Recycling:Coffee to go im Pfandbecher

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In der Aroma Kaffeebar lassen sich Gäste durchaus von den Vorteilen der Pfandbecher überzeugen, die es in zwei Größen gibt. (Foto: Catherina Hess)
  • Das Start-up "Recup" will ein Pfandsystem für Kaffeebecher einführen. Das Prinzip: Man kann die Tassen in einem Café mitnehmen und in einem anderen wieder abgeben.
  • Die meisten Stationen finden sich im Glockenbachviertel und rund um die Uni.
  • Mit dem System wollen die Erfinder gegen die Müllberge aus Pappbechern vorgehen.

Von Franziska Gerlach

Diesen neuen Becher, den kennt sie natürlich. Aber ausgerechnet an diesem Morgen, sagt die junge Frau mit der Schultasche an der Schulter, sei sie ziemlich spät dran und habe sich eben schnell einen Kaffee beim Bäcker geholt. Sie schielt auf den Pappbecher in ihrer Hand und grinst verlegen. Eine, die genau weiß, dass jener Becher, den das Start-up "Recup" gerade in einem Pfandsystem an die Münchner zu bringen versucht, ökologisch die weitaus bessere Wahl gewesen wäre. Und die sich trotzdem für die Pappversion entschieden hat.

Diese Szene an der Klenzestraße soll sich im Laufe des Tages als symptomatisch für das Verhältnis vieler Münchner zu ihren Kaffeebechern erweisen. Das Wissen ist da, doch an der Umsetzung hapert es noch. Um kurz nach zehn Uhr steht es im Glockenbachviertel 4:0 für den Pappbecher, die leer getrunkenen und dann unachtsam zu Boden gepfefferten nicht mitgezählt.

Kommunalausschuss
:So will die Stadt gegen Müllberge aus Pappbechern vorgehen

190 000 Coffee-to-go-Becher werden in München weggeworfen. Täglich. Die Stadt will künftig komplett darauf verzichten - und auch den Bürgern zeigen, wie problematisch die Becher sind.

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Der Recup-Pfandbecher, der seit Mitte Mai in 60 Münchner Cafés zu haben ist und wie eine leere Flasche zurückgegeben wird, tritt da deutlich dezenter auf. Zwei Größen gibt es: Der größere Becher misst 0,4 Liter und ist mintgrün, der kleinere ist passenderweise milchkaffeebraun und nimmt 0,3 Liter auf . Mit seinen zarten Pastelltönen sieht er aber nicht nur hübsch aus. Der Mehrwegbecher aus Polypropylen, einem recycelbaren Kunststoff, das merkt man schnell, liegt mit seiner matten Oberfläche auch geschmeidig in der Hand, und diese rutschigen Kartonmanschetten, die die Hände am Pappbecher vor Verbrühungen schützen sollen, die hat er auch nicht nötig.

Als man schließlich in der Reichenbachstraße aus dem "Trachtenvogl" heraustritt und die Schuldgefühle vergangener Pappbecher-Zeiten mit einem ersten kräftigen Schluck wegspült, da fühlt man sich auf seltsame Weise erhaben. Seht alle her, es gibt einen neuen Becher, mit dem kann man sogar Gutes tun! Doch außer einer älteren Dame schaut erst einmal keiner, und auch in ihrem Blick liegt statt Anerkennung doch eher Skepsis darüber, was das denn nun schon wieder für ein neumodisches Ding ist.

"Äh, also", hatte die freundliche Bedienung im Café Trachtenvogl wenige Minuten zuvor ihr kleines Referat eingeleitet: Das System von Recup funktioniere ganz einfach. Man bezahle einen Euro Pfand für den Becher, den man dann bei einem der Partner-Cafés des Start-ups zurückgeben kann. Als Anreiz erhalte man einen Preisnachlass von 30 Cent auf den Cappuccino, ruft sie unter dem sanften Fauchen der Milchdüsen hervor. So, fertig. 3,50 Euro bitte.

Man muss den Kunden das System erklären

Ein paar Straßen weiter, in der Aroma Kaffeebar an der Pestalozzistraße, war Jürgen Altmann sogleich Feuer und Flamme für das neue Angebot. 130 Recup-Becher hat er vorrätig, für jeden entrichtet er eine Pfandgebühr von einem Euro. "Das ist ein durchlaufender Posten für ihn", erklärt Fabian Eckert, einer der Gründer von Recup. Gastronom Altmann hat gerade noch einmal Becher nachbestellt, die Nachfrage bestehe seitens der Gäste nämlich durchaus. Allerdings, so sagt er, müsse man die Leute schon aktiv an das neue Pfandsystem heranführen.

Auch in der "Götterspeise" ist der Pfandbecher nach so kurzer Zeit noch kein Selbstläufer. "Wenn man es ihnen erklärt, wollen es aber die meisten ausprobieren", sagt Gita Anna Becker und lässt die Kaffeemaschine aufheulen. Der größte Vorteil sei wohl, sagt sie, dass man ihn anders als den eigenen Mehrwegbecher nicht zu Hause vergessen könne. Wie aufs Stichwort kommt eine Frau ins Café und verlangt nach dem neuen Becher, ganz von sich aus. "Ist ein tolles Konzept", sagt Christiane Huber. "Nur blöd, dass ich nicht selbst darauf gekommen bin."

Der To-go-Becher ist nicht mehr so schick

Zwar wird das Flanieren mit dem To-go-Becher in München heutzutage nicht mehr mit ganz so viel Verve betrieben wie vor einigen Jahren, als es noch neu und aufregend war, sich so richtig nach amerikanischer Metropole anfühlte, nach New York oder nach Los Angeles. Inzwischen macht der Münchner nicht mehr so viel Bohei darum, aber er findet es eben doch sehr praktisch, den Kaffee so unkompliziert ins Büro mitnehmen zu können. Der Becher ist ihm ein treuer Begleiter geworden, und das sieht man der Stadt manchmal auch an. Besonders am Wochenende quellen die Mülleimer über.

Und: schon klar - es war im Einzelfall sicher ein Versehen. In der Summe aber machen sich all die versehentlich zurückgelassenen Trinkbehälter gar nicht gut an der Isar. Etwa 190 000 Einweggefäße werden jeden Tag in München weggeworfen, diese Zahl hat der Abfallwirtschaftsbetrieb München (AWM), der als städtischer Eigenbetrieb organisatorisch zum Kommunalreferat gehört, aus den 2,8 Milliarden Kaffeebecher abgeleitet, die nach den Berechnungen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) bundesweit jedes Jahr verbraucht werden. Das macht 43 000 Bäume, die jährlich für Kaffeebecher fallen. Damit diese überhaupt hergestellt werden können, benötigt man allein in Deutschland pro Jahr 1,5 Milliarden Liter Wasser.

Nun hat der Stadtrat reagiert. Der Kommunalausschuss hat beschlossen, dass von diesem Herbst an in städtischen Kantinen keine Einwegbecher mehr ausgeben werden, an markanten Stellen in der Stadt, am Odeonsplatz oder bei den Pasing Arcaden etwa, sollen außerdem vier Meter hohe Becher-Skulpturen aufgestellt werden, als Mahnmale, quasi. "Am liebsten auch im Englischen Garten", sagt Helmut Schmidt, Zweiter Werkleiter des AWM. Aber da müsse die Bayerische Schlösserverwaltung noch zustimmen.

Und natürlich soll auch Recup mithelfen, das Becher-Problem der Stadt in den Griff zu bekommen. Im November 2016 startete das Start-up in Rosenheim, nun ist München an der Reihe. Wie es sich für ein Start-up gehört, gibt es auch eine App, die anzeigt, welche Cafés oder Bäckereien die Becher überhaupt befüllen: Die meisten befinden sich in der Gegend um die Universität und im Glockenbachviertel. Dort, wo es viele Cafés gibt, wo es jung ist und hipp, und wo die Leute als besonders offen gelten für den Go-Green-Gedanken.

Die Becher aus dem Pfandsystem "Recup" gibt es bereits in vielen Münchner Cafés. (Foto: Catherina Hess)

Dass man den Pfandbecher bislang eben doch noch nicht überall in der Stadt zurückgeben kann, finden Dominik und Martin, 27 und 34 Jahre alt, schwierig. Die beiden Schreiner, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchten, sonnen sich bei einem Pappbecher Kaffee an der Holzstraße. Auch bei ihnen meldet sich das schlechte Gewissen prompt - dass die papierne Variante Kunststoff enthält und deshalb nicht wieder verwertet werden kann, wissen sie nämlich.

Recup-Kunden werden sie wohl trotzdem nicht werden, zumindest vorerst. In ihrem Beruf hätten sie ständig an einem anderen Ort in der Stadt zu tun, und wieder zurückzufahren in das Café, wo man den Becher ausgeliehen habe, das sei doch irgendwie zu aufwendig.

"Wenn jemand einen halben Kilometer laufen muss, um den Becher abzugeben, dann hat man ihn schon verloren", sagt Julia Post, 27 Jahre alt und Vorstandsmitglied der Münchner Grünen. Die Herausforderung sei daher, München mit einem dichten Netz an Anbietern zu überziehen. Regelmäßig hält Post Vorträge. Vor knapp zwei Jahren hat die Münchnerin außerdem die Initiative "Coffee to go again" gestartet: Kioske, Cafés, Bäckereien und auch Kantinen in ganz Deutschland konnten einen Aufkleber anbringen und damit signalisieren, dass sie mitgebrachte Mehrwegbecher bereitwillig befüllen, etwa 4000 dieser Aufkleber hat Post bis heute verschickt.

Man muss die Bequemlichkeit überwinden

Geht es um die Frage, wo Deutschland im Allgemeinen und ihre Heimatstadt München im Besonderen in puncto Kaffeebecher steht, klingt sie am Telefon ernst. "Die Aufklärung ist vorhanden", sagt sie. Doch wenn Lobbyarbeit nicht ausreiche, brauche es eben Druck. Sie fordert daher zum Beispiel die Besteuerung von Einwegbechern, die Zahlen der Deutschen Umwelthilfe von 2015 sind ihr auch nicht mehr aktuell genug - da müssten neue Erhebungen her. Und ein Pfandsystem bei Bechern stand nicht nur lange Zeit auf ihrer Liste an Forderungen. Sie hat die Gründer von Recup auch zusammengebracht.

Das Münchner Start-up hat bereits den Anbieter eines ähnlichen Konzeptes in Berlin übernommen - und will Recup im Sommer nun auch dort einführen. Theoretisch ist es dann möglich, einen Kaffee-Becher von der Isar in der Hauptstadt abzugeben. "Das ist die Vision", sagt Recup-Gründer Eckert. In München scheint das mit der Rückgabe schon jetzt gut zu klappen. Die junge Bedienung im Kaffeehaus "Rosi" an der Rosenheimer Straße versteht jedenfalls sofort, als man den leeren Becher aus der Tasche holt. Sie nimmt ihn mit einem freundlichen Nicken entgegen, bringt ihn zur Spülmaschine, gibt einen Euro Pfand zurück.

Ist also doch kein Hexenwerk mit dem Umweltschutz, wenn man es erst einmal geschafft hat, die eigene Bequemlichkeit zu überwinden. Alles aber können auch die Recup-Pfandbecher nicht erreichen: Sich tatsächlich mal wieder Zeit zu nehmen in einem Café für einen Kaffee mit Freunden. Aus einer ganz normalen Tasse.

© SZ vom 30.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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