Raucherclubs:Als in Münchens Kneipen die Anarchie ausbrach

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Raucherclub in München (Foto: dpa)

Geht es um Genuss, wird der Münchner seit jeher erfinderisch: Vor zehn Jahren wurden Gäste in Bars auf einmal Mitglieder in unzähligen Clubs - der Zigarette zuliebe.

Kolumne von Laura Kaufmann

Der Bayer und insbesondere der Münchner hat den Ruf, ein Genießer zu sein. Stolz ist man in der Stadt auf die Biergartenrevolution 1995, bei der Massen auf die Straße gingen, um gegen eine frühere Sperrstunde zu protestieren. Heute, wo Protest gern schnell mit einer Signatur auf der Online-Petition abgehakt wird, ist es schwer vorstellbar, dass damals wirklich 25 000 Leute auf die Straße gegangen sind, um länger im Biergarten sitzen zu können.

Aber der Münchner empört sich wegen wenig anderem mehr, als wenn ihm das Recht auf Genuss versagt werden soll. So auch die Zigarette zum Bier. Im Warmen. Und so kam es, dass vor zehn Jahren, als der Landtag das Rauchverbot beschloss, für eine kurze Zeit die Anarchie ausbrach in Münchens Kneipen.

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An Neujahr saß man zusammen in der Lieblingsbar, und von dem Tisch, auf welchem plötzlich kein Aschenbecher mehr war, standen ständig Grüppchen auf, und draußen drängten sie sich dann zu einem frierenden Suchtklumpen zusammen. Die einst dahin plätschernde Unterhaltung wurde auf rüde Art zerstückelt, Jacken an- und ausgezogen wie in einer Umkleidekabine. Mit dem gewohnten Genuss, so beschloss die Runde, hatte das wenig zu tun, und so zahlte man und machte sich auf die Suche nach organisiertem zivilen Widerstand. Er fand sich bei Claudia. Claudia, die den neuen Gästen in ihrem kleinen, verrauchten Reich zwischen Dartscheibe und Spielautomat Tequila-Apfelsaft ausschenkte und ihnen alsbald eine kleine Karte in die Hand drückte. Den ersten Raucherclubausweis.

Zu Claudias gesellte sich bald eine Fülle an weiteren Ausweisen, die jeden Geldbeutel beinahe zum Platzen brachte. Ob Raucher oder nicht, wer in die selbsternannten Raucherclubs wollte, musste Mitglied sein und seinen Namen dort auf eine Liste setzen. Websites sammelten die Orte, die sich durch die findige List dem Rauchverbot entzogen. Es waren einige, aber nicht alle. Das Verbot blies den Qualm aus vielen Bars, und so fand ein jeder das, was er für den Abend suchte.

Ein junger Niederbayer, der schließlich einen Volksentscheid initiierte und der fröhlichen Anarchie der Raucherclubs den Garaus machte, erhält bis heute Morddrohungen. Er lebt jetzt in Österreich. Dort dürfen Gäste in Bars noch qualmen.

Die Münchner Raucher sind weniger geworden. Draußen vor den Kneipen rotten sich die Verbliebenen verschwörerisch zusammen. Wie durchdringend alle Klamotten damals nach jedem Ausgehabend stanken, das fassen sie jetzt selbst nicht mehr, wenn sie einmal in einem anderen Bundesland oder gar in Österreich ausgehen. Aber ihren Genuss, den haben sie sich nicht nehmen lassen.

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