Ramersdorf:Lernen am Objekt

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Das Projekt "Wohnlabor" soll bei Schülern und Schülerinnen des St.-Anna-Gymnasiums Verständnis für Architektur wecken. Dafür stellt die städtische Wohnungsbaugesellschaft GWG seit Jahren dem Abriss geweihte Häuser zur Verfügung

Von Renate Winkler-Schlang, Ramersdorf

Auf dem kleinen Weg zwischen der ramponierten Haustür und dem eingewachsenen, verlassenen Garten mit seinen immer noch üppig blühenden Hortensien stehen zwei Holzböcke. Jugendliche sägen gebrauchtes, leicht fleckiges Klick-Parkett auf die richtige Länge für Sitzmöbel. Sie haben es aus den muffeligen Wohnungen des leer stehenden Nebenhauses. Dies ist jedoch kleine Hausbesetzung eines dem Abriss geweihten Wohnblocks, sondern eine legale Aktion im Rahmen des Kunstunterrichtes. "Wohnlabor", heißt das Projekt, das der Geschäftsführer der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GWG, Hans-Otto-Kraus, vor einigen Jahren an das städtische St.-Anna-Gymnasium herangetragen hat. Ziel ist es, bei jungen Menschen Architekturverständnis zu wecken.

In diesem Jahr steht der niedrige Block gegenüber der modernisierten Maikäfersiedlung an der Bad-Schachener-Straße zur Verfügung. Er soll durch einen höheren, moderneren Wohnklotz ersetzt werden. Die Achtklässler mit ihren Lehrerinnen Grete Turtur und Christine Büttner und den Architektinnen Miriam Mahlberg und Ulla Feinweber hätten sich in Haus 48 breit machen dürfen: "Aber dort gab es tote Tauben", erzählt Grete Turtur. Man rückte einen Eingang weiter, der letzte verbliebene Mieter hatte keinen Einwand, lässt sich aber nicht blicken. Um ihn herum tobt nun das kreative Leben.

Maxim ist fertig: "Bitte klopfen. Camara Obscura" hat er an die Kinderzimmertür der Erdgeschosswohnung geschrieben. Das Fenster mit Pappe verkleiden, ein Loch hinein - schon spiegeln sich dank des gebündelten Lichts die Fenster von der anderen Straßenseite auf der nackten Wand, Autos fahren auf dem Kopf. Ein Regal, eine übrig gebliebene Zimmerlilie im Plastikübertopf, ein paar Papp-Hocker sind das Interieur seines meditativen Kinos.

Das Projekt ist gut vorbereitet: Die Schüler haben sich im Unterricht über Lieblings-Orte und Un-Orte Gedanken gemacht, sind auf Foto-Tour gegangen. Sie haben fantasievolle Möbel-Modelle gebaut, lernten ein wenig über Statik, dazu die wichtigsten Begriffe aus der Architektenwelt. Ein Mitarbeiter der GWG führte sie durch die Maikäfersiedlung und erzählte, wie groß die Familien waren, die früher in den engen Wohnungen lebten. Dann bauten sie kleine Hausgeister aus allem, was sich - notfalls auch mit Hammer und Kraft - aus den Wohnungen lösen ließ: Dachplatte als Körper, Bodenleiste als Frisur und unten eine Armatur, damit man erkennt, dass dieser hier männlich ist. Der andere trägt als Hütchen ein Plastiksieb aus einer alten Spüle. Sie haben Namenschilder vom Klingelbrett gerissen und ihnen aufgeklebt.

Für ihre eigenen Raum-Installationen gingen sie von ihren Talenten und Vorlieben aus. So kamen Lenny und Korbinian auf den Einfall, auf dem Speicher einen Sport- und einen Ruheraum einzurichten. Statt der Spinnweben gibt es hier nun einen Basketballkorb aus kleinen Hölzern, aufgehängt mit blauer Wäscheleine, an der Wand lehnen Leisten, die ein Tor symbolisieren. Im Ruheraum haben sie aus einem Schlitten eine Art futuristischer Hollywoodschaukel gebaut. In der Wohnung nebenan dominiert die Dachschräge: Eine knifflige Aufgabe für Ale, Lotti und Christine, sie klug einzubeziehen. Sie verzichten sogar auf die Mittagspause.

Auch die Mädchen in den anderen "Labors" haben sich an die etwas heruntergekommene Umgebung gewöhnt. Lilly etwa kann sich vorstellen, dass die Bewohner es sich hier schön gemacht hatten, auch wenn jetzt die Dübel und Leitungen offen liegen, die vergilbten Tapeten herunterhängen, die altmodischen Gasöfen vom niedrigen Standard zeugen. "Ich hab es mir schlimmer vorgestellt", sagt Amanda, die mit Ines und Elena ein "Zimmer auf dem Kopf" ausgestaltet. Die Umrisse der Möbel haben sie mit schwarzem Tapeband an die Decke geklebt, mit Hingabe wird eine Vase getöpfert, die quasi auf dem Tisch hängen soll, ein goldener Kronleuchter aus Dämmmaterial entsteht, der aus dem Fußboden wächst. Ein anderes Team hat Fäden gespannt, ein filigranes Labyrinth entstehen lassen. Luisa, Gesa und Lilly haben sich vom Lattenboden in ihrem Raum inspirieren lassen: Wo der Teppich lag, ist er wie neu, außen rum nachgedunkelt, verkratzt. Sie haben den hellen Bereich mit Bambusstangen umgrenzt, aus der schönen alten Bettwäsche von Lillys Oma eine rosa Hängematte gemacht, weiße alte Laken mit hellblauer Einfassung als Himmel an die Decke getackert.

Die Betreuerinnen unterstützen nur, bringen Materialnachschub; nicht viel, die Schüler sollen sich fokussieren. Mies van der Rohes Credo "Less is more" haben sie über einen Türrahmen gepinnt.

© SZ vom 28.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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