Rechte Pöbeleien von Schülern:Politik der kleinen Schritte

Rechte Pöbeleien von Schülern: Harald Parigger appelliert an alle Lehrer, politische Fragen anzusprechen.

Harald Parigger appelliert an alle Lehrer, politische Fragen anzusprechen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Themen Toleranz und Demokratieverständnis gehören auf den Lehrplan, sagt Harald Parigger, Leiter der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit

Von Alexandra Leuthner

Harald Parigger sagt einen Satz, der erschreckend ist, in seiner lakonischen Selbstverständlichkeit. "Wir sind immer wieder damit konfrontiert, an Schulen sowieso und auf dem Sportplatz." Pöbeleien gegen ausländische Kinder und Jugendliche meint er, Anfeindungen, Ausrufe wie: "Was wollen die denn jetzt auch noch hier?" Das seien bei weitem keine Einzelfälle mehr, sagt er. An Brennpunktschulen sowieso nicht, aber noch nicht mal an Orten wie der KZ-Gedenkstätte Dachau, wo sich solche Sätze angesichts des dunklen Geschichtskapitels, für das sie Zeugnis ist, mehr noch als sonst verbieten. Von Besuchern seien sie zu hören, wenn sie ausländischen Schülergruppen begegnen, auch vom Sicherheitspersonal. "Manchmal", sagt der Pädagoge, Buchautor und Familienvater Parigger, "manchmal stehe ich dem ratlos gegenüber."

Für den 63-Jährigen, der seit drei Jahren die Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit leitet, ist das kein Grund aufzustecken. Im Gegenteil. Von Kärrnerarbeit, die er tun wolle, hatte er schon bei seinem Abschied vom Gymnasium Grafing gesprochen. Aufbauarbeit wolle er leisten an seiner neuen Adresse Praterinsel 2, dafür kämpfen, dass Kinder und Jugendliche ein politisches Bewusstsein entwickeln. Und dafür, "dass es für sie eine Selbstverständlichkeit ist, wenn der Herr Doktor ein Schwarzer ist".

Parigger war 13 Jahre lang Direktor am Gymnasium in Grafing gewesen, jener Schule, an der wiederholt darüber diskutiert wurde, sie nach dem kürzlich verstorbenen KZ-Überlebenden Max Mannheimer zu benennen. Parigger hatte Mannheimer, den unermüdlichen Streiter für die Erinnerung an die Schrecken des Nationalsozialismus, immer wieder nach Grafing eingeladen. Er ließ sich in seiner Haltung nicht beirren, auch nicht, als 2011 rechtsradikale Schmierereien an die Schulwand gepinselt wurden. Erst recht nicht, als drei Wochen später Morddrohungen gegen ihn persönlich und drei Schüler eingingen, mit vermutetem rechtsradikalem Hintergrund. Auch nicht, als es eine Bombendrohung gegen die Schule gab.

Den Tag, als er wegen dieser Warnung die Schule evakuieren ließ, die Gymnasiasten in die Stadthalle nebenan schickte und ihnen erklärte, was los war, wird er wohl nie vergessen. Der Moment, als er, den geöffneten Drohbrief noch in der Hand, die Durchsage an Schüler und Lehrer machte, dieser Moment werde ihm immer präsent bleiben, sagt er.

Jene Erfahrung hat ihn geprägt. Sie hat nach all den Jahren als Schulleiter sein Gefühl der Verantwortung für die politische Bildung der Jugend noch verstärkt. Parigger studierte Geschichte, Germanistik und Sozialkunde in Würzburg, nachdem er den Traum vom Profimusiker aufgegeben hatte. Kontrabass spielt er aber bis heute. In seinen Jahren als Lehrer in Lichtenfels und Bayreuth setzte sich der promovierte Historiker dafür ein, die Vermittlung von Geschichte zu öffnen für einen ehrlichen Blick auf die Vergangenheit. 1989 wurde er als Mitarbeiter ins Haus der Bayerischen Geschichte berufen, 1994 wechselte er als Seminarlehrer ans Münchner Maria-Theresia-Gymnasium, 2000 dann nach Grafing. Er war immer als Ansprechpartner greifbar - und setzte sich hier und da auch mal über die Köpfe anderer hinwegsetzte, "um das zu tun, was er für richtig hielt". So hatte ihn der damalige Schülersprecher Philipp Gasser bei der Abschiedsgala charakterisiert. Ohne, dass ihm jemand widersprochen hätte.

Jetzt sitzt Parigger also im relativ stillen Dienstzimmer, weit weg vom täglichen Trubel einer Schule, und versucht doch ganz nahe an die Kinder heranzukommen, um die es ihm geht. Das kleine Institut im Isarzwickel zwischen Maximilianeum und Maxmonument, sozusagen in Schlagweite zur Geschichte des Freistaats und dessen politischer Gegenwart, ist direkt ans Bayerische Kultusministerium angehängt.

Pariggers Aufgabe ist es, "auf überparteilicher Grundlage das Gedankengut der freiheitlich-demokratischen Staatsordnung im Bewusstsein der Bevölkerung zu fördern und zu festigen". Publikationen, Unterrichtsmaterialien, Wandzeitungen, aber auch didaktische Veranstaltungen gehören zu seinem Aufgabenbereich. Unlängst lud man zusammen mit der Bayerischen Museumsakademie in die Allianzarena ein, um Strategien gegen die Zunahme rechtsextremistischen Gedankenguts zu finden. Enge Zusammenarbeit pflegt die Landesanstalt mit den Gedenkstätten Dachau und Flossenbürg, betreut das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg und das Memorium Nürnberger Prozesse. Und nicht zuletzt berät sie die Staatsregierung.

Was aber ist zu tun gegen rechtes Denken? Harald Parigger ist überzeugt davon, dass die politische Bildung an allen Schularten verstärkt werden muss. "Das war früher alles viel zu sehr auf das Gymnasium ausgerichtet. Das ändern wir jetzt", sagt er. Real-, Mittel- und Grundschulen müssten viel mehr unterstützt werden. So organisieren seine Mitarbeiter Abgeordnetenbesuche in Bürgerbüros, fertigen Unterrichtsmaterialien zu den Grundlagen einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, zu Osteuropa, Bayern und Europa, erarbeiten Planspiele, organisieren Wettbewerbe.

Gemeinsam mit Geistlichen aller Religionsgemeinschaften arbeiten Parigger und seine Mitarbeiter derzeit an einem Gesellschaftsspiel für Grundschulen, in dem es um "Schnittmengen im Wertesystem" gehen soll, eine Art Monopoly um religiöse Bräuche. "Es soll bewusst politisch sein, soll klar machen, wo stoße ich an meine Grenzen; dort wo die Rechte des anderen anfangen."

Je früher man damit beginne, desto besser. Das bedeute nicht, dass auch in den Gymnasien nicht genug zu tun wäre - obwohl die Pflicht zur staatsbürgerlichen Einordnung im Lehrplan verankert sei. Aber gerade die Lehrer in den naturwissenschaftlichen Fächern drückten sich oft davor, politische Fragen anzusprechen. "Ich muss doch, wenn ich über Genetik spreche, auch über die damit verbundenen ethischen Probleme reden. Und wenn ich über das Funktionieren eines Motors spreche, auch über unsere verstänkerten Innenstädte." Es werde an seinem Institut inzwischen über ein Anerkennungssystem nachgedacht für hier besonders engagierte Schulen, eine Plakette, eine Urkunde, vielleicht auch eine Reise nach Berlin oder Brüssel. So lange die Kinder nicht die Vorurteile der Erwachsenen übernommen hätten, habe man eine Chance. "Die Politik setzt da viel zu spät an", sagt Parigger. Und sie leiste zu wenig, schon beim Sprachunterricht hapere es. So seien doch Sprachkenntnisse der Schlüssel für eine gelungene Integration, und "es ärgert mich, dass das nicht klappt, dass die Kinder von Migranten richtig guten Deutschunterricht bekommen. Wir haben doch genug Geld."

Und noch etwas ärgert ihn. Eine funktionierende Demokratie möge in der Lage sein, jene zehn bis 20 Prozent der Bevölkerung, die sich offen zu ihren rechten Ansichten bekennen, zu verkraften. Dass aber Vertreter "etablierter Parteien" sich nicht scheuten, die Wortwahl von AfD oder Pegida ungefiltert zu übernehmen - ohne das eigentlich so zu meinen -, das irritiert ihn sehr. "Da müssen Sie ja in Bayern nicht weit schauen." Wenn eine Partei das C in ihrem Namen trage und das S für sozial, dann solle sie auch reden wie eine Partei, die sich auf ihre christlichen Werte beruft, "und zwar auf das Neue Testament, nicht auf das Alte".

Dabei funktioniere doch gerade in Bayern Integration sehr gut, sagt der Historiker. "Warum muss ich so reden und anders handeln?" Auch die SPD will Parigger nicht aus der Verantwortung entlassen. Sie habe zu sehr auf bürgerlich gemacht, und dabei ihre Stammwählerschaft, die Arbeiter, links liegen lassen. "Es stünde den Parteien gut an, ihr Profil zu schärfen".

Noch ärgerlicher wird der Pädagoge beim Blick in den Osten der Republik. "Das ist schon etwas, das mich mit Erbitterung erfüllt." Seit 26 Jahren zahle der Westen den Solidaritätsbeitrag zur Sanierung der Gemeinden und Städte in den neuen Bundesländern und müsse sich dann vorhalten lassen, das christliche Abendland zu gefährden - durch Zuwanderung und Toleranz. "Da drüben gibt es doch gar keine Ausländer", schimpft Parigger, "und zum ,christlichen Abendland' gehört das Wort Aufklärung doch unbedingt dazu", sagt der Buchautor, der dem Geschichtswissen von Kindern und Jugendlichen auch mit seinen Büchern auf die Sprünge helfen möchte. Er ist ein Vielschreiber und erzählt Geschichten aus dem alten Rom oder der Zeit der Kreuzzüge; in seinen Büchern und Hörbüchern geht es um Hexenverfolgung und das Schicksal von Leprakranken im Mittelalter, um Religion genauso wie um Liebe. Schonkost liefert er dabei nicht - wenn er etwa das ausweglose Schicksal der unbescholtenen Wirtsfrau Barbara Schwarz schildert, die von einem Nachbarn der Hexerei bezichtigt wird und in den Fängen der Inquisition landet.

Es ist ein ehrgeiziges Ziel, das Bewusstsein für die Zusammenhänge von Politik und Geschichte in den Köpfen junger Menschen zu verankern. Auf diesem Weg bleibe ihm und seinem kleinen Institut, sagt Parigger, letztendlich "nur die Politik der kleinen Schritte".

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