegern und derzeit 41 Vierbeinern, zuzüglich den zwei für die Stallhygiene unentbehrlichen Dienstkatzen Momo und Mogli, muss Freundorfer das vermutlich sagen. Doch er - der einzige Nicht-Reiter im Team draußen in Münchens Pferdeviertel in Riem - sagt es mit Überzeugung. Vor drei Wochen war Freundorfers und Elias' oberster Dienstherr zu Besuch in dem vor 80 Jahren errichteten Dreiseithof an der Schichtlstraße, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Voll des Lobes für "meine Kavallerie", wie Herrenreiter Söder sein Steckenpferd im Scherz gerne mal nennt. Jede bayerische Großstadt, so verkündete der Ministerpräsident bei dem Termin, soll ihre eigene Reiterstaffel bekommen. 200 Pferde insgesamt - fünf Mal so viel wie zurzeit. In ganz Deutschland existieren derzeit ein knappes Dutzend Reiterstaffeln.

Söders Idee ist nicht so ganz neu. Vor dreißig Jahren gab es schon mal ähnliche Pläne. Entwickelt hatte sie ein Staatssekretär im bayerischen Innenministerium, er hieß Peter Gauweiler. Es waren die Jahre der Auseinandersetzung um die atomare Wiederaufbereitungsanlage im oberpfälzischen Wackersdorf, von Großkundgebungen, Hüttendörfern und gewaltsamen Räumungen. Dann war Gauweiler plötzlich nur noch für Bayerns oberste Baubehörde zuständig, und das Projekt, nun ja, noch nicht so ganz auf die Hufe gekommen. Seitdem hat die zu Prinzregentenzeiten vor genau 120 Jahren gegründete Reiterstaffel der Münchner Polizei einen Ableger in Rosenheim - personell zwar unabhängig, doch mit Pferden aus den Stallungen in Riem. Augsburg, Regensburg, Nürnberg, Würzburg blieben polizeipferdelos. Das will Söder jetzt ändern.

Kritik gibt es genug an den Plänen: Ob denn die Polizei nichts Wichtigeres zu tun habe? Und ob das Ganze nicht wieder einmal Symbolpolitik sei, richtig teure Symbolpolitik zumal? Der Umzug einer Reiterstaffel in Berlin hat vergangenes Jahr sieben Millionen Euro gekostet, allein für die Immobilien. Gut, das war Berlin. Aber es waren auch nur 26 Pferde, keine 200 wie in Bayern. Fest steht schon jetzt: Die Pferde werden teurer werden. Rund 7000 Euro zahlt die Polizei derzeit für einen vierbeinigen Kollegen, in Zukunft wird wohl mehr als das Doppelte fällig sein.

Bisher nämlich werden die Wallache, die in der Regel von bayerischen Züchtern stammen und im Alter von vier bis sechs Jahren in den Polizeidienst wechseln, bei der Reiterstaffel selbst ausgebildet. Das kann, je nach Pferd, bis zu einem Jahr dauern. Aber in Zukunft, wenn die bayerische Polizei plötzlich fünf Mal so viele Warmblüter braucht? Dann werde es nur noch um den "polizeilichen Feinschliff" gehen können, sagt Freundorfer. Man müsse künftig bereits fertig ausgebildete Reitpferde einkaufen. Das ist dann eine ganz andere Liga - und entsprechend teuer.

Ross und Reiter müssen ein eingespieltes Team sein

Zumal auch die Konkurrenz wächst. Nach einem Besuch in Riem will auch Österreichs Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) eine eigene Reiterstaffel aufstellen. Und er hat schon erste Erfahrungen gemacht, dass zwischen dem Plan und der einsatzfähigen Reiterstaffel ein steiniger Weg liegt. Zwölf Pferde werden für die österreichische Alpenkavallerie gebraucht, gerade einmal drei geeignete waren in felix Austria auf Anhieb zu finden. Wegen der benötigten Rösser will das Wiener Innenministerium jetzt "offensiv auf Züchter in Deutschland und Ungarn zugehen".

Ändern wird sich wohl auch das Anforderungsprofil an die Polizisten. Bisher stand die praktische Erfahrung im Vordergrund - auf Streife, nicht auf dem Pferderücken. Bewerber sollten natürlich schon mal auf einem Pferd gesessen sein, doch die eigentliche reiterliche Ausbildung erfolgte dann erst in Riem. Aber selbst wenn man beim Aufbau der neuen Reiterstaffeln "mehrstufig" vorgeht, wie Freundorfer andeutet: Ohne fundierte Reitkenntnisse bereits als Vorbedingung wird es wohl nicht zu schaffen sein, dass die neue Truppe bis 2024 steht. "Die Reiterei ist wie eine Sprache", sagt der Chef der Münchner Reiterstaffel. Und diese Sprache muss der Reiter fließend beherrschen. Sonst passiert "das Schlimmste, was passieren kann", wie Freundorfer sagt: "dass bei einem Einsatz das Pferd sein Vertrauen zum Reiter verliert". Ross und Reiter müssten ein eingespieltes Team sein. Nur dann könnten sie ihre polizeilichen Aufgaben erfüllen.

Und die wären? Andreas Freundorfer deutet aus dem Schulungsraum nach draußen. Eine Beamtin reitet gerade vorbei. "Die beiden werden nicht übersehen", sagt der Erste Polizeihauptkommissar. "Und aus drei Metern Höhe ist umgekehrt vieles auch schneller und leichter zu sehen." Die Polizeireiter erleben das, wenn sie zum Beispiel in Viertel beordert werden, die aktuell von Einbrechern heimgesucht werden. Dann passiert dort nämlich gar nichts. "In diesen Vierteln wird nicht mehr eingebrochen", sagt Freundorfer mit Überzeugung. "Präventionsstreifen" heißt das bei der Polizei. Und weil deren Erfolg nicht in Zahlen zu messen ist, sagt Freundorfer an dieser Stelle, was er während des Gesprächs noch ein paar Mal sagen wird: "Wir reiten niemals um des Reitens willen."

Ob im Umfeld von Fußballspielen oder Christkindlmärkten, um das Oktoberfest herum, auf dem Parkplatz der Baumaschinenmesse oder bei täglich drei Doppelstreifen durch den Englischen Garten: "Das Pferd wirkt", sagt der 59-Jährige. Drüben, im Stall bei Elias, mag man ihm nicht widersprechen. Eindrucksvoll ist der fünfjährige Wallach. Aber er ist eben auch, was Freundorfer einen "Sympathieträger" nennt. Berittene Polizisten könnten ein Höchstmaß an Bürgernähe erzeugen. Freilich, dabei stoßen sie dann auch an Grenzen. Wenn es bei Demonstrationen in engen Innenstadtstraßen laut und unübersichtlich zugeht, lässt die Polizei ihre Pferde im Stall. Ein Einsatz wäre zu gefährlich. Auch auf den Weihnachtsmärkten selbst, im Menschengewühl zwischen den Ständen, wären Polizeireiter am falschen Ort. Schwierig sind zudem Kontrollen oder gar Festnahmen. Ein Beamter müsste sich dann um das Pferd des Kollegen kümmern, der absteigen und sich alleine der möglichen Delinquenten annehmen müsste. In solchen Fällen bitten die Reiter ihre Kollegen zu Fuß um Unterstützung. Sie hätten das auch getan, wenn sie im Frühjahr den Osterbrandstifter erwischt hätten. Im Truderinger Forst suchten auch Polizeireiter nach dem Serientäter. Zweimal, glaubt Freundorfer, waren sie ganz nah dran. Doch das Phantom schaffte es, unerkannt zu türmen - und jeweils kurz darauf in unmittelbarer Nähe trockenes Gras und Unterholz anzuzünden.

Tradition mit dunklen Kapiteln

1824: Der "Königlichen Gendarmerie-Stadt-Kompanie" gehören auch ein Brigadier zu Pferd und zehn berittene Gendarmen an.

1898: Die "Königliche Schutzmannschaft für die Haupt- und Residenzstadt München" wird gegründet. Ihr sind 34 Reiter unterstellt - genau so viele wie 120 Jahre später. Untergebracht sind sie in der Schwere-Reiter-Kaserne.

1920: Die Dienstpferde - bisher Eigentum der Polizeireiter - werden jetzt von der Stadt gestellt.

1929: Umzug der Abteilung in die Max-II-Kaserne an der Dachauer Straße.

1938: Bau des Hufeisenstalls an der Schichtlstraße. Das Riemer Areal dient als SS-Hauptreitschule. Im Februar 1943 wird sie zum Außenlager des KZ Dachau. Kurz vor Kriegsende sind dort mehr als 1500 Gefangene eingekerkert, teilweise in Pferdeboxen.

1939-1945: Münchens berittene Polizisten im Kriegseinsatz. Hauptkommissar Walter Nickmann schildert in der "Chronik der Münchner Polizei" die Gräueltaten, derer die Beamten sich als Angehörige der Polizei-Reiter-Abteilung III schuldig machten: "Neben der Partisanenbekämpfung diente die Abteilung vor allem einem Zweck: Der systematischen Ermordung der jüdischen Bevölkerung. Die Beamten ritten durch die Wälder, um nach versteckten Juden zu suchen. Diese wurden dann meist vor Ort getötet ... Als im Vernichtungslager Sobibor (Polen) Juden aus Verzweiflung einen Aufstand wagten, suchten die Reiter im umliegenden Bereich nach Geflüchteten."

1946: Die Berittene Schutzstaffel wird auf dem Oberwiesenfeld untergebracht, ein Jahr später in der Barbarastraße.

1973: Umzug der Reiter nach Riem. bm

Trotz seiner stattlichen Ausmaße ist Elias ein Neuling. Wenn alles gut geht, wird er noch etwa 15 Dienstjahre - und damit deutlich mehr als Andreas Freundorfer und Markus Söder - vor sich haben. Den Umzug der Reiterstaffel wird er erleben, denn der Hof in Riem muss in den nächsten Jahren einem Neubauprojekt weichen. Jeden Tag wird Elias mindestens einmal seinen Stall verlassen, um mit neuen Polizeireitern zu trainieren, um sich in der Führanlage der Reiterstaffel zu bewegen oder um sich als hoch spezialisiertes "Einsatzmittel" in Fröttmaning oder im Englischen Garten zu bewähren. Jeden Tag um sechs, um 11.30 und um 17 Uhr wird Elias darauf warten, dass das "Brotzeitwagerl" (Freundorfer) an seiner Box vorbeikommt. Er wird - wenn es nach den Vorstellungen des Ministerpräsidenten geht - etwa 200 neue vierbeinige Kollegen bekommen. Wenn Elias dann in den Ruhestand geht, wird er in einen Gnadenhof umziehen. Dort wird er einmal im Jahr Besuch von einem seiner ehemaligen Reiter bekommen. "Dazu fühlen wir uns verpflichtet", sagt Freundorfer. "Denn ein Pferd ist kein Polizeiauto - es ist ein Partner auf Streife."

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