Rassismus-Vorfälle und Pfarrer-Rückzug in Zorneding:CSU wiegelt ab, der Kardinal zaudert - und das Volk murrt

Rassismus-Vorfälle und Pfarrer-Rückzug in Zorneding: Generalvikar Peter Beer, engster Vertrauter von Kardinal Marx, am Sonntag bei der Messe in Zorneding.

Generalvikar Peter Beer, engster Vertrauter von Kardinal Marx, am Sonntag bei der Messe in Zorneding.

(Foto: Hinz-Rosin)

Die Gemeinderätin Frau Boher zeigt sich unerreichbar und uneinsichtig für die Anliegen der Zornedinger, kritisiert eine Leserin. Diese und weitere Meinungen

"Aigner sorgt sich um das Image ihrer Partei" vom 12./13. März, "Schwamm drüber soll es nicht geben" und Kommentar "Fatales Schweigen" vom 14. März:

Dummdreiste Manipulation

Die Auslöserin des Zornedinger Rassismusstreits, die ehemalige CSU-Vorsitzende Sylvia Boher, hat sich für ihre Antiflüchtlingspropaganda gegenüber dem Internetmagazin "Quartz Africa" auf Papst Franziskus berufen, der von einer "arabischen Invasion" gesprochen habe. Diese Worte hat der Papst tatsächlich gebraucht, und zwar um, wie er sagte, "eine soziale Tatsache" zu beschreiben. Er steht dieser allerdings ganz anders gegenüber, als Frau Boher das gerne erscheinen lassen möchte. Europa sei in seiner Geschichte durch "Invasionen" immer wieder bereichert worden. Der Kontinent habe "immer über sich selbst hinauswachsen, voranschreiten können, um sich dann, bereichert durch den Austausch der Kulturen, wiederzufinden", sagte der Papst. Frau Boher hingegen will hilfsbedürftige Menschen aus anderen Kulturen abweisen. "Was ist falsch an meinen Worten?", fragt sie unter Berufung auf den Papst. Das lässt sich in zwei Punkten leicht beantworten. Falsch ist erstens, dass der Papst ein Kronzeuge für die xenophobe Position von Frau Boher ist. Das Gegenteil ist der Fall. Falsch ist zweitens ihre Meinung, man könne die Leute mit dummdreisten Manipulationen hinters Licht führen. Dr. Jürgen Zarusky, Dachau

Politikerin ohne Einsicht

Die Gemeinderätin Frau Boher zeigt sich unerreichbar und uneinsichtig für die Anliegen der Zornedinger. Weder die offensichtliche Gewaltbereitschaft scheint sie zu berühren, noch die Verletzung der katholischen Gemeinde, der der Seelsorger dadurch genommen wurde - ein Mann des tätigen Christentums. Statt dessen spielt Frau Boher dessen Weggang herunter als einen normalen Prozess der Ankunft und des Gehens im Leben. Kann diese gleichgültige und leichtfertige Art, mit so schwerwiegenden Ereignissen umzugehen, noch überboten werden? Wenn das ihre Philosophie ist, soll sie die bitte jetzt auch für sich selbst anwenden und gehen - möglichst ohne ein "Fortsetzung folgt". Es braucht in Zorneding keinen weiteren Nährboden für eine Polemik in ihrem Stil. Christiane Strey, Zorneding

Ermunterung für Rassisten

Was Annette Ramelsberger in ihrem Essay über "Dunkeldeutschland" (5./6. März) schrieb, findet in Zorneding seine erschreckende Fortsetzung. Kaum verwunderlich, dass Aigner und Seehofer - in seltener Einmütigkeit - jegliche Mitverantwortung ihrer Partei am Weggang des Zornedinger Pfarrers von sich weisen. Wenn allerdings schon Mandatsträger vom Schlage Boher und Haindl - also ordentliche Bürger "aus der Mitte der Gesellschaft" - auf übelste Weise Stimmung gegen Flüchtlinge und "Neger" machen, dann darf sich auch der ganz normale Durchschnittsrassist in seinen Ressentiments bestätigt, wenn nicht gar zu "Höherem" berufen fühlen. Matthias Wolf, Berlin

So wird das Klima vergiftet

Nun endlich, könnte man sagen, endlich hat die CSU-Spitze öffentlich reagiert und die Stellungnahme der Frau Boher in Spiegel-Online zynisch genannt und sie zum Rücktritt im Kreisverband und im Bezirksvorstand aufgefordert. Da stellt sich die Frage, war ihr Schreiben im Zorneding Report Oktober letzten Jahres nicht zynisch genug? Warum wurde dieses unsägliche Schreiben als Frau Bohers freie Meinungsäußerung benannt, die man als demokratischer Mensch selbstverständlich zu respektieren habe? Es stand aber im offiziellen Parteiblatt des CSU-Ortsverbands und gab somit auch dessen Meinung wieder. Von dort hat es bis heute noch keine öffentliche Richtigstellung oder Entschuldigung gegeben.

Nicht nur die Hetze im Parteiblatt, auch das Verhalten des CSU-Ortsverbands trägt dazu bei, das politische Klima in unserer Gesellschaft zu vergiften. Wer das mit Sorge und wohlbegründet kritisiert, dem wird Böswilligkeit unterstellt. Böswillig ist Frau Bohers Schreiben, aber das hat bis heute noch kein CSU-Politiker öffentlich gesagt. Nach aller menschlicher Erfahrung kann man annehmen, die CSU-Spitze hätte auch dieses Mal nicht auf den weiteren Boher-Zynismus reagiert, gäbe es nicht die unglaublich große Solidarisierung mit dem Pfarrer Olivier Ndjimbi-Tshiende, was Zorneding sehr ehrt. Nun meldet sich "etwas zurückhaltend" auch Kardinal Marx zu Wort. Warum gibt es von ihm nicht schon lange öffentlich eine klare Stellungnahme zu Herrn Seehofers unchristlicher Flüchtlingspolitik? Und wie bitte soll man das verstehen, wenn Kardinal Marx sagt: Unter den syrischen Flüchtlingen seien 10 bis 20 Prozent Christen, und es sei von enormer Bedeutung, dass diese Menschen mit ihren kirchlichen Traditionen bei uns geistliche Beheimatung und praktische Unterstützung finden. Und was ist mit den anderen 80 bis 90 Prozent der syrischen Flüchtlinge? Selektive Nächstenliebe?

Was empfinden denn die hohen Herren, wenn sie die Bilder von Idomeni an der mazedonischen Grenze sehen, wo das geschieht, was Herr Seehofer nicht müde wurde zu fordern? Natürlich harmlos formuliert: "Grenzen sichern." Als ob Europas Grenzen das Problem wären. Was bedeutet ihnen der Artikel 1 unserer Verfassung: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt." Wie kann man die Menschen dort im Schlamm stecken lassen und noch Militär, Polizei, Wasserwerfer und Tränengas gegen sie einsetzen, auch gegen Kinder? Dagegen hatte es die Heilige Familie im Stall zu Bethlehem noch einigermaßen angenehm.

Erinnern wir uns, Frau Boher schrieb von einer Invasion der Flüchtlinge, und für eine Invasion ist das Militär zuständig. In Europa inzwischen eine traurige Realität.

Was politisch in Europa passiert, ist eine Schande, und eigenartiger Weise tragen viele christliche Politiker dazu bei, im Kleinen wie im Großen. Doch halt - eine Frau kämpft mit großem Mut für mehr Menschlichkeit: Frau Merkel. Ich bewundere sie dafür. Dafür wird sie massiv angegriffen, nicht nur von Neonazis und AfD. Auch das ist eine Schande. Fritz Schulte-Spechtel, Anzing

Wo bleibt die Stimme der Kirche?

Was für ein Sumpf! Solange solche Leute wie Frau Boher nach diesen unsäglichen Äußerungen im Herbst nicht aus der CSU ausgeschlossen werden, ja sogar noch einen Sitz im Gemeinderat haben, muss man sich nicht wundern, wenn Menschen sich wieder trauen, ohne große Konsequenzen befürchten zu müssen, sich so voller Hass anderen Menschen gegenüber zu äußern. Eine klare Stellungnahme und Taten der CSU sind überfällig. Wo bleibt die Stimme der katholischen Kirche, Kardinal Reinhard Marx hätte sich schon im Herbst öffentlich schützend vor seinen Priester stellen müssen, um dem Rassismus deutlich Einhalt zu gebieten. Ingrid Rüter, Vaterstetten

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