Reiter und Ude im Vergleich:Mächtiger Kumpel statt Sonnenkönig

Ehrenbürger Christian Ude, Verleihung der Urkunde

Christian Ude und Dieter Reiter bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde an den ehemaligen OB Münchens.

(Foto: Florian Peljak)

Schluss mit Kuschelstimmung: Vor einem Jahr trat Dieter Reiter sein Amt als Oberbürgermeister und Nachfolger von Christian Ude an. Vieles macht er anders als sein langjähriger Vorgänger - ob als Sitzungsleiter, Fußballfan oder Festredner.

Von Dominik Hutter

Am Anfang der Amtszeit stand eine so ausführliche wie unpassende Würdigung der Münchner Feuerwehr: CSU-Stadtratssenior Reinhold Babor sprach sie zum Erstaunen des gesamten Saals ins Mikrofon, bevor er zur Vereidigung des neuen Oberbürgermeisters schritt. Am 2. Mai 2014 war das, Dieter Reiter sprach die Sätze der Eidesformel nach, ergänzte noch, was Babor vergessen hatte - und damit war die Ära Ude endgültig beendet. Inzwischen ist im Rathaus nur noch selten vom einstigen Sonnenkönig Ude die Rede, seit genau einem Jahr regiert Dieter Reiter. Zeit für einen Vergleich zwischen dem alten und dem neuen starken Mann.

Außenwirkung

Irgendwann beginnt einen die Aura des Popstars zu umwehen. Auf Ude, der in langen Jahren zur politischen Legende gereift ist, reagierten Passanten bei zufälligen Begegnungen oft so, als stünde da plötzlich Justin Bieber im Business-Gewand. Der einstige OB reagierte stets freundlich, wenn er angesprochen oder angehimmelt wurde - mit Witz und durchaus auch verbindlich. Ein wenig unnahbar wirkte er trotzdem immer. Das ist bei Reiter anders, der freilich noch gehörig an seinem Star-Image feilen muss. Falls er überhaupt eines anstrebt. Der Jetzt-OB tritt eher auf wie einer, mit dem man gerne mal auf ein Bier gehen würde. Typus: der mächtige Kumpel von nebenan. Auch Reiter kann sehr lustig und vor allem sehr selbstironisch sein. Allerdings fällt es ihm schwer zu verbergen, wenn er genervt ist.

Der Rathaus-Chef

Wenn Reiter eine Stadtratssitzung leitet, herrscht meist eine gelöste Atmosphäre im neugotischen Saal. Zwar neigt der Rathaus-Chef im Umgang mit seinen Referenten zu autoritären, gelegentlich sogar abfälligen Bemerkungen. Bei seinen Stadtratskollegen aber bemüht er sich stets um ein korrektes und faires Auftreten. Wenn er nicht aufpasst, verfällt er auch mal ins Flapsige. Den Rechtsradikalen Karl Richter behandelt er mit kühler Distanz und Strenge. Auffallend ist die Mischung zwischen Reiters wachsender Souveränität bei der Sitzungsführung und dem lockeren Tonfall, bei dem immer wieder bayerische Einsprengsel durchscheinen. Reiter kommt aus der Verwaltung, kennt deren Mechanismen. Dem früheren OB Ude war deutlich anzumerken, dass ihn Verwaltung und Bürokratie eigentlich nicht interessieren. Auch Ude war ein unterhaltsamer Sitzungsleiter, seine Autorität größer. Spezialität: Nach quälenden Debatten ein rhetorisch ausgefeiltes Resümee liefern - stark zugespitzt und zielsicher auf die eigene Interessenslage gepolt.

Taten und Nicht-Taten

Dass die letzten sechs Jahre nicht Udes beste Zeit waren, ist unbestritten. Der Rathausbetrieb wirkte routiniert und eingespielt, aber auch schläfrig und antriebslos. Vieles blieb einfach liegen und flog dann im Wahlkampf dem Nachfolger um die Ohren: die maroden Schulen, die leerstehenden Wohnungen oder der fast zum Erliegen gekommene Ausbau des Nahverkehrs. Dies alles hat Reiter sofort angepackt. Für greifbare Ergebnisse ist es noch zu früh. Aber es ist unverkennbar, mit welchem Elan sich Reiter in die Arbeit gestürzt hat - mit Unterstützung der manchmal wie ausgewechselt wirkenden SPD-Stadtratsfraktion und der ehrgeizigen CSU, der noch immer das Glück des Plötzlich-Mitregierens anzumerken ist. Der neue OB hat einen Gehaltszuschlag für Erzieher eingeführt, eine Schulbauoffensive gestartet und sehr souverän das schwierige Thema Flüchtlinge gemeistert. Einige Leistungen, die sich Schwarz-Rot gerne auf die Fahnen schreibt, sind aber - das muss fairerweise gesagt werden - ein Erbe der Ude-Zeit. Die Sanierung der städtischen Kliniken etwa hat Reiters Vorgänger auf den Weg gebracht. Und hätte Ude im Einklang mit dem damaligen Zeitgeist die Stadtwerke oder die Wohnungsgesellschaften versilbert, könnte das Rathaus jetzt nicht mehr über Energie und Wohnungsbau diskutieren.

Glamour, Horst-Faktor und Ballgefühl

Glamour

Weder Ude noch Reiter genießen den Ruf des Feierbiests, ja nicht einmal den des Partylöwen. Reiter wirkt freilich viel bodenständiger als der Schwabinger Schöngeist Ude, der sich auch nach Ende seiner Amtszeit gerne mit seinen Freunden aus der Kleinkunst- und Schauspielszene zeigt. Noch immer pflegt Ude öffentlich und intensiv seine Bekanntschaften in den immer gleichen Orten der Türkei und Griechenlands, er liebt das Erzählen selbst erlebter Anekdoten. Derlei ist von Reiter nicht bekannt. Den Fehler, die prestigeträchtige Eröffnung des Filmfests seinem Stellvertreter Josef Schmid zu überlassen, wird der aktuelle OB wohl nicht noch einmal machen. Mit den Mächtigen aus der Wirtschaft kommt Reiter gut zurecht. Die gehörten schließlich jahrelang zu seinem Klientel im Referentenamt.

Horst-Faktor

Dieter Reiter und Horst Seehofer wirken manchmal wie ein Herz und eine Seele. In vielen Dingen vertreten die beiden die gleiche Meinung. Beim Bau des zweiten S-Bahn-Tunnels etwa, aber auch in der Debatte um den Konzertsaal, in der sie gemeinsam viel Prügel kassierten und sich gemeinsam völlig missverstanden fühlten. Es klappt also ganz gut zwischen den beiden - wie es, allerdings unauffälliger, auch bei Ude schon der Fall war. Damals kam Seehofer zwar nicht ins Rathaus, sondern besprach sich mit Ude in der Staatskanzlei. Beide gingen aber stets recht konstruktiv und pragmatisch miteinander um - bis Ude im Landtagswahlkampf 2013 Seehofer den Job klauen wollte. Das hält die beste Männerfreundschaft nicht aus.

Ballgefühl

Zu den Ritualen von Udes Amtszeit zählte es, auf dem Rathausbalkon ausgepfiffen zu werden. Immer dann nämlich, wenn unten auf dem Marienplatz die Bayern-Fans die Meisterschaft oder sonst etwas feierten. Ude gilt als "Blauer", als Löwen-Fan, allerdings als ein sehr stiller. Vermutlich ist ihm Fußball in Wahrheit piepegal, aber die Ballaballa-Gesellschaft verlangt nun einmal nach klaren Bekenntnissen. Reiter dagegen ist glaubwürdiger "Roter", deshalb werden ihm Buhrufe und Pfiffe wohl erspart bleiben. Dass nun, nach jahrzehntelanger Rathausherrschaft eines "Blauen", ausgerechnet ein Bayern-Anhänger für die Rückkehr der Löwen ins Grünwalder Stadion trommelt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.

Wohlfühlfaktor

In den Augen der eher linksbewegten Vertreter der Stadtgesellschaft war das Rathaus in der Ude-Ära eine Art politische Wohlfühlzone. An Rot-Grün hatte man sich gewöhnt, selbst die CSU schien sich mit ihrer Rolle als auto- und vorortorientierte Bürgerversteherin angefreundet zu haben. Jetzt weht ein anderer Wind, und es gibt nicht wenige, die es sehr genießen, dass überhaupt mal wieder was weht in den Prachträumen am Marienplatz. Das gesamte politische Machtgefüge hat sich verschoben, noch immer sind die Strukturen nicht bis in die letzte Verästelung ausgekartelt. Von der einstigen Kuschelzone ist im Reiter-Rathaus nichts mehr übrig, Veränderungen sind selten komfortabel. Aber meistens spannend.

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